Staaten ohne Regierung

Regierungen über BlackRock & Co verwaltet

von Robert Seidel

(11. Januar 2024) Der Eindruck, dass gewählte Regierungen nicht mehr die Geschicke eines Staates bestimmen, sondern dass zunehmend andere Kräfte die Politik gestalten, verdichtet sich. Beispiele dafür sind der politisch, wirtschaftlich, militärisch und finanzielle Gleichschritt der westlichen Regierungen. So im Ukraine-Konflikt – inklusive der fahrlässigen Aufgabe der Neutralität der Schweiz durch den Bundesrat im Frühjahr 2022, dazu der gespenstische Konfrontationskurs gegen China oder die schleichende Ausserkraftsetzung demokratischer Freiheitsrechte durch neue WHO- oder Umweltvorschriften.

Was und wer sind diese Kräfte, die ihren Einfluss ausserhalb demokratischer Regeln durchsetzen? Ein in diesem Zusammenhang bisher zu wenig beachteter Akteur sind die sogenannten «Vermögensverwalter» oder «Finanzdienstleister», die seit drei Jahrzehnten verstärkt die nationalen Politiken bestimmen.

Die Behauptung, dass «Finanzdienstleister», wie beispielsweise BlackRock, Vanguard, Morgan Stanley oder Amundi, weltweit relevanten Einfluss auf die Wirtschaft haben – sei es über Banken, Immobilientrusts, Ratingagenturen, Rüstungs-, Energie-, Medien- oder Chemiekonzerne – erweist sich immer deutlicher als zutreffend. Aber nehmen diese Finanzdienstleister auch Einfluss auf die Politik?

Werden demokratische Verfahren und Rechte umgangen? Überspitzt gefragt: Bestimmen die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger oder bestimmt die «Finanzanalystin» von BlackRock das Geschehen im Lande?

BlackRock im Weissen Haus

Seit 2008 ist öffentlich bekannt, dass der Einfluss der Finanzdienstleister tief ins Weisse Haus hineinreicht. Larry Fink, CEO von BlackRock, gehört zum engen Beraterkreis der US-Administration, aber auch bei der FED. BlackRock übt massiv Einfluss auf die US-amerikanische Politik aus. Kaum vorstellbar, aber Realität. Auch über Europa hat sich ein «Mehltau» gelegt, so arbeitet der ehemalige Chef der Schweizerischen National Bank SNB, Philipp Hildebrand, heute als Vice Chairman bei BlackRock. Der deutsche CDU-Chef Friedrich Merz war zwischenzeitlich als Aufsichtsratsvorsitzender für BlackRock tätig. Die personellen Verflechtungen zwischen Finanzdienstleistern und demokratischen Ämtern sind sehr eng geworden. Man denke nur an Politiker wie Mario Draghi oder Manuel Barroso …

Ein Blick zurück

Seit der Deregulierung des Finanzsektors Mitte der 1990er Jahre boomt das Geschäft der Finanzdienstleister. 1996 setzte Bill Clinton den Glass-Stegall-Act ausser Kraft. Dieses Gesetz verbot seit 1933 den US-Banken ihren Geschäfts- und Investmentteil miteinander zu verknüpfen: Geschäftsguthaben sollten nicht für Spekulationsgeschäfte verwendet werden können, um einen Absturz wie in der Weltwirtschaftskrise von 1929 zu verhindern, bei dem Millionen Menschen ins Unglück gestürzt wurden. Der Glass-Stegall-Act ist abgeschafft: Seit 1996 startete das Finanzkasino neu durch. Nun umfassend und global.

Die «Heuschrecken»

In dieser Zeit entstanden die «Investmentunternehmen», die der ehemalige deutsche Vizebundeskanzler und Bundesminister, Franz Müntefering, als «Heuschrecken» bezeichnete. Sie kauften mit ihrer geballten Finanzkraft weltweit Grossunternehmen und mittelständische Unternehmen auf und «verwerteten» sie. Um kurzfristige Profite zu «realisieren», wurden aus Unternehmen, in denen die «Heuschrecken» genügend Einfluss gewonnen hatten, vielfach wertvolle Unternehmensteile direkt verkauft oder outgesourct. Reste wurden möglichst gewinnbringend verscherbelt. Massenentlassungen oder längerfristige Geschäftsstrategien spielten keine Rolle. Den Teilhabern sollte eine schnelle Rendite ausgezahlt werden.

Staaten geraten unter die Heuschrecken

Auf Druck änderten die meisten Staaten seit den 1990ern ihre Gesetzgebung, so dass lukrative staatliche oder staatstragende Unternehmen verkauft werden durften («Liberalisierung»). Das geschah hauptsächlich über internationale Organisationen wie die WTO, den IWF oder die Weltbank. Dort besassen die USA massgeblichen Einfluss. Im Rahmen der «Globalisierung» witterten aber auch europäische Finanziers Morgenluft. Regierungen wurden dazu veranlasst, nationale Schutzrechte, Zölle oder «goldene Aktien» aufzugeben, die die eigene Wirtschaft bisher geschützt hatten. Direktinvestitionen der «Investmentgesellschaften» aus dem Ausland wurden möglich (so z.B. über die GATS-Verträge, die u.a. Einrichtungen der Daseinvorsorge betrafen). Der Ausverkauf der schwedischen Grossindustrie (Saab oder Volvo) sind ein Beispiel. Oder der Ausverkauf Deutschlands: mittelständische Unternehmen, aber auch Banken, Chemie-, Autokonzerne oder andere deutsche Grossindustrien. Selbst Rüstungskonzerne befinden sich in Hand von US-amerikanischen Finanzdienstleistern (z.B. Rheinmetall-Konzern).

Geflecht von globalen «Finanzdienstlern»

Heute sind die globalen «Finanzdienstleister» wechselseitig und gemeinsam in der Lage, die Strategien grosser Konzerne zu bestimmen. Ihr Ziel bleibt eine maximale Rendite für Anleger und Aktionäre. Sie sind keine Wohltätigkeitsvereine: Arbeitslose werden über die staatlichen Kassen finanziert – also aus den Steuern der Bürger. Die Besteuerung der Finanzdienstleister wiederum tendiert dagegen gegen Null.

Globale Kartelle

Ein echter wirtschaftlicher Wettbewerb zum Wohle aller zwischen den einzelnen Wirtschaftsunternehmen im Sinne einer gesunden Konkurrenz wird auf diese Art ausgeschaltet. Über ihre Anteile besitzen die «Dienstleister» global in fast allen wichtigen Konzernen massgeblichen Einfluss; also auch bei den «Konkurrenz»-unternehmen. Klassischerweise spricht man von einem «Kartell» –, also einem globalen Kartell. Weltweit können Absprachen getroffen werden, Angebot und Nachfrage beeinflusst werden. Preise können nach oben oder unten befördert werden, prosperierende Geschäfte ganz einfach geschlossen werden. Wettbewerb? Marktwirtschaft zum Wohle aller? Werner Rügemer kommt das grosse Verdienst zu, dieses menschenverachtende Geflecht haarklein nachgezeichnet zu haben (Werner Rügemer. BlackRock&Co. enteignen! Auf den Spuren einer unbekannten Weltmacht. Nomen-Verlag 2021).

Krieg für die Rendite

Aktuell maximieren viele Finanzdienstleister Gewinne in den Bereichen «Green Deal», Energie, Rüstung/Waffen und im zu erwartenden Wiederaufbau zerstörter Landstriche. Global.

Konflikte können auch ökonomisch betrachtet werden. Gewinne in Rüstungskonzernen steigen, wenn mehr Rüstungsgüter verkauft werden. Eine Nachfrage für Rüstungsgüter entsteht bekannterweise dann, wenn viele Waffen von den kriegsführenden Staaten in militärischen Konflikten «verbraucht» werden oder wenn Staaten sich bedroht fühlen und deshalb Waffen kaufen. Mit ihrem finanziellen Interesse an Kriegen tangieren die Finanzdienstleister eine Kernaufgabe aller Staaten – nämlich den Frieden zu garantieren. Gerade heute, wegen der aktuellen Gefahr eines atomaren Schlagabtauschs, eine existenzielle Frage.

Kriege zerstören das menschliche Zusammenleben. Jeder möchte sein oft ohnehin schon kompliziertes Leben in Ruhe führen können, ohne in einen lebensgefährlichen Krieg zu geraten oder durch ihn leiden zu müssen.

Die genuine Aufgabe jeder gewählten Regierung wäre es, für Frieden zu sorgen.

An dieser Stelle besteht ein unausgesprochener Interessenskonflikt zwischen dem Allgemeinwohl und den Interessen der «Finanzdienstler»: Mit ihrem Einfluss in Regierungen, auf Medien und damit auf die «Meinungsbildung» können sie inzwischen die öffentlichen Debatten beeinflussen. Sie möchten die Umsätze in ihren Rüstungsunternehmen steigern und an einem zukünftigen Wiederaufbau maximal profitieren. Sie schlagen sich auf die Seite der «Kriegsgewinnler»: «Krieg ist Geschäft – und Geschäft ist Geschäft». Man denke nur an die Waffenlobbyistin und deutsche FDP-Politikerin Strack-Zimmermann.

Man fragt sich inzwischen, welche unsäglichen politischen Entscheidungen überhaupt schon auf der Grundlage von Expertisen aus dem Umfeld der Finanzdienstleister getroffen wurden.

Wer sind sie?

Im September 2023 sagte der renommierte Ex-US-Oberst Douglas Macgregor auf die Frage, warum die Mainstreammedien so einseitig an der «Siegoption» im Ukraine-Krieg festhielten: «Ich fordere jeden auf, sich die Leute anzusehen, denen die Medien gehören, die das Finanzsystem kontrollieren und die an der Spitze der Regierung stehen. Wer sind sie? Woher kommen sie? Wir haben in diesem Land eine herrschende politische Klasse, die sich in den letzten zwanzig Jahren herausgebildet hat [Hervorhebung rs], aber sie war noch nie so mächtig wie jetzt. […] Ich sage Ihnen: Finden Sie heraus, wer von wem finanziert wird. Dann werden Sie eine Antwort bekommen». (vgl. Weltwoche, 14. September 2023).

Demokratie oder Rendite?

Wer ist Souverän im Land? Die Bürgerin und der Bürger oder die «Finanzanalystin» von BlackRock? Offensichtlich scheint die «Finanzanalystin» in den meisten Staaten des «Westens» die Regierungen unter ihre Fittiche genommen zu haben. Geradezu gespenstisch nimmt sich der Gleichschritt im Ukraine-Krieg, dem China-Bashing, den WHO- oder «Green-Deal»-Bestimmungen aus.

In einer funktionierenden Demokratie müssten die «Dienstleister» ihre Interessen dem Allgemeinwohl unterordnen. Die Politik hat es versäumt, die «Finanzdienstleister» gesetzlich zu regulieren, so wie es für jeden normalen Geschäftszweig und jede reguläre Bank üblich ist. Deshalb bezeichnet man diese Institute auch als «Schattenbanken». Inzwischen ist ihr Einfluss so gross, dass eine Regulierung immer schwerer fällt. – Doch wen wundert es, zum Teil waren die Regierungsmitglieder selbst bei den Finanzdienstleistern angestellt oder erwarteten dort einen Posten – das «Drehtürphänomen». Die Regierungen scheinen zu einem Teil der «Dienstleister» geworden zu sein. Die Transparenz ist verlorengegangen. Griffige Gesetze fehlen bis heute.

Fehlende Transparenz

Zur fehlenden Regulierung gehört die mangelnde Transparenz. Jeder kennt den Geschäftsführer von BlackRock. Er heisst Larry Fink. Aber wer kennt die Inhaber von BlackRock? Wem gehört die Mehrheit von BlackRock und wer entscheidet schlussendlich über den Geschäftskurs? … Alle kennen die «Finanzanalystin», aber ihren Chef kennt niemand…

Wenn man mehr über die Eigentumsverhältnisse von BlackRock erfahren möchte, dann landet man in einem Meer von verschachtelten Aktienpaketen und Briefkastenfirmen – oft auf karibischen Inseln. Die Briefkästen tragen keine persönlichen Namen. Ausgerechnet die US-Administration, die in der Schweiz jedes Bankschliessfach in- und auswendig kennt, lässt eine pikante Sumpflandschaft ganz besonderer Art vor ihrer Haustüre gedeihen.

Briefkastenbesitzer

Wehe, wenn an unserer Steuererklärung etwas nicht stimmt …! Wenn nicht alles vollständig deklariert wurde!

Doch wer besteuert die riesigen Milliardengewinne, die weltweit auf Kosten der Bürger und deren Staaten abgesaugt werden und in dubiosen Briefkästen auf karibischen Inseln landen?

Meinte Macgregor schlussendlich diese anonymen Briefkastenbesitzer? Bestimmen sie den Kurs der Finanzdienstleister? Sie entziehen sich allen staatlichen Kontrollen. Sie zahlen kaum Steuern und entscheiden sich aber mit ihren «Finanzeinlagen» für eine Politik, die das Leben von Milliarden Menschen auf der Erde bestimmt: durch Krieg, Hunger, Krankheit, Tod.

Was tun?

Mit dem Aufstieg des Globalen Südens, der BRICS oder der SCO verändern sich die Spielregeln. Die Dominanz der geld- und machtorientierten US-amerikanischen Elite scheint zu schwinden. Man muss nicht gleich mit Karl Marx fordern, die Expropriateure zu expropriieren.1 Es würde vollkommen ausreichen, bürgerliche Selbstverständlichkeiten wieder einzuführen: die «Schattenbanken» wie normale Banken zu regulieren und die Steueroasen zur Offenlegung aufzufordern – insbesondere die US-amerikanischen, ausserdem die «Philantropen»-Stiftungen wieder regulär zu besteuern sowie den Bürgerinnen und Bürgern in den verschiedenen Staaten ihre Selbstbestimmung zurückzugeben.

So einfach. Mehr nicht, aber auch nicht weniger.

1 Die Expropriateure zu expropriieren. (Die Enteigner zu enteignen). Vgl. «Das kommunistische Manifest». 1848.

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