Weg von Gewalt und Armut

Luz Nassar schloss ihre Ausbildung
als diplomierte Motorrad-Mechanikerin
an der Berufsschule Comayagua
Colonial ab. (© ProJoven)

von Luca Beti

(15. März 2021) Seit 2013 unterstützt die Schweiz in Honduras das Berufsbildungsprojekt «ProJoven». Es hilft benachteiligten Jugendlichen beim Eintritt in die Arbeitswelt. Trotz Covid-19 entwickelt sich das Projekt weiter und überrascht durch seine Anpassungsfähigkeit.

Mirna Mendez ist mit Motoren, Benzingeruch und öligen Händen aufgewachsen – und verliebte sich so in Autos. Täglich arbeitet sie in ihrem ölverschmierten Overall in der Werkstatt. Francesco Chinchilla wiederum war bis zu seinem 9. Lebensjahr ein Strassenkind. Es gelang ihm jedoch, sich dem Schicksal vieler honduranischer Jugendlicher zu entziehen, nämlich in einer kriminellen Jugendbande – einer «Mara» – zu enden. Heute verkauft er als Kleinunternehmer belegte Brötchen, Nachos und Empanadas. Genau wie Mirna und Francesco haben sich Tausende anderer Jungen und Mädchen selbst eine Chance gegeben, indem sie am Projekt ProJoven teilgenommen haben, welches von der NGO Swisscontact realisiert und von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) finanziert wird.

In Honduras leben 64,5 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze, 5,7 Prozent sind arbeitslos, und die Hälfte der Menschen ist unterbeschäftigt. Betroffen sind vor allem Jugendliche. Das entfremdet sie von der Gesellschaft und treibt sie in die Arme der Organisierten Kriminalität. «Mit ProJoven wollen wir Jugendlichen helfen, aus dem Teufelskreis von Gewalt und Armut auszubrechen», erläutert Olga Tinoco, Projektverantwortliche bei Swisscontact.

Gewonnenes Vertrauen des Privatsektors

Das Projekt befindet sich bereits in der zweiten Phase, die Ende 2021 endet. Von 2013 bis 2017 wurde bislang rund 12’000 jungen Leuten zwischen 18 und 30 eine Ausbildung ermöglicht, 4500 haben sich selbstständig gemacht oder haben eine Beschäftigung in personalintensiven Branchen wie der Gastronomie, im Dienstleistungsbereich, dem Tourismus oder dem Bauwesen gefunden. «Das Programm will zusammen mit staatlichen und privaten Akteuren sowohl die Qualität als auch die Quantität der Berufsbildungsangebote in Honduras verbessern. Nur so können wir auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes angemessen reagieren», sagt Angie Murillo Gough. Sie arbeitet als Programmbeauftragte im Kooperationsbüro der DEZA in Honduras und ist für das Projekt zuständig.

Der Erfolg von ProJoven ist der Zusammenarbeit mit zahlreichen Partnern zu verdanken. Darunter finden sich NGOs, Stiftungen, kirchliche Institutionen, Handelskammern, das Ministerium für Wirtschaftsentwicklung und dasjenige für Arbeit und soziale Sicherheit sowie das Nationale Institut für berufliche Ausbildung. «Indem wir das Vertrauen des Privatsektors gewonnen haben, gelang es uns, Beschäftigungsmöglichkeiten für die Jungen zu schaffen», sagt Tinoco. Eine Zusammenarbeit, die unter anderem dazu beitrug, das duale Berufsbildungssystem der Schweiz in das Ausbildungszentrum des Hotels Escuela Madrid in Tegucigalpa zu integrieren.

Gewaltgeplagt

Die Zahl der Morde in Honduras ist eine der höchsten der Welt. 2019 gab es über 4000 Morde – mehr als 10 pro Tag –, 71,5 Prozent davon mit Schusswaffen. Zum Vergleich: Die Schweiz verzeichnete im selben Zeitraum 207 Delikte. In Honduras sind die Opfer vor allem Männer zwischen 15 und 44 Jahren. Hauptmotiv ist die Abrechnung durch Auftragskiller. In Zentralamerika ist die hohe Zahl von Tötungsdelikten vorab auf die Organisierte Kriminalität und rivalisierende Banden zurückzuführen, die sich gegenseitig das Territorium streitig machen, in welchem sie den Kokainschmuggel Richtung USA kontrollieren. In Honduras zwingen Gewalt und unsichere Lebensbedingungen tausende Menschen dazu, ihr Zuhause zu verlassen. Man schätzt, dass es über 250’000 intern Vertriebene gibt. (lb)

Wichtiger Praxisbezug: Der 23-jährige Enixon Daney Bonilla
Arias während seiner Kellner-Ausbildung. (© ProJoven)

Pandemie erfordert neue Lehrmethoden

In der laufenden 2. Phase wollte man ursprünglich 6000 Junge aus dem Zentraldistrikt und den Regionen Golf von Fonseca, La Mosquitia und Atlántida beruflich integrieren. Wegen der Covid-19-Pandemie ist dieses Ziel infrage gestellt. Man befürchtet den Verlust von etwa 350’000 Arbeitsplätzen, und es droht ein weiterer Anstieg der Arbeitslosigkeit um 9,5 Prozent. «Wegen des behördlich angeordneten Lockdowns vergangenen März mussten wir neue Lehrmethoden entwickeln, um die Jungen, die sich für die Kurse eingeschrieben hatten, weiter ausbilden zu können», erläutert Olga Tinoco von Swisscontact.

In kurzer Zeit mussten die Projektverantwortlichen Onlineplattformen und Möglichkeiten zum Fernunterricht bereitstellen, was angesichts der mangelnden Internetabdeckung und fehlender elektronischer Geräte bei den Kursteilnehmern nicht einfach war. Diese waren zudem verunsichert, isoliert und litten unter der Rezession. «Wir merkten, dass wir die Kursteilnehmer auch auf psychosozialer Ebene begleiten mussten, und haben dann einen telefonischen Beratungsdienst eingerichtet», erklärt Tinoco.

Für die jungen Kursteilnehmerinnen war die Covid-Krise jedoch auch eine Möglichkeit, neue Kompetenzen zu entwickeln. ProJoven hatte einige Initiativen zur Unterstützung der Bevölkerung lanciert. So stellten sie beispielsweise in Zusammenarbeit mit einem Privatbetrieb mittels eines 3D-Druckers Ersatzteile für Beatmungsgeräte sowie Schutzmasken und -brillen her.

Eine andere Idee richtete sich an die Kursteilnehmer im Bereich Gastronomie. «Sie bereiteten Mahlzeiten in Ausbildungszentren vor und verteilten sie in den Gesundheitseinrichtungen, an das Personal in den Spitälern und an Bedürftige aus der Bevölkerung», berichtet Tinoco. «Diese Erfahrung wiederum hat viele motiviert, zu Hause Mahlzeiten zuzubereiten und sie dann frei Haus zu liefern und damit ein Einkommen für ihre Familien zu ermöglichen.»

Präventiv und motivierend

In vier Jahren wird die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit in Lateinamerika beendet. Was bleibt von dem Projekt? «ProJoven hat nachhaltig zu einer Modernisierung und Stärkung der Berufsausbildung beigetragen. Zudem hat es in Zusammenarbeit mit dem Privatsektor Arbeitsplätze für Junge geschaffen», antwortet Angie Murillo Gough. «Wir haben vielen Jungen ermöglicht, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben. Und es war auch ein Projekt zur Gewaltprävention», so Olga Tonoco. Das weiss auch Francesco Chinchilla – statt eines jugendlichen Delinquenten wurde er so zu einem ehrbaren Unternehmer und einem Vorbild für seine Tochter.

Quelle: https://www.eine-welt.ch. Eine Welt. Das DEZA-Magazin für Entwicklung und Zusammenarbeit. Nr. 1/März 2021

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