Haben deine Eltern eine Solarheizung?

Klimagesinnungstest in Schweizer Lehrmitteln

von Philipp Gut*

(24. August 2024) Ein Lehrmittel an Schweizer Primarschulen unterzieht Schüler einem Klima-Gesinnungstest. Meilenweit entfernt von jeder wissenschaftlichen Grundlage.

Philipp Gut.
(Bild wikipedia)

Das Kapitel trägt den unmissverständlichen Titel «Climate check». Es stammt allerdings nicht aus einer Broschüre von Greenpeace oder der fanatischen Klimajugend, sondern aus einem offiziellen Englischlehrmittel des renommierten Schulbuchverlags Klett und Balmer im schweizerischen Baar. «Young World 4» richtet sich an Primarschüler der 6. Klasse. Auf zur Story des «Pupil’s Book» heisst es dort (übersetzt ins Deutsche) neben der Illustration eines schwitzenden Felltiers: «Betrachte den Polarbären. Lies den Text und diskutiere, was das Problem ist.»

«Betrachte den Polarbären. Lies den Text und diskutiere, was das
Problem ist.» (Bild wikipedia)

Damit das auch der Hinterletzte begreift, heisst es weiter: «Die globale Erwärmung betrifft uns alle. Für die Polarbären bedeutet das, dass sie nirgendwo mehr leben können, wenn das Eis am Nordpol schmilzt.» So emotional eingestimmt und auf Kurs gebracht, müssen die Schüler dann einen veritablen Gesinnungstest ablegen, um ihren angeblichen «Klima-Fussabdruck» herauszufinden. Dazu werden – weit entfernt von jeder wissenschaftlichen Methodik – Punkte für klimakorrekte Antworten vergeben. Die entsprechenden Fragen bewerten dabei nicht nur das Verhalten der Schüler, sondern auch die Lebensweise der Eltern.

Vor Fleischverzehr wird gewarnt

Der «Klimatest» behandelt unterschiedliche Bereiche. Zum Thema «Essen und Einkaufen» («Eat and shop») heisst es: «Ich esse meinen Teller nie ganz leer.» Dafür gibt es fünfzehn Strafpunkte. Wer «manchmal Essen wegwirft», wird mit zehn Maluspunkten bestraft. Für diejenigen, die das gewünschte Verhalten an den Tag legen und «immer» alles aufessen, gibt es fünf Punkte. Noch besser für das Klima wäre es nur noch, nichts zu essen.

Bewertet wird weiter auch, was man isst. Die Schüler werden danach beurteilt, ob sie saisonale Früchte und saisonales Gemüse verzehren und ob die Lebensmittel regional und biologisch («organic») sind. Wer isst, was er mag, wird mit 25 Punkten gedeckelt. Noch schlimmer als jene, die sich eine Banane gönnen oder zu unpassender Jahreszeit einen Apfel, handeln gemäss dem Lehrmittel jene Schüler, die mehr oder weniger («more or less») jeden Tag Fleisch oder Fisch essen (30 Punkte).

«Ich esse meinen Teller nie ganz leer.» Dafür gibt es fünfzehn Strafpunkte.

Natürlich hängen schon die Ernährungsgewohnheiten massgeblich auch vom Elternhaus ab, doch vollends zum Tribunal über die Eltern wird die Frage nach der Art der Heizung. Wer angibt, «unser Zuhause wird mit Solarenergie oder einer anderen Form von erneuerbarer Energie geheizt», erhält 10 Punkte. Wer dagegen in einer Wohnung lebt, die mit konventioneller Energie gewärmt wird, erhält 40 Punkte.

Ein mittleres Pfui (20 Punkte) gibt es für Kinder, die einmal pro Woche ein Bad nehmen (früher hätte man sie dafür gelobt). Wer jeden Tag duscht, wird immerhin noch mit 10 Punkten gemassregelt. Belohnt wird hingegen, wer das Wasser während des Einseifens abstellt (5 Punkte), wobei nicht gefragt wird, wie oft und wie lange man auf diese intermittierende Weise zu duschen pflegt.

Wiederum sehr direkt auf die Eltern spielen die Fragen zur «Raumtemperatur». Ganz verpönt sind Kinder aus Haushalten, die von sich erklären: «We never wear pullovers at home in wintertime because they would be too warm», die also im Winter zu Hause nicht mit dicken Pullovern herumlaufen (40 Punkte). Schelte gibt’s sodann auch für Familien, die ihre Kleider im Tumbler trocknen (20 Punkte).

Höchststrafe fürs Fliegen

Abschliessend wird das Mobilitätsverhalten unter die Lupe genommen: Kommen die Kinder «immer» zu Fuss oder mit dem Fahrrad zur Schule (0 Punkte)? Benützen sie manchmal («sometimes») den öffentlichen Verkehr (5 Punkte)? Oder werden sie gar von den Eltern gefahren (10 Punkte)? Selbst die Ferien werden den Schülern madig gemacht: Fast schon wie Anstiftung zur Denunziation mutet es an, wenn die Schüler angeben müssen, ob sie mit ihren Eltern in den vergangenen fünf Jahren («in the last 5 years») einmal geflogen sind (40 Punkte). Halbwegs erlaubt, aber auch nicht so gerne gesehen (10 Punkte), sind Ferien in der Schweiz oder Reisen in Nachbarländer mit der Bahn. Am meisten Prügel kriegen jene, die mit ihren Familien jedes Jahr in die Ferien fliegen: Dafür gibt es vernichtende 150 Strafpunkte.

Am Ende werden die Schüler angewiesen, die erzielte Punktzahl mit dem Wohlergehen des Polarbären in Verbindung zu setzen («How is your polar bear doing?»), sich in Gruppendiskussionen auf klimafreundlicheres Verhalten zu verständigen («Talk about what you can do») sowie sich auch individuell zu verpflichten, den eigenen Lebensstil anzupassen. Nach einem Monat müssen die Schüler überprüfen, ob sie ihre Taten und Tätigkeiten wirklich angepasst haben – und sie müssen dies mit anderen in der Klasse vergleichen.

Any questions? Noch Fragen?

* Dr. Philipp Gut, geboren 1971, ist ein Schweizer Journalist und Buchautor. Er war bis Dezember 2019 Inlandchef und stellvertretender Chefredaktor der Weltwoche. Er ist Verleger und Redaktor der Umwelt Zeitung, schreibt Artikel für die Weltwoche und betreibt eine Agentur für Kommunikationsberatung.

Quelle: «Weltwoche». https://weltwoche.ch/story/haben-deine-eltern-eine-solarheizung/, 14. August 2024

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