Nationalrat will sich nicht mit Sky-Shield befassen – Arbeitsverweigerung?
von politbeobachter.ch
(17. Januar 2025) «Was bisher geschah»: Am 7. Juli 2023 unterzeichnete die VBS-Chefin Viola Amherd die Absichtserklärung für den Beitritt zum Sky-Shield sowie die Zusatzerklärung der Schweiz und Österreich im Rahmen des D-A-CH-Treffens in Bern. Die sicherheitspolitischen Kommissionen haben von der Unterzeichnung der Absichtserklärung aus den Medien erfahren. Nach der Genehmigung der Beitrittserklärung durch den Bundesrat am 10. April 2024 wurde die Sicherheitspolitische Kommission am 14. Mai 2024 über die Entscheidung des Bundesrates informiert und dazu konsultiert.
Wo liegt das Problem? Wenn es sich bei Sky-Shield um eine Organisation für kollektive Sicherheit handelt, untersteht der Beitrittsentscheid dem obligatorischen Referendum und über einen Beitritt entscheidet das Stimmvolk (Art. 140. Abs. 1 lit. b BV). Wenn es bei Sky-Shield lediglich um einen Vertrag zur effizienten Beschaffung von Rüstungsgütern geht, darf der Bundesrat selbständig entscheiden (Art. 109b Militärgesetz).
Was ist das Sky-Shield schon wieder? Mit der European Sky Shield Initiative (ESSI) wollen sich europäische Nato-Staaten besser gegen Angriffe durch Geschosse, Flugkörper oder Luftfahrzeuge wappnen. Ziel der Initiative ist also die Stärkung des europäischen Pfeilers in der gemeinsamen Luftverteidigung der Nato. 22 Staaten sind dabei, es gibt aber mit Frankreich, Italien oder Spanien auch Nachbarländer, die nicht mitmachen.
Was wurde entschieden: Entgegen der Empfehlung der sicherheitspolitischen Kommission wollte die Mehrheit des Nationalrats keinen nachträglichen Parlamentsbeschluss zum Beitritt zu Sky-Shield. Er genehmigte damit das Vorgehen von Viola Amherd.
Lesen Sie zum Thema «Neutralität oder Nato» auch folgende Beiträge im «Schweizer Standpunkt»:
https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-schweiz/schweizerische-neutralitaet-oder-kriegsbuendnis-nato.html
https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-schweiz/der-bundesrat-uebergeht-neutralitaet-des-landes.html
https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-schweiz/in-gefaehrlichem-fahrwasser.html
Was der Politbeobachter darüber denkt:
Die Kurzversion: Der Nationalrat ist seiner Verantwortung nicht nachgekommen und hat versäumt, den Bundesrat, der eine klare Kompetenzüberschreitung begangen hat, zurückzubinden.
Die Langversion: Wenn ein Nationalrat oder eine Nationalrätin das Amt antritt, erfolgt die Vereidigung. Der Satz «Ich gelobe Verfassung und die Gesetze zu beachten und die Pflichten meines Amtes gewissenhaft zu erfüllen» wird verlesen. Die neuen Ratsmitglieder antworten «Ich gelobe es». Warum erinnerten sich an jenem Morgen so viele nicht an ihren Eid?
Wir wissen es nicht. Wir haben die Debatte auf der Zuschauertribüne live mitverfolgt und gleich mehrmals die Stirn gerunzelt. «Ziel der Initiative ist also die Stärkung des europäischen Pfeilers in der gemeinsamen Luftverteidigung der Nato», so das deutsche Verteidigungsministerium. Lautet so die Zielsetzung einer Beschaffungsorganisation, die für sich günstige Tarife aushandeln will? Wohl kaum.
Die Unverfrorenheit mit welcher Viola Amherd auch in der Nationalratsdebatte behauptete, es handle sich lediglich um ein Beschaffungsprojekt, ist konsternierend. Sie begründete die bundesrätliche Beitrittsentscheidung zum Sky-Shield damit, dass das ESSI-Momorandum of understanding kein völkerrechtlicher Vertrag im eigentlichen Sinne darstelle, wies aber gleich mehrfach darauf hin, wie wichtig ihr Rechtsstaatlichkeit und die strikte Befolgung der Rechtsgrundlagen sei. Aus diesem Grund sähe sie auch keinen Anlass, dem Parlament das Geschäft freiwillig (und aus Gründen der besseren Abstützung in Parlament und Bevölkerung) zur Beratung zu übergeben.
Warum ignoriert die Chefin VBS Art. 140 Abs. 1 lit. B der Bundesverfassung komplett und beharrt auf der ausschliesslichen Anwendbarkeit des Militärgesetzes zu Beschaffungsfragen (Art. 109b)? Wie steht es um die Kenntnisse unseres Bundesrats zur Normenhierarchie? Glaubt Viola Amherd ernsthaft, dass die Luftverteidigungssysteme, welche beschafft werden, keine Radardaten mit den Nachbarländern teilen und autonom betrieben werden können? Falls ja, wären sie übrigens militärisch nahezu nutzlos. Im Wallis würde man sagen: «Wasser predige ü Wii süüfe».
Fazit: Was anderes ist Sky-Shield als eine Organisation für kollektive Sicherheit oder eine supranationale Gemeinschaft (mit dem Ziel der kollektiven Sicherheit)?
Bundesrat und Nationalrat sind zu unkritisch gegenüber dem Annäherungskurs des VBS an die Nato. Wohin das führt, zeigt exemplarisch der Bundesratsentscheid vom 20. November.
Die Schweiz soll am nächsten Crisis Management Exercise (CMX) der Nato im ersten Quartal 2025 teilnehmen. Dabei werden Stabsoffiziere der Schweizer Armee in eine Artikel-5-Übung der Nato einbezogen. Dies bedeutet in der Praxis, dass Kader der Schweizer Armee mitmacht, wenn die Nato einen russischen Angriff simuliert und die Verteidigung probt. Schliesslich wollen wir vorbereitet sein. «So geht das!»
Quelle: https://politbeobachter.ch/nationalrat-will-sich-nicht-mit-sky-shield-befassen-arbeitsverweigerung/, 14. Dezember 2024
Ergänzende Informationen zum Artikel:
https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-sik-n-2024-05-14.aspx
https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20243474
https://www.bmvg.de/de/aktuelles/european-sky-shield-die-initiative-im-ueberblick-5511066
https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20243012
https://weltwoche.ch/story/der-nato-suendenfall/?postcomments