Chinas Eisenbahn-Infrastruktur
48 000 km für pünktliche Züge mit 350 km/h
von Dr. Peter F. Mayer*
(28. November 2025) Die knapp 1000 Kilometer von Zhengzhou nach Shanghai habe ich in 3:45 Stunden zurückgelegt. 60 Zugspaare befahren die Strecke täglich. Die dichte Bahninfrastruktur Chinas ist einer der Grundpfeiler seines ökonomischen Erfolges, wie Wirtschaftswissenschaftler wie Prof. Michael Hudson oder Prof. Richard Wolff erklären.
(Bild www.tkp.at)
In China gerät vieles grösser als sonst auf der Welt. So auch die Bahnhöfe und das Streckennetz – siehe Bild unten. In grösseren Städten, wie etwa im zentral gelegenen ZhengZhou, bedient der Bahnhof 20 Gleise für die Hochgeschwindigkeitszüge. Chinesische Züge fahren mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 320–350 km/h, europäische Züge erreichen etwa die Hälfte dieser Geschwindigkeit. Das chinesische System verbindet fast alle grösseren Städte und erreicht mehr als 90 Prozent der Bevölkerung.
Der schnellste Zug hält unterwegs an zwei Bahnhöfen, langsamere bleiben an mehr Stationen stehen.
Vorbild waren zweifellos die japanischen Shinkansen-Züge. Ebenso wie diese werden die Strecken mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten befahren. Am ersten Streckenteil betrug Geschwindigkeit um 300 km/h, bei den weiteren der insgesamt drei Teilstrecken erreichten wir etwa 350 km/h. Die Strecken sind so perfekt ausgebaut, dass selbst Bahnhöfe mit unverminderter oder nur geringfügig reduzierter Geschwindigkeit durchfahren werden.
Die Kapazität der Züge beträgt je nach Konfiguration 1000 bis 2000 Passagiere. Es gibt unterschiedliche Klassen, Speisewagen und zwischendurch kleine Buffets sowie Service durch wie in Fliegern einheitlich gekleidetes Zugpersonal. Hier ein Blick in einen Wagen der zweiten Klasse:
Neben den Stecken für Hochgeschwindigkeit gibt es noch ein weiteres und noch dichteres Netz, oft fährt man neben bis zu vier weiteren Trassen, die in verschiedenen Ebenen verlaufen. Allein für die Pfeiler wurden gewaltige Mengen Beton verbaut.
China macht das nicht nur im eigenen Land, mit der Belt & Road Initiative erschliesst man weite Teile Asiens. So etwa mit der Strecke nach Teheran und Bandar Abbas, dem Hafen am Ausgang des Persischen Golf. Aber auch in Ländern wie Montenegro und vielen afrikanischen Staaten.
Als die Europäische Kommission kürzlich ihren 500-Milliarden-Euro-Plan zur Verbindung des Kontinents durch Hochgeschwindigkeitszüge vorstellte, tat sie dies mit der üblichen Fanfare. Modernisierung, grüner Wandel, europäische Integration – wie immer waren die Schlagworte allgegenwärtig. Hinter dem Hype verbirgt sich jedoch eine traurige Wahrheit: Europa schliesst nicht die Lücke zu Chinas Eisenbahnwunder, sondern fällt zunehmend zurück. Trotz all ihrer Ausschüsse, Kommuniqués und Korridorkarten ist die Europäische Union alles andere als schnell.
Bis 2024 umfasste Chinas Hochgeschwindigkeitsnetz bereits rund 48 000 Kilometer – fast viermal so viel wie die europäischen Strecken, die für vergleichbare Geschwindigkeiten gebaut wurden. Peking hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 60 000 Kilometer zu erreichen und bis 2035 auf etwa 70 000 Kilometer zu erhöhen. Europa hat hingegen bisher schätzungsweise 8500 Kilometer echte Hochgeschwindigkeitsstrecken gebaut, die sich hauptsächlich auf Spanien, Frankreich und Italien konzentrieren.
Der Kontrast besteht eher in der Geschwindigkeit als in der Entfernung. Chinesische Züge fahren mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 320 bis 350 km/h, europäische Züge erreichen nur etwa die Hälfte dieser Geschwindigkeit, insbesondere bei Grenzübertritten. Auf den meisten Intercity-Strecken unter 500 Kilometern fährt nur ein winziger Bruchteil der Züge schneller als 150 km/h.
Der Treppenwitz dabei ist, dass die Züge für die Hochgeschwindigkeitsstrecken von der Firma Siemens kommen, allerdings von Siemens China. Das ist allerdings nur der kleinere Teil der Aufgabe, der grössere und entscheidende ist der Ausbau des Streckennetzes, das politischen Willen und Verständnis für Wirtschaft statt für Krieg und Sanktionen erfordert.
Innerhalb von weniger als zwei Jahrzehnten hat China ein Netz aufgebaut, das fast alle grösseren Städte verbindet, mehr als 90 Prozent der Bevölkerung erreicht und Hunderte Millionen Menschen mit vorbildlicher Effizienz befördert. Das Land hat zwischen 2011 und 2021 mehr als eine Billion Dollar in seine Eisenbahn investiert. In China sind mittlerweile 96 Prozent aller Städte mit mehr als 500 000 Einwohnern durch Hochgeschwindigkeitszüge miteinander verbunden.
Unglaublicherweise verfügt die Volksrepublik schätzungsweise über rund 70 Prozent aller Hochgeschwindigkeitsbahnen weltweit. Peking hat dies erreicht, indem es jährlich fast ein Prozent seines BIP für die Eisenbahninfrastruktur ausgegeben hat. Europa gibt etwa ein Drittel davon aus – und beklagt dann, dass sich der Kontinent nur langsam vorwärtsbewegt.
Der Vorschlag der Europäischen Kommission, über einen Zeitraum von zwanzig Jahren eine halbe Billion Euro für die 27 Mitgliedstaaten bereitzustellen, ist kaum ambitioniert. Das Problem Europas ist jedoch sicherlich nicht ein Mangel an Ressourcen. Es ist ein Mangel an strategischem Geschick. Zusammen haben die Union und ihre Mitgliedstaaten seit 2022 etwa doppelt so viel – etwa eine Billion Euro – für Waffenlieferungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, Energierettungsmassnahmen und Wirtschaftshilfe ausgegeben. Dies zeigt, dass der Kontinent nicht in der Lage ist, sich selbst an die erste Stelle zu setzen. Einfach ausgedrückt: Europa hat die Fähigkeit verloren, in sich selbst zu investieren.
Professor Hudson erklärt, was China hat reich werden lassen: Natürlich ist es der Sozialismus, aber es ist auch ein Sozialismus, der genau demselben Muster folgt, das Amerika, Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert verfolgt haben. Es ist Industriekapitalismus und Sozialismus zugleich, denn die Industriellen wollten einen aktiven öffentlichen Sektor. Sie wollten eine aktive öffentliche Infrastruktur, um die Lebenshaltungskosten und die Geschäftskosten niedrig zu halten und ihre Produktion zu subventionieren.1
Neben dem Eisenbahnnetz investiert China auch in andere Infrastruktur wie ein dichtes hochleistungsfähiges Strassennetz, billige Energie, kostenlose schulische und universitäre Ausbildung, ausgezeichnete medizinische Betreuung oder Forschung und Wissenschaft inklusive Grundlagenforschung. All das reduziert Lohnkosten und macht chinesische Produkte kostengünstig gegenüber westlicher Konkurrenz.
Dazu kommt ein über 5 bis 10 Jahre geplante Entwicklung wirtschaftlicher Schwerpunkte. Der Plan bis 2030 wurde Ende Oktober verabschiedet.
| * Peter F. Mayer ist Publizist für Science&Technology. Er ist Herausgeber und Chefredakteur von «tkp – Der Blog für Science&Politik» und ist erreichbar unter home@tkp.at. |
Quelle: https://tkp.at/2025/10/26/chinas-eisenbahn-infrastruktur-48-000-km-fuer-puenktliche-zuege-mit-350-km-h/, 26. Oktober 2025