USA/Nato/Japan versus China

Die Militarisierung der ersten Inselkette

(Grafik Uchinanchu/Wikipedia)

von German Foreign Policy*

/28. Februar 2023) Die Nato weitet ihre Zusammenarbeit mit Japan auf breiter Front aus – zu einer Zeit, zu der Tokio aufrüstet wie nie seit 1945. Die USA bereiten die gesamte erste Inselkette vor China auf Krieg vor.

TOKYO/WASHINGTON/BERLIN (Eigener Bericht) – Die Nato wird die Zusammenarbeit mit Japan gezielt ausbauen und mit ihren traditionellen Streitkräften, in der Cyberabwehr sowie im Weltall enger als bisher mit dem ostasiatischen Land kooperieren. Die Welt sei «an einem historischen Wendepunkt» angelangt, an dem sich das «Kräftegleichgewicht im Indo-Pazifik schnell verschiebt», heisst es in einer Gemeinsamen Erklärung, die Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und Japans Ministerpräsident Fumio Kishida diese Woche in Tokio unterzeichnet haben.

Der Ausbau der Kooperation, den Berlin auch auf nationaler Ebene gezielt vorantreibt, geschieht in einer Zeit, in der Japan eine seit 1945 beispiellose Aufrüstung startet: Es erhöht seinen Militäretat um über 50 Prozent, wird zum Land mit dem drittgrössten Wehrhaushalt der Welt und beschafft ein Raketenarsenal, das Ziele in China geballt angreifen kann. Parallel intensivieren die USA ihre Militärkooperation mit Japan – in einer Weise, die Experten mit dem Aufbau westlicher Militärpotenziale im Umfeld der Ukraine ab 2014 vergleichen. Ähnliche Schritte unternimmt Washington auf der gesamten ersten Inselkette vor China – auch auf Taiwan und in den Philippinen.

Die Nato und Japan

Die Kooperation zwischen der Nato und Japan geht letztlich auf erste Kontakte zu Beginn der 1990er Jahre zurück – in der Zeit, als sich Tokio an der «Operation Südflanke» beteiligte, einem von der deutschen Marine geführten Einsatz zur Minenräumung im Persischen Golf in den Jahren 1990 und 1991.1 Ab etwa 2007 bauten beide Seiten ihre Zusammenarbeit aus; so fand im April 2008 ein erstes deutsch-japanisches Manöver statt, als Kriegsschiffe der deutschen Marine im Golf von Oman gemeinsam mit Schiffen der japanischen Marine Übungen abhielten.

Im Jahr 2013 unterzeichneten beide Seiten eine gemeinsame politische Erklärung, in der sie eine engere Kooperation in den Blick nahmen; im Jahr 2014 folgte der Start eines Programms zum Ausbau der sogenannten Interoperabilität.2 Im Dezember 2020 nahm Japan – an der Seite Südkoreas, Australiens, Neuseelands, Finnlands und Schwedens – erstmals an einem Treffen der Nato-Aussenminister teil; auf dem Nato-Gipfel im Juni 2021 in Brüssel wurde dann der Ausbau der praktischen Zusammenarbeit der Nato mit den verbündeten Staaten in der Asien-Pazifik-Region beschlossen, darunter Japan.3 Am Nato-Gipfel im Juni 2022 in Brüssel nahm erstmals Ministerpräsident Fumio Kishida persönlich teil.

«An einem historischen Wendepunkt»

Die Nato will nun ihre Beziehungen zu Japan systematisch weiter intensivieren. Am Dienstag traf Generalsekretär Jens Stoltenberg zunächst auf der Iruma Air Base bei Tokio ein; von dort starten japanische Transportflugzeuge mit Versorgungsgütern für die Ukraine.4 Anschliessend kam Stoltenberg in Tokio mit Kishida zusammen, um den Ausbau der Kooperation zu besprechen und eine Gemeinsame Erklärung darüber zu verabschieden. Darin heisst es, die Welt sei «an einem historischen Wendepunkt» angelangt, an dem sich das «Kräftegleichgewicht im Indo-Pazifik schnell verschiebt»; dabei sei – vor dem Hintergrund der Machtkämpfe gegen Russland wie auch gegen China – «die Sicherheit des Euro-Atlantik und des Indo-Pazifik eng verbunden».5

Die Nato und Japan starteten deshalb ein neues Kooperationsprogramm (Individually Tailored Partnership Programme ITPP) und würden zukünftig nicht nur in Bereichen wie der maritimen Sicherheit, sondern auch in der Cyberabwehr und im Weltraum, bei der Abwehr «hybrider Herausforderungen» und in der Propaganda («strategische Kommunikation») und auf weiteren Feldern eng kooperieren. Japan werde von nun an regelmässig an Treffen des Nordatlantikrats und der Nato-Verteidigungsminister teilnehmen.

Beispiellose Aufrüstung

Der transatlantische Militärpakt baut seine Zusammenarbeit mit dem ostasiatischen Staat zu einer Zeit aus, zu der Japan eine seit 1945 beispiellose Militarisierung eingeleitet hat. Bereits im Jahr 2015 hatte das japanische Parlament einem Gesetz zugestimmt, das es erlaubt, die Verfassung, die militärische Aktivitäten ausschliesslich zur Selbstverteidigung zulässt, neu zu interpretieren. Seitdem dürfen die japanischen Streitkräfte auch im Ausland operieren, wenn das einer breit auslegbaren «kollektiven Selbstverteidigung» dient.6 Zudem stockt Tokio seinen Militäretat dramatisch auf; im Dezember kündigte die Regierung an, die Mittel für die Streitkräfte im kommenden Fünfjahreszeitraum um 56 Prozent auf 318 Milliarden US-Dollar zu erhöhen.

Damit hätte Japan das drittgrösste Wehrbudget weltweit. Darüber hinaus sollen die japanischen Streitkräfte – in Abkehr von tatsächlicher Verteidigung – die Fähigkeit entwickeln, «Gegenschläge» auf feindliches Territorium durchzuführen; dazu sollen Raketen des US-Modells Tomahawk mit einer Reichweite von mehr als 1500 Kilometern beschafft und eigene Raketen entwickelt werden.7 Nicht zuletzt hat Japan im Oktober 2022 ein Verteidigungsabkommen mit Australien geschlossen, das es beiden Seiten gestattet, Truppen in das jeweils andere Land zu entsenden.8

«Tödlicher, beweglicher, leistungsfähiger»

Gleichzeitig haben auch Tokio und Washington begonnen, ihre enge Militärkooperation noch weiter zu intensivieren. So werden die Vereinigten Staaten ihre Truppenpräsenz auf Okinawa modifizieren. Dort wird nun ein US-Artillerieregiment durch eine US-Einheit ersetzt, die «tödlicher, beweglicher und leistungsfähiger» als die bisherige Truppe sein soll.9 Darüber hinaus sollen Vorkehrungen getroffen werden, um US-amerikanische und japanische Militärs schnell auf weit vorgelagerte Inseln in Japans äusserstem Südwesten bringen zu können; diese liegen nicht weit von Taiwan oder sind – im Fall der Senkaku-/Diaoyu-Inseln, die auch von China beansprucht werden – territorial umstritten.

Washington hat kürzlich bestätigt, dass ein bewaffneter Konflikt um die Diaoyu-/Senkaku-Inseln von ihm als Bündnisfall angesehen werde. US-Militärs berichten, die Streitkräfte der USA und Japans seien zurzeit dabei, ihre Kommandostrukturen zu integrieren und gemeinsame Operationen exponentiell auszudehnen, um sich auf einen Krieg gegen China vorzubereiten. Alles in allem schaffen sie ein ähnliches Umfeld, wie sie es in der Ukraine ab 2014 geschaffen haben – mit militärischem Training, dem Aufbau vorgeschobener Nachschublager und der Identifikation von Orten, von denen aus man jeweils Unterstützungsmassnahmen für die Armee durchführen könne.10

Mögliche Kriegsschauplätze

Ä hnlich gehen die Vereinigten Staaten den US-Militärs zufolge auf den Philippinen vor, wo sie ebenfalls Vorkehrungen für einen etwaigen Krieg gegen China treffen. Dort bauen sie militärische Anlagen aus, die für die Unterbringung von US-Truppen genutzt werden können, aber auch zum Einlagern von Kriegsgerät in grosser Nähe zu möglichen Kriegsschauplätzen (Army Prepositioned Stock APS).

Befanden sich derlei Einrichtungen bislang meist nahe der Hauptstadt Manila oder auf der von Unruhen erschütterten Insel Mindanao, so sollen nun militärische Einrichtungen in der Provinz Cagayan und auf der Insel Palawan hinzukommen; Cagayan liegt ganz im Norden der Hauptinsel Luzon, nur wenige hundert Kilometer von Taiwan entfernt, während sich vor der Westküste Palawans die zwischen den Philippinen und China umstrittenen Inseln der Spratly-Gruppe befinden.11 Auf den Philippinen dehnen die Vereinigten Staaten ihre Manövertätigkeit ebenso aus wie die Rüstungslieferungen an die Streitkräfte ihrer ehemaligen Kolonie. Systematisch aufgerüstet wird auch Taiwan.12

«Wir werden 2025 kämpfen»

Unterdessen macht ein US-Luftwaffengeneral mit der Einschätzung Schlagzeilen, ein Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und China sei nicht mehr weit entfernt. «Ich hoffe, ich irre mich», äusserte kürzlich General Mike Minihan, Kommandeur des Air Mobility Command: «Mein Bauch sagt mir, wir werden im Jahr 2025 kämpfen.»13 Minihan fordert die ihm untergebenen Militärs auf, sich auf ein solches Szenario einzustellen; es werde darum gehen, «innerhalb der ersten Inselkette zu kämpfen und zu gewinnen».

Die erste Inselkette erstreckt sich von Japan und seinen südwestlichen Inseln über Taiwan und die Philippinen bis nach Borneo. Es ist das Gebiet, in dem die USA aktuell ihre Militärpräsenz ausweiten. Die verstärkte Kooperation mit Japan macht die Nato und mit ihr zugleich auch die Bundesrepublik zur Partei in einem etwaigen US-Krieg gegen China – Deutschland umso mehr, als Berlin auch die nationale Militärkooperation mit Japan intensiviert. (german-foreign-policy.com berichtete14)

* Das Nachrichtenmaterial der «Informationen zur Deutschen Aussenpolitik» (german-foreign-policy.com) stammt aus öffentlich zugänglichen Quellen, aus Korrespondentenberichten sowie Expertisen assoziierter Wissenschaftler, die das Kontinuum der deutschen Außenpolitik in Einzelaspekten untersuchen. Weitere Informationen auf: https://www.german-foreign-policy.com/info/editorial

Quelle: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9152, 3. Februar 2023

1 S. dazu Alte Freunde.

2 Relations with Japan. nato.int 23.05.2022

3 S. dazu Global Nato.

4 Secretary General in Tokyo: No Nato partner is closer or more capable than Japan. nato.int 31.01.2023.

5 Joint Statement. Issued on the occasion of the meeting between H.E. Mr Jens Stoltenberg, Nato Secretary General and H.E. Mr Kishida Fumio, Prime Minister of Japan. nato.int 31.01.2023

6 S. dazu Deutschland im Indo-Pazifik (VI).

7 Michelle Ye Hee Lee, Ellen Nakashima: Japan to buy Tomahawk missiles in defense buildup amid fears of war. washingtonpost.com 12.12.2022.

8 Japan, Australia upgrade security pact against China threat. cnbc.com 23.10.2022.

9 Majid Sattar: Washington und Tokio weiten Militärkooperation aus. faz.net 13.01.2023.

10 Kathrin Hille: US military deepens ties with Japan and Philippines to prepare for China threat. ft.com 08.01.2023.

11 Jim Gomez: US seeks expansion of military presence in Philippines. apnews.com 21.11.2022.

12 S. dazu Spiel mit dem Feuer (II).

13 Courtney Kube, Mosheh Gains: Air Force general predicts war with China in 2025, tells officers to prep by firing ‘a clip’ at a target, and ‘aim for the head’. nbcnews.com 27.01.2023.

14 S. dazu Mit der Luftwaffe an den Pazifik sowie Die neue Achse Berlin-Tokio.

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