Mutiert die Schweiz zu einem «City-State»?
Krasse Fehleinschätzungen der Politik korrigieren
von Hans Bieri, Geschäftsführer der SVIL,* Zürich
(1. November 2024) (CH-S) Am 9. Oktober 2024 endete die Vernehmlassung zur Verordnung zum von
den eidgenössischen Räten verabschiedeten Raumplanungsgesetz 2 (RPG 2). Diese Verordnung entscheidet darüber, wie die Schweiz in Zukunft ausserhalb der Bauzonen aussehen soll und wie ihre Flächen genutzt werden. War das ein mediales Thema? Kaum.
Es geht darum, wie man den Nutzungsdruck aus den ungebremst wachsenden Agglomerationen auf die Landschaft auffangen und ordnen soll. Die vielen ausserhalb der Bauzonen in der Landschaft vorhandenen Bauten stehen unter enormem Erholungs- und Freizeitdruck aus den weiter wachsenden Agglomerationen.
Diese Immobilieninteressen unterminieren nicht nur den landwirtschaftlichen Bodenmarkt und konkurrenzieren und erschweren die Landwirtschaft und das landwirtschaftliche Bauen in der Landwirtschaftszone. Sie wirken auch eigentlich wie Pionierpflanzen des masslos das ganze Land überwuchernden City-State mit seiner unbegrenzt wachsenden Bevölkerungszahl.
Hans Bieri verfügt als Geschäftsführer der SVIL (Schweizerische Vereinigung Industrie und Landwirtschaft) über Jahrzehnte Erfahrung auf diesem Gebiet. Er weist auf die entstehenden Probleme der Versorgungssicherheit hin, wie sie sich auch in vielen anderen Staaten stellen. Im Folgenden veröffentlichen wir einen Auszug der Vernehmlassungsantwort der SVIL:
«Nun scheint eine weitere grundlegende Entscheidung anzustehen, ob wir in der Schweiz das notwendige Landwirtschaftsland und eine technisch entwickelte Landwirtschaft beibehalten wollen oder ob aufgrund der verlorenen Kontrolle über das Bevölkerungswachstum die Schweiz zum ‹City-State› mutieren soll.
Die bereits vor fast einem Jahr vom Bundesrat kommunizierten völlig falschen und veralteten Zahlen über die noch vorhandenen Fruchtfolgeflächen und über den Zustand der Ernährungssicherheit sind ein Alarmzeichen, dass die Politik den Boden im sprichwörtlichen Sinne verliert.
Die vorliegende Verordnung zum RPG 2 zeigt, dass dieser Prozess der schleichenden Erosion an Boden und Landwirtschaft zu Gunsten einer Entwicklung zum ‹City-State› unaufhaltsam fortschreitet, jedoch beharrlich kleingeredet wird.
Es geht jetzt darum, dass der Bundesrat die falschen Zahlen zur Versorgungssicherheit zum Anlass nimmt, eine klare Standortbestimmung zur Raumentwicklung und Bevölkerungspolitik vorzunehmen. Dieser Aufgabe werden das vorliegende RPG 2 – das sich mit dem ländlichen Raum und schwerpunktmässig mit unserer Ernährungsgrundlage befassen sollte – und insbesondere die vorliegende Verordnung nicht gerecht.
Weil diese Zusammenhänge ungenügend erfasst und durchdacht sind, muss in Anbetracht der internationalen Lage der Bundesrat kurzfristig die Lagerbestände deutlich erhöhen, wie die SVIL das bereits vor 11 Jahren anlässlich des damals total revidierten Landesversorgungsgesetzes verlangt hatte. Denn bereits diese damalige ‹Totalrevision› 2013 zeigte, dass die Politik die Versorgungssicherheit und die Grundlagen einer intakten Landwirtschaftszone und einer darauf produzierenden Landwirtschaft nicht mehr im erforderlichen Masse unterstützte.
Jetzt ist der Moment, diese krasse Fehleinschätzung der Politik zu korrigieren und mit unserer geschichtlichen Erfahrung wieder in Einklang zu bringen.»
* Hans Bieri, dipl.Arch.ETH/SIA, Raumplaner, Geschäftsführer der SVIL und Vorsitz, Zürich. Die SVIL (Schweizerische Vereinigung Industrie und Landwirtschaft) ist ein privatrechtlicher Verein, der im Interesse der Ernährungssicherheit gemeinnützig handelt. In den Statuten sind der Schutz des Schweizer Bodens und seine rationelle Nutzung als Hauptziel genannt. Im Vordergrund stehen die Erhaltung und Förderung des Bodens als erneuerbare Ressource und sichere Ernährungsgrundlage. Die SVIL wurde 1918 als Folge der Ernährungskrise von Schweizer Industriellen und ihrem ersten Geschäftsführer, Prof. Hans Bernhard, im Rathaus zu Zürich gegründet, als nach dem Zusammenbruch des Freihandels im Ergebnis des Ersten Weltkrieges in kurzer Zeit 150 000 Tonnen Lebensmittel in den inländischen Lebensmittelregalen fehlten – und dies trotz vorhandener hoher Kaufkraft. Es zeigte sich, dass ein hochentwickelter Industriestaat auf eine eigene Landwirtschaft nicht verzichten darf, auch wenn der Import aus ökonomisch rückständigen Ländern zu tieferen Preisen durchaus schon immer möglich war. |
Quelle: Auszug aus der Vernehmlassungsantwort der SVIL zur Verordnung zum RPG 2. https://www.svil.ch/SVIL%20Vernehml%20RPV%20%20HB%20Kopie.pdf