Zur schweizerischen Neutralität

Ja zur Schweizer Neutralität

Theres Schläpfer. (Bild zvg)

«Unser Staat ist keine Institution der Moral, sondern der Rechtsschöpfung und Rechtswahrung»

von Therese Schläpfer,* Hagenbuch ZH

(28. März 2023) In Anbetracht der neusten Entwicklungen in Europa ist der Erhalt unserer Neutralität enorm wichtig. Der Krieg in der Ukraine zeigt uns das deutlich. Eigentlich möchte die europäische Zivilbevölkerung lieber Frieden, jedoch lassen sich einige Regierungen unter Druck setzen.

Auch die Schweiz gerät zunehmend in den Strudel einer Parteinahme. Politiker verschiedener Couleurs, gefährden so unsere Neutralität, nehmen in Kauf, dass sich die Schweiz in einen Konflikt hineinziehen lässt und unser Land so zur Zielscheibe werden kann.

Auch die Aussage des Aussendepartements im UNO-Sicherheitsrat zeigt auf, dass die offizielle Schweiz in Bern in der Weltpolitik aktiv mitreden will und sich zunehmend von der Neutralitätstradition der Schweiz verabschiedet.

Die Neutralitätsinitiative

    • Freiheit und Selbstbestimmung sichern
    • Sicherheit, Frieden und Wohlstand bewahren
    • Gute bilaterale Beziehungen zu allen Staaten pflegen

Eidgenössische Volksinitiative «Wahrung der schweizerischen Neutralität (Neutralitätsinitiative)»

Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert:

Art. 54a2 Schweizerische Neutralität

    1. Die Schweiz ist neutral. Ihre Neutralität ist immerwährend und bewaffnet.
    2. Die Schweiz tritt keinem Militär- oder Verteidigungsbündnis bei. Vorbehalten ist eine Zusammenarbeit mit solchen Bündnissen für den Fall eines direkten militärischen Angriffs auf die Schweiz oder für den Fall von Handlungen zur Vorbereitung eines solchen Angriffs.
    3. Die Schweiz beteiligt sich nicht an militärischen Auseinandersetzungen zwischen Drittstaaten und trifft auch keine nichtmilitärischen Zwangsmassnahmen gegen kriegführende Staaten. Vorbehalten sind Verpflichtungen gegenüber der Organisation der Vereinten Nationen (UNO) sowie Massnahmen zur Verhinderung der Umgehung von nichtmilitärischen Zwangsmassnahmen anderer Staaten.
    4. Die Schweiz nutzt ihre immerwährende Neutralität für die Verhinderung und Lösung von Konflikten und steht als Vermittlerin zur Verfügung.

1     SR 101
2     Die endgültige Nummerierung dieses Artikels wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt; dabei stimmt diese die Nummerierung ab auf die anderen geltenden Bestimmungen der Bundesverfassung.

Wir wollen und müssen die Neutralität der Schweiz bewahren

Unser Land verfällt zunehmend einer Politik der Phrasen, die einfach das nachplappert, was international üblich ist. Es ist eine Politik des Mitschwimmens im Chor der Unwahrhaftigkeit, der Heuchelei, der Sündenbockmentalität und der selbstgefälligen Unterscheidung zwischen «Guten» und «Bösen». Wir sind nicht mehr wir selber.

Aber damit schlagen wir andere Länder vor den Kopf, verärgern Handelspartner und schaffen sogar Feindschaften.

Dabei ist die Neutralität nicht nur Friedensstifter, sondern auch unser grösstes Kapital. Das wird innenpolitisch falsch eingeschätzt. Beispielsweise siedeln sich Firmen hier an, weil sie aus der Schweiz zu allen Märkten freien Zugang haben. Wir können weltweit mit allen Handel treiben, weil man in uns einen zuverlässigen Partner ohne politische Machtansprüche sieht.

Der Bundesrat und das Parlament brauchen für diese wichtige Staatsmaxime wieder einen Kompass und ein Logbuch.

Es ist Zeit, die Neutralität in der Verfassung zu präzisieren.

Geschichte der Schweizer Neutralität

Die Schweiz hat seit einem halben Jahrtausend eine erstaunliche Fähigkeit entwickelt, im Schatten rivalisierender Grossmächte eine Nische für ihr nationales Dasein zu finden. Die Neutralität unseres Kleinstaates hat sehr wenig mit Ideologie oder mit Idealismus zu tun, aber sehr viel mit der Lebenswirklichkeit. Wenn sich der grössere Bruder auf dem Pausenplatz mit einem Gleichaltrigen prügelt, wird sich der kleinere Bub oder die Schwester mit geringeren Körperkräften zum eigenen Vorteil von solchen Auseinandersetzungen fernhalten. Sie würden sich bei einer Einmischung im besten Fall eine blutige Nase holen.

Historisch bewährtes Erfolgsmodell

Auf Grund der historischen Erfahrung wird niemand ernstlich bestreiten, dass es sich bei der schweizerischen Neutralität um ein Erfolgsmodell handelt. Der Bund der Eidgenossen hätte die ersten Anfänge kaum überstanden, wenn sie nicht ein gegenseitiges «Stillesitzen» und Vermitteln im Krisenfall beschlossen hätten.

Später hätte unser konfessionell, ethnisch und kulturell gespaltenes Land ohne Neutralität aber mit den Religionskriegen und Zusammenschlüssen unserer Nachbarländer zu grossen Nationalstaaten nicht überleben können.

In den beiden Weltkriegen erreichte die neutrale Schweiz, dass die Kriegführenden ihre Grenzen respektierten – freilich nicht ohne grosse entsprechende Wehranstrengungen, die für den Staat wie für seine Bürger eine enorme Belastung darstellten.

Spezielle Aspekte der Schweizer Neutralität

In den ersten drei Jahrhunderten stand die Schweizer Neutralität vor allem im Dienste der Innenpolitik, in den letzten zwei Jahrhunderten dagegen im Dienste der Aussenpolitik.

Die Schweiz hat die Neutralität nicht erfunden, ihr aber in verschiedener Hinsicht ein ganz eigenes Gepräge gegeben. Ihr Neutralitätsstatus unterscheidet sich grundlegend von der Neutralität anderer Staaten.

Die schweizerische Neutralität ist «immerwährend». Die Tradition der schweizerischen Neutralität kann ihre Wirkung bei anderen Nationen nur behalten, wenn sie ununterbrochen fortwirkt und bei jedem sich bietenden Anlass neu und unversehrt in Erscheinung tritt.

Die schweizerische Neutralität ist «bewaffnet». Unser Land hat sich zur militärischen Verteidigung verpflichtet und muss jederzeit garantieren, dass keine Gewalt von seinem Hoheitsgebiet ausgeht.

Die schweizerische Neutralität ist «frei gewählt» und nicht das Ergebnis eines Diktates fremder Mächte. In der Pariser Akte von 1815 wurde vielmehr eine jahrhundertelange Praxis auf schweizerisches Begehren hin neu bestätigt.

Und schliesslich war die schweizerische Neutralität zumindest bis vor kurzem «integral», also vollständig. In der Zwischenkriegszeit hat unser Land mit dem Beitritt zum Völkerbund vorübergehend an wirtschaftlichen Sanktionen der Völkergemeinschaft teilgenommen. Im 20. Jahrhundert galt aber im Allgemeinen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Krisenregionen der Grundsatz das Beibehalten des Handelsumfangs auf dem Stand der Vorjahre. Anfangs der 1990er Jahre beteiligte sich die Schweiz erstmals an internationalen Wirtschaftssanktionen. Seltsamerweise sind diese hierzulande wenig hinterfragt worden.

Neutralität ist Friedenspolitik

Alle aktuellen Umfragen beweisen es: Über 90 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer beurteilen unsere Neutralität positiv und empfinden sie als ausgesprochen identitätsstiftend für unseren Kleinstaat.

Dennoch leiden zahlreiche führende Persönlichkeiten in Politik, Kultur und Gesellschaft an der Schicksalslosigkeit unseres neutralen Kleinstaates. Sie sehnen sich nach Visionen und spektakulären Taten.

Gewiss, die Neutralität schränkt den Handlungsspielraum und die aussenpolitischen Aktivitäten unserer Regierung ein. Die Neutralität gewährt ihnen kaum Heldentaten und selten glanzvolle internationale Auftritte.

Die Neutralität bewahrt uns vor der Hingabe an unkontrollierte Emotionen, vor unüberlegter Kriegslust und vor dem Nichternstnehmen von Grausamkeit und Gewalt.

Die Neutralität ist mehr als nur die Nichtteilnahme an Konflikten. Sie bedeutet den freiwilligen Verzicht auf äussere Machtpolitik. So gesehen hat die schweizerische Neutralität durchaus den positiven Gehalt grundsätzlicher Friedenspolitik.

Die Schweiz wendet jenes Friedensprinzip, auf dem sie selbst beruht, auch auf das Verhältnis zu anderen Staaten und Völkern an. Jeder Staat, der sich aus Kämpfen heraushält, macht unsere Welt ein Stück friedlicher.

Die Leistung «Guter Dienste» ist zwar keineswegs das Privileg des Neutralen. Die Leistungsempfänger bringen aber erfahrungsgemäss dem unparteiischen, auf Machtpolitik bewusst verzichtenden Neutralen mit seiner langen Dienstleistungserfahrung ein besonderes Vertrauen entgegen. Umgekehrt hat auch der Neutrale ein Interesse, sein Abseitsstehen in den Konflikten dieser Welt nicht als Drückebergerei oder Schwarzfahrerei erscheinen zu lassen und so seine neutralitätsbedingte Zurückhaltung auszugleichen:

Die Asylgewährung an echte Flüchtlinge, das Rote Kreuz, die Katastrophenhilfe, die Wahrnehmung von Schutzmachtmandaten, die Schweiz als Standort internationaler Organisationen dürfte nach sachlichen Kriterien den Vorwurf des Nationalegoismus für die Schweiz entkräften.

Neutralität garantiert die Meinungsfreiheit

Unsere Neutralität ist nicht Selbstzweck oder blosse Gewohnheit. Sie sichert uns vielmehr die Unabhängigkeit – neben der politischen vor allem die geistige und moralische Freiheit des selbständigen Urteils. Unser Staat ist keine Institution der Moral, sondern der Rechtsschöpfung und Rechtswahrung.

Ideale zu bilden und zu verwirklichen ist Sache der Menschen, der Familien, der Kirchen, der Vereine, aber niemals des Staates. Die politische Neutralität hat nicht zuletzt den Sinn, die Unabhängigkeit unseres Urteils zu gewährleisten. Der Staat hat nicht das Recht, uns Bürger auf eine bestimmte moralische Linie festzulegen. Die immer häufigeren moralisierenden Stellungnahmen aus Bundesbern zu allen möglichen internationalen Problemen sind fragwürdig und unakzeptabel. Wir Schweizerinnen und Schweizer verpflichten Regierung, Diplomatie und Verwaltung zum «Stillesitzen», damit sie nicht in unserem Namen reden, wo sie schweigen sollten.

Neue Sinngebung für die Neutralität

In der jüngeren Vergangenheit wurde mit riesigem Optimismus versucht, diese Welt durch multinationale Organisationen und Institutionen zu organisieren. Die Neutralität erschien dabei vielen als überständiges Relikt und als isolationistische Fessel. Zwar konnte der nach dem Zweiten Weltkrieg etwas angezweifelte Leumund der schweizerischen Neutralität bei den Weltmächten durch die Leistung Guter Dienste vorerst wiederhergestellt werden. Im Zuge der europäischen Integration wird unsere Staatsmaxime allerdings aufs Neue in Frage gestellt.

Schon oftmals wurde unser kleines neutrales Land durch Machtansprüche von aussen bedrängt. Heute ist es weniger eine aggressive Macht als eine überlaut und moralistisch vorgetragene Ideologie des Grossräumigen, die uns herausfordert.

Gescheiterte Versuche, die Neutralität aufzugeben (differenziell/aktiv/kooperativ/flexibel)

1917 versuchte der freisinnige Bundesrat Arthur Hoffmann mit Hilfe des SP-Politikers Robert Grimm einen Separatfrieden von Russland und Deutschland zu erwirken. Als dies bei den Staaten der (Entente) kriegsentscheidenden Koalition Frankreich, England und Russland im Ersten Weltkrieg ruchbar wurde, kam es zu einer schweren diplomatischen Neutralitätskrise, die Hoffmann zum Rücktritt zwang.

Der katholisch-konservative Aussenminister Giuseppe Motta führte die Schweiz mittels einer heftig umkämpften Volksabstimmung 1920 in den Völkerbund. Damit verbunden war eine «differenzielle Neutralität», die das Land dazu veranlasste, Wirtschaftssanktionen mitzutragen, nicht aber militärische Interventionen. Nach der Besetzung Abessiniens durch Italien, die gefährliche Sanktionen gegen den faschistischen Nachbarn im Süden nach sich gezogen hätte, konnte der Bundesrat die Schweiz 1938 wieder zur integralen Neutralität zurückführen.

Der Begriff «aktive Neutralität» ist ein Widerspruch in sich selbst: Neutralität ist nämlich immer eine passive Haltung.

Die bewährte schweizerische «Diplomatie des Vorbildes» wird zunehmend durch eine «Diplomatie des erhobenen Zeigefingers» verdrängt. Die Ergebnisse dieses «Aktivismus» sind nicht vertrauensbildend.

Neuerdings kommt – von Ignazio Cassis (FDP) erfunden – die «kooperative Neutralität» mit bedingungsloser Übernahme von EU- und USA-Sanktionen hinzu. Ist das Aushungern eines Volkes eigentlich ein humaneres Gewaltmittel als der Waffeneinsatz? Warum muten wir den von Hungerkrieg und Arbeitsplatzverlust betroffenen Mitmenschen zu, die Schweiz im Falle ihres Mitmachens noch als neutral zu beurteilen?

Das bedauerliche Ergebnis daraus war, dass der amerikanische, der russische sowie der ukrainische Präsident öffentlich konstatierten, dass sich die Schweiz von der Neutralität abgewandt habe.

Die Neutralitätsmüdigkeit – die im Rückblick zum Wohl des Landes immer wieder eingedämmt werden konnte – ist mittlerweile in der offiziellen Schweizer Politik angekommen.

Die Welt braucht die schweizerische Neutralität

Neutralität heisst, dass man keine Kriege anfängt und keine Kriege – auch keine Wirtschaftskriege – mitmacht, es sei denn, man werde selbst angegriffen.

Eine Preisgabe der «uneingeschränkten», «absoluten» Neutralität würde die Schweiz mitten in den Strudel von Konflikten und Auseinandersetzungen stürzen.

Diese staatsmännische Weisheit fehlt heute im Bundeshaus weitgehend. Neutralität erfordert Kraft und Festigkeit. – Mitmachen ist bequemer.

Der neutrale Staat misstraut dem schnellen Urteil, weigert sich, die Welt in ein einfaches Gut und Böse einzuteilen. Wohlverstanden: Neutralität verpflichtet die Schweizer nicht, den Mund zu halten, moralisch gleichgültig zu sein, wenn es ums Unrecht eines Angriffskrieges geht. Aber sie verpflichtet den Staat, den Bundesrat und auch die Bundesversammlung zu Demut und Zurückhaltung.

Die Schweizer Neutralität ist der weisse Fleck auf der Welt, ein allseits anerkannter Ort, an dem die Kriegs- und Konfliktparteien sich ohne Waffen begegnen und miteinander reden können. Solange es eine neutrale Schweiz gibt, hat der Frieden eine Chance.

Die Neutralität ist ein unverzichtbares politisches Instrument.

Wir wollen der Ort auf der Welt sein, der ausschliesslich dem Frieden dient.

Die Neutralität ist das Gütesiegel der Schweiz.

Die Schweiz braucht ihre Neutralität – die Welt braucht eine neutrale Schweiz.

* Therese Schläpfer ist seit 2010 in politischen Gremien tätig: zuerst während vier Jahren als Gemeinderätin in der Zürcher Gemeinde Hagenbuch. Von 2014 bis Juni 2022 war sie die Präsidentin dieser Gemeinde. Seit 2019 ist sie Mitglied des Nationalrates für die Schweizerische Volkspartei (SVP). Sie ist seither Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates. (https://therese-schlaepfer.ch)
Therese Schläpfer ist Vorstandsmitglied des Vereins «Pro Schweiz», der zur Unterstützung der im November 2022 lancierten überparteilichen Volksinitiative «Wahrung der schweizerischen Neutralität (Neutralitätsinitiative)» gegründet wurde.
Für weitere Informationen und für den Erhalt von Unterschriftenbögen zur Volksinitiative «Wahrung der schweizerischen Neutralität» klicken Sie hier: https://www.neutralitaet-ja.ch

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