Deutschland

«Handwerker für den Frieden»

Kongress von Handwerkern und Unternehmern in Dessau-Rosslau

von Marita Brune

(18. April 2023) Für einmal waren es nicht die bekannten Gruppen der klassischen deutschen Friedensbewegung, die zu einem Kongress für den Frieden einluden. Dieses Mal kam die Initiative mitten aus der Gesellschaft, von Handwerkern und Unternehmern aus dem Mittelstand. Am Sonntag, den 2. April 2023, luden sie zum «Handwerker-Friedens-Kongress» nach Dessau-Rosslau in Sachsen-Anhalt. Eingeladen hatte Karl Krökel, Obermeister der Dessauer Metallinnung. Mit etwa 250 Menschen kamen etwa doppelt so viele Interessierte wie erwartet ins Technikmuseum «Hugo Junkers». Stargast der Veranstaltung war Frau Gabriele Krone-Schmalz, langjährige Russland-Korrespondentin der ARD.

Karl Krökel, Kreishandwerksmeister und
Initiator von «Handwerker für den Frieden».
(Bilder gk)

In seiner Eröffnungsrede sprach Karl Krökel die Meinungsdiktatur in Zeiten des Krieges an. Seit einigen Monaten engagiert er sich als Handwerksmeister und Unternehmer für den Frieden und für den Erhalt der deutschen Wirtschaft. Für sein Engagement wurde er in der heute leider üblichen Art und Weise angegriffen und verleumdet, wie so viele, die sich öffentlich wirksam dem herrschenden «Narrativ» entgegenstellen. Er hat standgehalten und hält weiterhin Kurs. Die Organisation dieses Kongresses beweist seine Unbeugsamkeit und seinen Mut.

«Entschuldigen Sie sich nie für die eigene Meinung»

Karl Krökel sprach vom Krieg gegen die Meinungsvielfalt und rief dazu auf, sich dem Diktat nicht zu beugen: «Entschuldigen Sie sich nie für Ihre eigene Meinung!» ermutigte er die Teilnehmer. Dass die Friedensverhandlungen 2022 gescheitert sind, sei ein Versagen der Politik. «Wenn einseitig gesprochen wird, kommen auch einseitige Entscheidungen zustande» – und somit wächst die Gefahr des Atomkriegs. Es ist Aufgabe der Politik, diesen Ernstfall zu vermeiden. «Tut sie das nicht, ist es die Pflicht der Bürger, aufzustehen.»

Erzwungener «demokratischer» Konsens ist die Vorstufe zum Faschismus

Frau Professor Krone-Schmalz, Russlandexpertin und langjährige ARD-Korrespondentin, thematisierte zu Beginn ihres Referats1 die Meinungsdiktatur und einseitige Propaganda in Medien, Politik und veröffentlichter Meinung. Als Beispiel nannte sie unter anderem den Begriff «Kriegsmüdigkeit». Das sei eine perverse Bezeichnung für den Willen zum Frieden.

Prof. Gabriele KroneSchmalz: «Demokratie geht nicht,
wenn Bürger sich wegducken.» (Screenshot einer
Aufnahme)

Begriffe wie «Demokratie» und «wertebasierte Politik», die heute ständig angeführt werden, verlören an Glaubwürdigkeit, weil in der Realität viele Menschen, die sich der herrschenden Meinung nicht anschliessen, ausgegrenzt werden und sich in der öffentlichen Debatte nicht wiederfinden. Die Folge sei, dass viele Menschen sich nicht mehr öffentlich äussern wollten. Das sei aber eine Gefahr für die Demokratie, denn «Demokratie geht nicht, wenn Bürger sich wegducken».

Dass schweigende Mehrheiten zur Katastrophe führen, hätten wir im letzten Jahrhundert leidvoll erfahren. Menschen, die die Zeit des Nationalsozialismus’ noch miterlebt haben, würden empfinden, dass die Atmosphäre heute der damaligen sehr ähnelt. Krone-Schmalz zitiert die Zuschrift eines Bürgers: «Demokratischer Konsens ist die Vorstufe zum Faschismus, egal welcher Art», und forderte auf: «Wehret den Anfängen». Wenn es uns nicht gelingt, die Entwicklung zu stoppen, stimmte sie Karl Krökel zu, droht der atomare Supergau.

« Mündige Bürger sind systemrelevant in der Demokratie», konstatierte Frau Krone-Schmalz. Die Voraussetzung sei, sich so gut und so umfassend wie möglich zu informieren.

«Verstehen» ist nicht gleich «Akzeptieren»

Frau Krone-Schmalz sprach auch die absurde, als Diffamierung missbrauchte Bezeichnung «Russlandversteher» an. Mit diesem Begriff wird sie ja heute auch aus der medialen Debatte ausgegrenzt. Sie erklärte, dass «Verstehen» nicht mit Akzeptieren gleichzusetzen sei, aber ein Perspektivenwechsel sei nötig.

Verstehen sei die selbstverständliche Voraussetzung, Dinge zu beurteilen. «Haltungsjournalismus», wo Journalisten nicht der Suche nach Verstehen, nach Wahrheit verpflichtet sind, sondern eine Haltung vertreten und alles Geschehen nur durch diese Brille sehen, sei falsch; Journalisten dürfen sich im Meinungsstreit nicht auf eine Seite stellen, sondern müssten sich um Objektivität bemühen.

Mit dem Begriff «Narrativ» dagegen distanziere man sich bereits von der Wahrheit. Es geht nur noch um eine Art «Erzählung». Wenn ein Narrativ durchgesetzt sei, «ist jeder verdächtig, der anders redet».

Auch die Aufteilung der Welt in Gut und Böse spricht sie an: Eine Verurteilung des Bösen sei eine «Bankrotterklärung der Politik». Politische Analyse durch Moral zu ersetzen, führt in die Irre. Politik müsse Dinge bis zu Ende denken und Menschen im Blick haben, nicht abstrakte Prinzipien verfolgen.

Ein vermeidbarer Konflikt

Ausführlich nahm sie zur Genese des Ukraine/Russland-Konflikts Stellung. Ehemalige Sowjetrepubliken hätten mit Moskau noch Rechnungen offen. Das sei verständlich, doch diese Konflikte würden sie in den heutigen Konflikt hineintragen. Es sei tragisch, dass die EU ausgerechnet diesen Staaten und ihrem Ressentiment gegen Russland die Meinungsführerschaft und die Handlungsdirektiven überliesse – mit gravierenden Folgen.

Nach Auflösung der Sowjetunion sei Jelzin den Empfehlungen der Wirtschaftsliberalismus gefolgt. Die bekannten Folgen seien Wildwestkapitalismus, galoppierende Korruption, Verarmung der Bevölkerung gewesen. Oligarchen wären in dieser Zeit gross geworden, sie hätten sich das Eigentum des Volks hemmungslos angeeignet. Es habe Anarchie geherrscht, es gab keinerlei staatliche und rechtliche Strukturen. Das Ansehen von Demokratie und Liberalismus sei durch diese Zustände nachhaltig beschädigt worden. Doch im Westen seien Russen, die Jelzin für seine Politik kritisierten, als rückwärtsgewandte Kommunismus-Verherrlicher kritisiert worden.

Putin sei das Kontrastprogramm zu Jelzin gewesen. Er habe dem Volk das Selbstvertrauen zurückgegeben. Putin sprach von der «Diktatur des Gesetzes». «Der Westen hörte ‹Diktatur›, die Russen hörten ‹Gesetz›». Die Russen wollten Stabilität und ein Auskommen, das sei ihnen wichtiger als Demokratie gewesen. Deshalb hätten sie Putin zugestimmt.

Putin, will nicht zurück zur Sowjetunion, Frau Krone-Schmalz zitiert ihn: «Wer die Sowjetunion nicht vermisst, hat kein Herz, wer sie sich zurückwünscht, keinen Verstand.» Er habe die Anbindung und die Kooperation mit dem Westen gesucht. Wäre er in seiner ersten und zweiten Amtszeit vom Westen angenommen worden, hätte sich die russische Gesellschaft völlig anders entwickelt, viel freier. Jetzt würde sich aufgrund des Risikos, vom Westen angegriffen zu werden, eine Wagenburgmentalität bilden.

EU: Keine eigenständige Politik

Leider hätten sich in Europa Stimmen nicht durchsetzen können, die eine von der Nato unabhängige militärische Stärke aufbauen wollten. Sonst wäre eine eigenständige Politik gegenüber Russland möglich gewesen. Der jetzige Konflikt hätte nicht entstehen müssen. In der EU gäbe es auch keine offizielle Stimme gegen Selenskis Kriegsrhetorik. Trotzdem sei die Mehrheit der Deutschen für Verhandlungen. Der ehemalige britische Premierminister Boris Johnson habe jedoch Friedensverhandlungen verhindert.

Frau Krone-Schmalz zitiert den Völkerrechtler und ehemaligen UN-Beamten Alfred de Zayas: Sowohl die Amerikaner als auch die EU hätten kein Recht, das Überleben des Planeten für innereuropäischen Streit aufs Spiel zu setzen.

Schliesslich geht sie noch auf den Vorwurf der Abhängigkeit von Russlands Energielieferungen ein und meint, wirtschaftliche Abhängigkeit gehöre zur Globalisierung. Jeder, der Handel betreibe und wirtschaftlich tätig sei, sei «abhängig» von seinen Geschäftspartnern. Was denn die Alternative dazu sei? Oder sei Abhängigkeit von Saudi-Arabien besser?

Zum Schluss beruft sie sich auf die kürzlich verstorbene Theologin und Grüne der ersten Generation, Antje Vollmer, die gesagt hat: «Wir müssen Hass und Krieg verlernen.» Und sie fügte hinzu: Gelernte Demokratie ist, sich einzumischen mit faktenbasierter Meinung. Mit stehenden Ovationen bedankten sich die Teilnehmer des Kongresses bei Frau Professor Krone-Schmalz.

Handwerker und Friedensaktivisten auf dem Podium.

Kriege sind die grössten Umweltzerstörer

Der Physiker und Konfliktforscher Professor Dr. Jürgen Scheffran wies in seinem Vortrag zum Thema «Umwelt und Krieg» darauf hin, dass Kriege schon immer die grössten Umweltzerstörer waren, auch der aktuelle Ukraine-Konflikt mache da keine Ausnahme. Aus dem «Klimakanzler» sei nun ein «Kriegskanzler» geworden. Das Militär setze mehr Emissionen frei als ganze Länder. Eine der grössten Gefahren seien die Hinterlassenschaften von Atombomben. Im Ukraine-Krieg hätten die Ukrainer Staudämme zerstört, um das Gelände für Russen unpassierbar zu machen. Auch die Verseuchung von Luft und Böden sowie die Zerstörung der Infrastruktur, deren Wiederaufbau wieder viel Energie kosten würde, seien extrem klimaschädlich. Erstaunlich war, dass Herr Professor Scheffran nicht auf den Einsatz von Waffen mit abgereichertem Uran (DU = depleted uranium) hinwies, den London angedroht hat. Diese Munition hat ja im Krieg gegen Serbien Luft und Böden verseucht und nicht nur Kriegsteilnehmer sondern auch Nachgeborene furchtbar geschädigt.

«Wir Handwerker brauchen Frieden. Im Kriegszustand kann kein Handwerk gedeihen.»

In drei Foren wurde lebendig diskutiert, die Ergebnisse wurden zum Schluss im Plenum präsentiert. Das Schlusspodium wurde massgeblich von Vertretern der Innungen und weiteren Handwerkern bestritten. Sie berichteten von Ihrem Einsatz mit Stellungnahmen, Brandbriefen und der Organisation von Kundgebungen, aber auch vom Gegenwind, der ihnen aus den Kammern entgegenschlägt.2 Aber, so bemerkte ein Dachdecker in traditioneller Dachdeckerkluft, die Handwerker hätten den Vorteil, dass sie nicht so leicht in eine politische Ecke gedrängt werden könnten, sie seien weder links noch rechts zuzuordnen und auch nicht der Querdenkerszene.

«Abwicklung» einer Industrie

Peggy Lindemann, Chemiemitarbeiterin und Betriebsrätin der Erdölraffinerie Schwedt, nahm am Podium teil. Die Raffinerie Schwedt hat jahrzehntelang russisches Öl aus der Drushba-Leitung raffiniert. Öl, das nun aufgrund der Sanktionen ausbleibt. Tausende von Arbeitsplätzen und damit eine ganze Region stehen auf dem Spiel. Frau Lindemann setzte sich innerhalb der Gewerkschaft gegen die Sanktionen und damit gegen die Deindustrialisierung zur Wehr, erfährt jedoch dort keine Unterstützung. Offensichtlich stützen die Gewerkschaften den offiziellen politischen Kurs. Offiziell erhält Schwedt nun ersatzweise Öl aus anderen Quellen. Von Frau Lindemann erfuhren wir jedoch, dass dieses Öl viel leichter als das russische sei, dass man damit kein Bitumen herstellen könne, das zur Herstellung von Asphalt benötigt wurde. Ausserdem soll das leichtere Öl die Raffinerie-Anlagen schädigen. Auf Dauer bedeutet dies: Schwedt wird runtergefahren, eine Industrie und eine Region werden «abgewickelt».

Verschiedene Handwerksmeister schilderten, dass sie aufgrund ihrer Aktivitäten für den Frieden von Medien und zum Teil auch von den bundesweiten Kammern heftigem Gegenwind bis hin zu Verleumdungen ausgesetzt sind. Klaus Lothar Bebber, Obermeister der KFZ-Innung Dessau, bezog sich auf ein Schreiben zu den Sanktionen gegen Russland, in dem die Handwerkskammer Deutschland Bundeskanzler Scholz versichert: «Das Handwerk steht geschlossen hinter Ihnen.» Und das, nachdem der Handwerkskammer bereits mehrere Brandbriefe von Handwerksinnungen aus dem Osten Deutschlands vorgelegen haben, die deutlich gegen diese, die deutsche Industrie und vor allem den Mittelstand nachhaltig schädigende Politik Stellung genommen haben. Auf den Protest der Handwerker gegen seine Stellungnahme ging Herr Wollsiefer, der damalige Vorsitzende der Kammer, nicht ein.

Ein Handwerker aus Oranienburg fasste das Anliegen seiner Kollegen zusammen: «Wir Handwerker brauchen Frieden. Im Kriegszustand kann kein Handwerk gedeihen.»

Voll besetzte Reihen im Technikmuseum «Hugo Junkers».

Friedensbündnisse mit allen, die Frieden wollen

Ein Hauptthema in den Foren und auf dem Podium war die Frage, mit wem kann und soll man zusammenspannen, um dem Krieg etwas entgegenzusetzen und eine starke Friedensbewegung zu beleben. Dazu nahm Reiner Braun,3 ein Urgestein der deutschen Friedensbewegung, sehr pointiert Stellung.

Er sprach die Spaltung der deutschen Friedensbewegung an, die mehr darum bemüht sei, sich gegen Rechte und Konservative und Sonstige abzugrenzen, als sich um den Frieden zu bemühen. So kann keine starke Bewegung zustande kommen, meinte Rainer Braun und postulierte: «Wenn ich Linker bin, muss ich doch rechtsoffen sein, mit wem sonst soll ich denn Bündnisse machen?»

Der Protest der Handwerker sei sehr wichtig und ermutigend. Überhaupt seien die Menschen im Osten rebellischer als die im Westen. Wir sind nicht allein, erklärte er, die Mehrheit der Menschen in der Welt wollen Frieden. Wir müssen mit den Menschen reden: Am Arbeitsplatz, im Kirchenchor, im Sportverein, in der Gewerkschaft. Weil Menschen Geschichte machen, können nur sie in Institutionen Veränderungen bewirken, Veränderungen müssen in den Köpfen passieren.

Dem schloss sich auch Christine Reymann, Journalistin und Friedensaktivistin an. Sie sei unbedingt dafür, mit vielen in der Friedensbewegung zusammenzuarbeiten. «Wir müssen uns auf das Wesentliche konzentrieren: Auf Waffenstillstand und Verhandlungen. Dann können wir weitersehen. Wir dürfen uns nicht spalten lassen, sondern sollten uns gegenseitig ermutigen. Es braucht eine Vielfalt in der Friedensbewegung.»

Mit diesen ermutigenden und richtungsweisenden Stellungnahmen endete der Handwerkerkongress für den Frieden. Karl Krökel kündigte bereits weitere Aktionen und Vernetzungen an. Wir dürfen also gespannt sein.

1 Videoaufnahme Referat Frau Krone-Schmalz unter: https://handwerker-fuer-den-frieden.de/mediathek/

2 Die Kammern sind bundesweit organisiert. Sie sind den regionalen und branchenverbundenen Innungen übergeordnet. Die Handwerker müssen sich dort organisieren, es handelt sich also um Zwangsmitgliedschaften. Der Präsident der Kammer wird nicht gewählt. So kann es passieren, dass eine Kammer im Namen «der Handwerker» spricht, ohne dass diese befragt wurden, ja sogar, wenn sie ausdrücklich erklärt haben, mit einer Position nicht einverstanden zu sein.

3 Reiner Braun war u.a. Executive Direktor und Co-Präsident des International Peace Bureau, IPB, in Genf.

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