«Man schaut auf die Schweiz!»

von Ralph Bosshard,* Schweiz

822. März 2024) (Red.) Die zerstrittene Welt braucht Vermittler – aber Vermittler kann nur sein, wer selbst neutral ist. Nicht nur, um selber nicht in einen Krieg hineingezogen zu werden, sollte die Schweiz ihre Neutralität stärken, sondern um bei schweren Konflikten zwischen anderen Ländern eine aktive Vermittlerrolle spielen zu können! Die Welt braucht Vermittler!

Ralph Bosshard. (Bild
nachdenkseiten.de)

Nachdem sie mangels bewaffneter Konflikte auf dem europäischen Kontinent beinahe in Vergessenheit geraten ist, ist Neutralität heute wieder ein Thema, um das wir uns ernste Sorgen machen müssen. In den Jahren nach 2014 konnten wir beobachten, wie zunehmend alle denkbaren Bereiche staatlichen Handelns und gesellschaftlichen Lebens zum Zweck der Konfliktführung genutzt werden.

Wir sollen keine russischen Komponisten mehr hören und keine russische Literatur mehr lesen. Das ging so weit, dass transatlantische Suppenkasper darüber schwadronierten, dass Borshsh ein ukrainisches Gericht sei und Krim Sekt ein ukrainisches Getränk, das jetzt nicht mehr konsumiert werden dürfe. Hier müssen wir eine Grenze des Eingriffs in unser tägliches Leben ziehen.

Hunderttausende aus allen Regionen der Welt kommen in die Schweiz,
um es zu sehen: das Matterhorn. Aber die Schweiz hätte mehr zu bieten,
als nur touristische Attraktionen. (Bild Christian Müller)

Wir sind derzeit konfrontiert mit einer Staatengruppe, welche die Welt in Schwarz und Weiss, Gut und Böse einteilt, nach der Devise «Wer nicht für mich ist, ist wider mich». Diese Gruppe von Staaten musste in den vergangenen Monaten feststellen, dass sie im UN-Sicherheitsrat und in der UN-Generalversammlung keine Mehrheiten mehr erzeugen und auch nicht erzwingen kann. Sie masst sich die Kompetenzen des UN-Sicherheitsrats an, möchte als neues System kollektiver Sicherheit an die Stelle der UNO treten und rüttelt somit an den Grundfesten der globalen Nachkriegsordnung. Dabei haben diese Staaten in den vergangenen 25 Jahren selbst genügend Dreck am Stecken gesammelt, den sie nun auf andere werfen. Heute ist Russland an der Reihe, morgen jemand anderer.

Erstaunlich ist, dass der Bundesrat so willfährig mit dieser Staatengruppe kooperiert, nachdem er zuvor grosse Anstrengungen unternommen hatte, damit die Schweiz in den UN-Sicherheitsrat kommt. Diese inkonsistente Aussenpolitik muss beendet werden. Es geht heute um viel mehr als nur um die Schweiz, es geht um das Prinzip der Neutralität selbst und um das souveräne Recht von Staaten, sich der Teilnahme an einem militärischen Konflikt und auch an Wirtschaftskriegen zu enthalten. Es geht somit um die Rechte aller circa 150 Staaten der Welt, die nicht einem der westlichen Bündnisse angehören und um jene 100 Staaten, die nicht zu Joe Bidens Demokratie-Konferenz eingeladen wurden.

In den mittlerweile 25 Jahren nach dem Zerfall des Warschauer Pakts zeigte es sich, dass die wirklich schwierig zu lösenden Konflikte jene sind, in denen nicht Schwarz gegen Weiss steht, sondern Grau gegen Grau. Es sind ja genau die juristisch schwierig zu entscheidenden Widersprüche, die am ehesten zur Gewaltanwendung verleiten. Und es sind die absolut von sich selbst Überzeugten, die Selbstgerechten, die als erste eine neue Theorie des «gerechten Kriegs» zu entwickeln beginnen. Gerade im Wissen darum sollten wir uns gegen jegliche Ideologisierung des Neutralitäts- und Friedensbegriffs wenden.

Neutralität ohne Belehrung anderer ist die Richtung, die wir anstreben sollten. Neutralität ist die Haltung derjenigen, die um die Graubereiche wissen und sich nicht als Subjekt geopolitischer Konzepte gegen andere Völker in Stellung bringen lassen. Immerhin hat die Neutralität die Schweiz mehrere Male von der Teilnahme an völkerrechtswidrigen Kriegen der Nato abgehalten.

Insgesamt wäre die Durchsetzung des Artikels 51 der UN-Charta (das Recht auf Selbstverteidigung, Red.), so schwierig das im Einzelfall sein mag, einem universellen Pazifismus vorzuziehen. In der aktuellen Lage ist zu wünschen, dass der Bundesrat, anstatt seinen völkerrechtlich bestehenden Spielraum auszunutzen, klar kommuniziert, welche Regeln er anzuwenden gedenkt, damit er nicht denselben Fehler macht, wie die schweizerische Landesregierung von 1939 bis 1945, die auch ihren Handlungsspielraum ausnutzte und hinterher trotzdem harsch kritisiert wurde. Deshalb sollten wir heute den Begriff der bewaffneten Neutralität durch jenen der wehrhaften Neutralität ersetzen. Wir sind eine erwachsene Nation, wollen niemanden ideologisch belehren und brauchen keine Belehrung von anderen.

Es war richtig, dass die Schweiz verhindern wollte, dass sie als Plattform für Umgehungsgeschäfte gegen die EU-Sanktionen dient, denn das hätte das negative Image des Geschäftemachers noch verstärkt. Neutralität ist nicht unanständig, sehr wohl aber das Betreiben von Geopolitik hinter einem Schild von gut einem Dutzend Nato-Verbündeten.

Wer aber wie die Schweiz in einer sicheren geopolitischen Position sitzt, sollte diese ausnutzen, um einen Beitrag an die Lösung der Probleme anderer zu leisten. Schweigen und Abseitsstehen wären in der Tat unanständig. Deshalb muss Neutralität grundsätzlich mit aktiver Aussenpolitik kombiniert werden.

Das Nichtzustandekommen der Neutralitätsinitiative in der zukünftigen Volksabstimmung würde ein fatales Signal senden, sowohl nach innen, an einen Bundesrat, der dann glaubt, er könne verfahren, wie er gerade will, als auch nach aussen. Man schaut auf die Schweiz.

* Ralph Bosshard, Oberstleutnant iG., war Berufsoffizier der Schweizer Armee, u.a. Ausbilder an der Generalstabsschule und Chef der Operationsplanung im Führungsstab der Armee. Nach der Ausbildung an der Generalstabs-Akademie der russischen Armee in Moskau diente er als militärischer Sonderberater des Ständigen Vertreters der Schweiz bei der OSZE, als Senior Planning Officer in der Special Monitoring Mission to Ukraine und als Operationsoffizier in der Hochrangigen Planungsgruppe der OSZE. Zivilberuflich ist Ralph Bosshard Historiker (Magister, Universität Zürich).

Quelle: https://globalbridge.ch/man-schaut-auf-die-schweiz/, 9. März 2024

Weitere Texte zur Neutralität der Schweiz:

Aufruf von Linken und Grünen: Ja zur Neutralitätsinitiative!:
https://www.schweizer-standpunkt.ch/news-detailansicht-de-schweiz/aufruf-von-linken-und-gruenen-ja-zur-neutralitaetsinitiative.html

Neutrale Vermittlertätigkeit oder Kriegseintritt:
https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-schweiz/neutrale-vermittlertaetigkeit-oder-kriegseintritt.html

Der Bundesrat hat Recht, ausser …
https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-schweiz/der-schweizer-bundesrat-hat-recht-ausser.html

Ja zur Schweizer Neutralität:
https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-schweiz/ja-zur-schweizer-neutralitaet.html

Die neuen Kriege und die Neutralität:
https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-schweiz/die-neuen-kriege-und-die-neutralitaet.html

Skandalöse Aktion gegen die schweizerische Neutralität:
https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-schweiz/skandaloese-aktion-gegen-die-schweizerische-neutralitaet.html

Plädoyer für eine Neutralität der Besonnenen (1/2):
https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-schweiz/plaedoyer-fuer-eine-neutralitaet-der-besonnenen.html

Plädoyer für eine Neutralität der Besonnenen (2/2):
https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-schweiz/plaedoyer-fuer-eine-neutralitaet-der-besonnenen-2-2.html

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