«Nouvelle Planète»

Eine Schweizer Organisation für Entwicklungszusammenarbeit

(30. November 2020)  «Als ich vor 34 Jahren die internationale Hilfsorganisation Nouvelle Planète gründete, hätte ich nicht gedacht, dass sie ein solches Ausmass erreichen würde…», erläutert Willy Randin. «Nouvelle Planète» ist wirklich eine etwas andere Organisation für Entwicklungszusammenarbeit. In den 1970er Jahren beginnt Willy Randin sein zutiefst menschliches internationales Engagement. Er führt medizinische Teams des Roten Kreuzes in kriegszerstörte Länder wie Jemen und Vietnam. In den 1980er Jahren wirkt er als Direktor des Albert-Schweitzer-Krankenhauses in Lambarene, Gabun. – Heute leitet sein Sohn Philippe Randin die Geschicke dieser im Jahr 1986 gegründeten eindrücklichen Hilfsorganisation.

Im Gespräch mit dem «Schweizer Standpunkt» beschreibt Willy Randin die heutigen Aktivitäten: «‹Nouvelle Planète› unterstützt effiziente und nachhaltige Kleinprojekte initiativer lokaler Gruppierungen in mehreren Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Bei dieser Form der Hilfe wird sorgfältig und feinfühlig darauf geachtet, dass dies den wirklichen Bedürfnissen und Wünschen der jeweiligen Bevölkerung entspricht: Unterstützung auf zwischenmenschlicher Augenhöhe. Die Projekte umfassen hauptsächlich die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen, die Förderung von Frauen, des Umweltschutzes und der ländlichen Entwicklung, sowie die Unterstützung von Behinderten und kranken Menschen. Sie orientieren sich immer an grundlegenden Bedürfnissen der benachteiligten Bevölkerung in armen Regionen und werden meist von lokalen Partnern vorgeschlagen. Die lokale Bevölkerung beteiligt sich mit ihren eigenen Mitteln an der Durchführung der Projekte, sei es in Form von Finanzierung, Material und/oder Arbeitskraft. Unser Ziel ist, dass die Projekte baldmöglichst unabhängig werden und wir uns nach einem oder maximal drei Jahren wieder zurückziehen können.

Bei all unseren Aktivitäten bleibt der Geist derselbe – die Umsetzung des Mottos von Albert Schweitzer: ‹Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will. Deshalb muss ich alle Formen des Lebens respektieren.›»

Für weitere Informationen: [www.nouvelle-planète.ch]

 

Hüten wir uns vor dem Corona-Opportunismus

Von Roman Twerenbold und Xavier Mühlethaler, Projektverantwortliche «Nouvelle Planète»

Das Jahr 2020 ist bereits in das kollektive Bewusstsein gemeisselt. Die Corona-Krise hat tiefe Spuren hinterlassen, und ihre Auswirkungen veranlassten verschiedene Hilfsorganisationen dazu, ihre Tätigkeit zu reorganisieren bzw. auf den Kampf gegen das Coronavirus zu fokussieren und bedeutende Sammelaktionen zu organisieren. Bei «Nouvelle Planète» widerstanden wir dieser Versuchung und beschlossen, unserem Leitprinzip treu zu bleiben. Mit unseren Hilfsprojekten verfolgen wir ohnehin bereits das Ziel, die Bevölkerungen in unseren Einsatzländern krisenfester zu machen.

Nein zur Covidisierung

Es besteht die Gefahr einer «Covidisierung», bei der alles andere dem Kampf gegen das Virus untergeordnet wird, so auch die täglichen und systemischen Probleme, die möglicherweise destruktiver als das Covid-19-Virus sind. In den oft informellen Subsistenzwirtschaften sind die Sorgen der Bevölkerungen ganz anders geartet als bei uns. Es ist daher unmöglich, einen Lockdown wie in Europa zu verordnen. Eine gute Gesundheitsversorgung ist aber ebenfalls von grösster Bedeutung. Einen Beitrag in diese Richtung leisten wir beispielsweise in Guinea mit einem Projekt für den Bau eines Gesundheitspostens.

Selbstverständlich haben wir die Hygienemassnahmen in unseren Einsatzländern verstärkt und die nationalen Beschränkungen eingehalten. In Benin, Senegal und Guinea etwa führen wir seit Beginn der Pandemie Schulungen zur Hygiene und zum Händewaschen durch und verteilen Masken an die Projektbegünstigten. Dem Mitläufertum widerstehen heisst nicht, die Realität von Covid-19 verneinen. Es scheint uns aber wichtig, eine kritische Distanz zu wahren.

Die Ungewissheit bleibt

2021 steht im Zeichen der Ungewissheit. Die von uns unterstützten verletzlichen Bevölkerungsgruppen sind den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise besonders stark ausgesetzt. Die Schwankungen der Rohstoffpreise treffen sie direkt. Die Unterernährungsraten in Senegal sind alarmierend, denn die LandwirtInnen konnten ihre Ernten nicht ganz verkaufen: eine Katastrophe in einer Subsistenzwirtschaft, zumal der Staat nicht über die finanziellen Mittel verfügt, um die Bevölkerung zu unterstützen. Unsere Projekte, die Einkommen generieren und die Ernährungssicherheit erhöhen, sind in diesem Kontext besonders nützlich. Übrigens konnte unser Koordinationsteam die Projekte dank einer angemessenen Organisation fast normal umsetzen und so einen Beitrag zur Eindämmung der wirtschaftlichen Auswirkungen leisten.

Die langfristige Entwicklung bleibt unser grösstes Anliegen. Unsere Projekte setzen bei strukturellen Problemen an, die sich infolge der Krise verschlimmert haben. Wir bleiben kohärent und unseren Grundsätzen treu – heute mehr denn je.


Die strahlenden Schülerinnen und Schüler vor der Ausgangssperre (Bild «Nouvelle Planète»)

Für Chancengleichheit kämpfen

Indien/Covid-19 – Gravierende Auswirkungen der staatlich
angeordnete Ausgangssperre im grossen Waldgebiet von Chhattisgarh

Von Xavier Mühlethaler, Projektverantwortlicher «Nouvelle Planète»

Seit 1976 nimmt die Gemeinde Hemalkasa Kinder der Volksgruppe der Madia Gonds bei sich auf. Die ethnische Minderheit der Gondsgruppen wird bis heute als Bürger zweiter Klasse betrachtet und leidet immer noch unter zahlreichen Diskriminierungen. Von 1996 bis 2015 hat «Nouvelle Planète» die Entwicklung der Gemeinschaft Hemalkasa gefördert.

Von einem Tag auf den andern

650 Schülerinnen und Schüler aus mehr als 100 Dörfern werden in der dortigen zweisprachigen Schule unterrichtet – eine Brücke zwischen den zwei Kulturen. Die Mehrheit der Kinder leben dort in einem Internat, denn eine tägliche Heimreise ist nicht möglich. Sie werden von dreissig Lehrkräften und zwanzig SchulmitarbeiterInnen mit Respekt und Einfühlungsvermögen unterrichtet und betreut.

Am 15. März dieses Jahres hat der Staat eine strikte Ausgangssperre verhängt, um die Corona-Epidemie einzudämmen. Die Schule schloss von einem Tag auf den andern, und die Kinder kehrten in ihre Dörfer zurück. Was für zwei Wochen vorgesehen war, hat sich in mehr als zwei Monate verwandelt, obwohl in dieser Region keine Ansteckung mit dem Virus festgestellt wurde. So haben die Kinder die Schulbank gegen die Feldarbeit eingetauscht.

Die Regierung hat zudem die Fortsetzung des Schuljahrs angeordnet aufgrund der Möglichkeit des digitalen Unterrichts. Jedoch: die SchülerInnen von Hemalkasa leben in abgelegenen Weilern ohne Elektrizität, Mobilfunkverbindung und Computer. Die hochgelobte Lösung war leider komplett vom Kontext losgelöst.

Nachholbedarf

Oft sind die SchülerInnen in Hemalkasa die ersten ihrer Familien, die eine Schulbildung erhalten. Die Dorfbevölkerung selbst hat keine Ressourcen, um die Kinder in der Fortsetzung ihrer Bildung zu unterstützen. Die mühsam erarbeiteten Fähigkeiten gehen während Unterrichtspausen rasch verloren. Saniksha Godse, die Direktorin der Schule erklärt: «Je länger die Unterbrechung des Unterrichtes dauert, desto gravierender ist der Verlust.» Auf die Ausgangssperre folgen einige Wochen Schulferien, was im Ganzen einen dreimonatigen Schulunterbruch zur Folge hat. Die Lehrkräfte nutzen diese Zeit, um ihren Unterricht den schwierigen Bedingungen anzupassen, damit bei der Wiedereröffnung, die verlorenen Stunden so gut wie möglich aufgeholt werden können. Was für eine Herausforderung!

Diese Situation macht uns bewusst, dass Krisen, wie die der Corona-Epidemie, zuallererst die bereits Verwundbaren treffen und zudem die soziale Ungleichheit noch weiter verstärken. Benachteiligte haben nicht die gleichen Möglichkeiten wie die Angehörigen der Mittelklasse in Mumbai oder anderswo, um auf die Kollateralschäden zu reagieren. Wir dürfen sie nicht vergessen!

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