Schweiz
NATO-Turbos an der ETH
Das «Center for Security Studies» fordert eine stärkere Einbindung der Schweiz in die Nato. Bedenken um die Neutralität? Fehlanzeige.
von Michael Straumann*
(2. Januar 2025) Jedes Jahr veröffentlicht das Center for Security Studies (CSS) der ETHZ [Eidgenössische Technische Hochschule Zürich] ein Bulletin, das sich mit der schweizerischen Sicherheitspolitik und ihren aktuellen Herausforderungen beschäftigt. 2002 wurde das sicherheitspolitische Forschungszentrum gegründet.1 Seit 2004 pflegt es eine «strategische Partnerschaft» mit dem Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS). Es handelt sich also um eine Denkfabrik, die der Schweizer Landesregierung sehr nahesteht.
Vor diesem Hintergrund sind seine Studien und Forschungsberichte sehr aufschlussreich, um zu erfahren, was gerade der Zeitgeist in der schweizerischen Sicherheitspolitik ist. Seit mehr als drei Jahrzehnten fährt das Verteidigungsdepartement – seit dem Beitritt der Schweiz zur «Partnerschaft für den Frieden»,2 dem Kooperationsprogramm der Nato – einen dezidiert pro-transatlantischen Kurs. Sprich: Mehr Nato, weniger Neutralität, weniger Souveränität.
Auch das Center for Security Studies lässt den transatlantischen Zeitgeist immer wieder durchblicken. Ein aktuelles Beispiel ist das Ende November erschienene «Bulletin zur schweizerischen Sicherheitspolitik 2024».3 Tenor der Publikation: Aufgrund der verschärften internationalen Sicherheitslage müsse die Schweiz ihre Zusammenarbeit mit der Nato vertiefen. Neutralitätspolitische Bedenken? Fehlanzeige.
Das Bulletin dreht sich unter anderem um die gegenwärtige Sicherheitsstrategie der Schweiz, ihre Rüstungspolitik sowie ihre Rolle als neues Mitglied im UNO-Sicherheitsrat. Aktuelle sicherheitspolitische Herausforderungen wie der Ukraine-Krieg, der Gaza-Konflikt und «hybride Bedrohungen» wie Cyberattacken und Desinformationskampagnen werden ebenfalls thematisiert. Der gebetsmühlenartige Appell nach verstärkter Zusammenarbeit mit dem Westen zieht sich wie ein roter Faden durch die Lektüre. Alle Wege führen nach Washington und Brüssel. Bereits im Vorwort («Impulse für die Sicherheitspolitik im Kontext der Zeitenwende») wird ein schwarz-weisses Bild gezeichnet und deutlich gemacht, wer die ‹Guten› sind und wer der ‹Aggressor› ist.
Nur die Russen sind schuld
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine sowie Moskaus Bruch mit dem Westen seien unter anderem verantwortlich für die verschlechterte Sicherheitslage der Schweiz. Hehre Werte wie «Freiheit» und «Demokratie» würden in der Ukraine verteidigt. Russland hingegen wird ein «neoimperiales Selbstverständnis» und eine «revisionistische Aussenpolitik» attestiert. Die Rückkehr des Krieges markiere den «Zerfall der liberalen gesamteuropäischen Sicherheitsordnung», heisst es weiter im Vorwort.
Dass der Krieg bereits mit dem völkerrechtswidrigen Angriff der Nato-Staaten gegen Jugoslawien nach Europa zurückgekehrt ist,4 wird hier wie selbstverständlich ausgeklammert. Eine kritische Reflexion der westlichen Aussen- und Sicherheitspolitik findet im Bulletin nicht statt. Kein Wort über die Nato-Osterweiterung5 und den vom Westen orchestrierten Maidan-Putsch6 im Februar 2014. Kein Wort darüber, dass der Westen permanent die russischen Sicherheitsbedürfnisse ignoriert und bewusst an der Eskalationsschraube gedreht hat. Russland mag zwar eine Teilschuld am Ukraine-Krieg haben. So zu tun, als ob Moskau der alleinige Aggressor in diesem Konflikt wäre, entbehrt jedoch jeglicher faktischer Grundlage. Es war ein Angriffskrieg, ja – allerdings ein provozierter Angriffskrieg.7 Solche Grautöne sind allerdings hier nicht zu lesen.
Teilen die Schweiz und die Nato gemeinsame Werte?
Im Beitrag «Die Arbeit der Strategieschöpfung ist wie Sicherheitspolitik selbst: eine Verbundsaufgabe» wird Markus Mäder interviewt, Staatssekretär für Sicherheitspolitik. «Die Schweiz wird immer noch als verlässliche Partnerin wahrgenommen – auch weil sie sich gegenüber der völkerrechtswidrigen russischen Aggression klar positioniert hat und die Sanktionen mitträgt», so Mäder. In anderen Worten: Mäder begrüsst es, wenn sich die Schweiz gegenüber ihren westlichen Partnern loyal verhält. Sollte dies primär überhaupt eine Rolle spielen? Sollten nicht die Wahrung der eigenen Souveränität und Neutralität im Vordergrund stehen?
Mäder gilt als grosser Befürworter der «Partnerschaft für den Frieden». Seiner Meinung nach würden die Schweiz und die Nato-Staaten gemeinsame Werte teilen, weswegen eine vertiefte Zusammenarbeit naheliegend sei, meinte er zuletzt in einem anderen Interview mit Swissinfo.8 Kulturell mag das zwar stimmen, denn die Schweiz ist tief im westlichen Kulturraum eingebettet. Aber sicherheitspolitisch?
Liegt es wirklich im nationalen Interesse der Schweiz, sich einem Militärbündnis anzunähern, das in den letzten drei Jahrzehnten ununterbrochen völkerrechtswidrige Angriffskriege vom Zaun gebrochen und illegale Staatsstreiche forciert hat? Schadet eine Integration der Schweiz in die Nato nicht vielmehr ihrem aussenpolitischen Prestige und ihrer humanitären Tradition? Wird dadurch wichtigen Institutionen wie dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), die von der Reputation der Schweiz als verlässlichem neutralem Staat leben, nicht eher geschadet? Solche Fragen werden weder vom Center for Security Studies gestellt noch von Markus Mäder beantwortet.
Aufrechterhaltung der regelbasierten Ordnung
In die gleiche Kerbe schlägt die Analyse des Center for Security Studies -Forschungsleiters Andreas Wagner über die geplante sicherheitspolitische Strategie der Schweiz. Im Juni 2024 entschied die schweizerische Landesregierung, eine solche Strategie auszuarbeiten. Wagner empfiehlt unter anderem, «sich auf die Intensivierung der internationalen Sicherheitskooperation zur Aufrechterhaltung einer regelbasierten Ordnung in Europa und weltweit zu konzentrieren». Welche «regelbasierte Ordnung» ist denn hier gemeint? Eine internationale Ordnung, die dem Westen einen Persilschein ausstellt, wenn er die Souveränität anderer Länder verletzt, missliebige Staaten wie Russland jedoch dafür rügt, das Gleiche zu tun?
Fazit
Das Center for Security Studies offenbart mit seinem diesjährigen Bulletin zur schweizerischen Sicherheitspolitik einmal mehr seine pro-transatlantische Ausrichtung. Sich von der Nato und der EU sicherheitspolitisch zu emanzipieren und sich wieder auf eine souveräne Landesverteidigung zu konzentrieren, scheint wohl sowohl beim VBS als auch beim CSS undenkbar zu sein.
* Michael Straumann, Jahrgang 1998, studiert Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Zürich und arbeitet als redaktioneller Praktikant für die Zeitschrift «Schweizer Monat». Er ist der Herausgeber von «StrauMedia». |
Quelle: https://www.straumedia.ch/p/nato-turbos-an-der-eth, 11. Dezember 2024
1 https://css.ethz.ch/ueber-uns.html?utm_source=substack&utm_medium=email
4 https://www.youtube.com/watch?v=ZtkQYRlXMNU&list=PLikqwQMt7PZ--Pa0ko4ZhvMzYC0U0BKS9&index=10
6 https://www.manova.news/artikel/die-andere-seite-der-wahrheit?utm_source=substack&utm_medium=email
7 https://scotthorton.org/product/provoked/?utm_source=substack&utm_medium=email
8 https://www.swissinfo.ch/ger/aussenpolitik/markus-
mäder-es-besteht-ein-natürliches-interesse-an-einer-zusammenarbeit-zwischen-der-nato-und-der-schweiz/72721490?utm_source=substack&utm_medium=email