Schweiz
Gesundheitspolitik muss souverän bleiben
Der WHO «auf die Finger» schauen
(4. Oktober 2024) (Red./sv) Die ausdauernde Arbeit von Parlamentariern und engagierten Fachleuten hat zu einem Etappensieg geführt: Kantone und Stimmbürger als oberster Souverän der Schweiz sollen nicht mehr so leicht durch einen einfachen Verweis auf internationale Vorschriften umgangen werden können.
Nach dem Nationalrat hat vor kurzem auch der Ständerat als Vertreter der Kantone beschlossen, dass Abkommen mit der WHO dem eidgenössischen Räten vorgelegt werden müssen. Die Souveränität über unsere Gesundheitspolitik darf nicht von internationalen Gremien eingeschränkt werden.
Auf Fragen nach Inhalt und Bedeutung der Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) und des von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geplanten, neuen Pandemieabkommens für unser Land hatte der Bundesrat bisher folgendermassen Stellung genommen (Auszug):
«[…] Insbesondere wird der neue Vertrag keine Auswirkungen auf das souveräne Recht der Staaten haben, Gesetze zu erlassen und über die Umsetzung ihrer nationalen Gesundheitspolitik und die im Pandemiefall allenfalls erforderlichen Massnahmen zu entscheiden. Die Schweiz schliesst keine völkerrechtlichen Verträge ab, die grundlegende Rechte und Prinzipien missachten. Schliesslich beinhalten die laufenden Verhandlungen keine Möglichkeit für die WHO, ihren Mitgliedsstaaten im Pandemiefall rechtsverbindliche Gesundheitsmassnahmen aufzuerlegen.»1
Das Parlament wollte es aber genauer wissen. Im Juni 2022 wurde deshalb eine Motion eingereicht, die im April 2024 vom Nationalrat und am 26. September vom Ständerat angenommen wurde. Folgender Auftrag an den Bundesrat ist damit verbindlich geworden:
Eingereichter Text: «Der Bundesrat wird beauftragt, ein allfälliges WHO-Übereinkommen oder ein von der WHO ausgearbeitetes Instrument, welches durch Soft Law zu einem späteren Zeitpunkt eine Verbindlichkeit für die Schweiz zur Folge haben könnte, zwingend dem Parlament zu unterbreiten.»
Begründung: «An der Sondersitzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom November/Dezember 2021 verabschiedeten die WHO-Mitgliedstaaten eine Empfehlung zur Erarbeitung eines Übereinkommens, Abkommens oder anderen internationalen Instruments zur Vorsorge und Bereitschaft auf Pandemien und zur Stärkung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV). Das BAG (Bundesamt für Gesundheit) scheint diesen Prozess zu unterstützen. Aktuell laufen durch ein von der WHO eingesetztes zwischenstaatliches Verhandlungsgremium, dem ‹Intergovernmental Negotiating Body› (INB), koordinierte Bestrebungen, der WHO bis im Mai 2023 einen Bericht und einen Antrag auf ein internationales ‹Instrument› – vorzulegen. Für die Schweiz besteht das Risiko, dass – wie die Diskussion um den UNO-Migrationspakt gezeigt hat – dieses internationale ‹Instrument› bindende Rechtskraft entwickeln könnte. Um diesem Risiko im Bereich des Soft Laws Rechnung zu tragen, ist ein solches internationales ‹Instrument› zwingend dem Parlament zu unterbreiten.»2
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (SP) führte an der Sitzung des Ständerates vom 26. September aus,3 dass die Internationalen Gesundheitsvorschriften ein «bestehendes, rechtlich bindendes Instrument [bilden], das in der Schweiz seit über siebzig Jahren angewendet wird». Das BAG sei daran, die am 1. Juni 2024 in Genf verabschiedeten Änderungen zu überprüfen. «Die verabschiedeten Anpassungen sind gemäss unserer ersten Analyse technischer Natur und von beschränkter Tragweite.» Änderungen auf Gesetzesebene sollten nicht notwendig sein, weshalb die Kompetenz zu deren Übernahme beim Bundesrat liege. Für seine Entscheidung habe er Zeit bis am 19. Juli 2025. Sie werde dem Bundesrat jedoch vorschlagen, dazu eine Vernehmlassung auf freiwilliger Basis durchzuführen.
Seit der unrechtmässigen Verabschiedung der Änderungen der IGV – die WHO hat mit der Nichteinhaltung einer viermonatigen Vorlaufzeit vor der Abstimmung gegen die eigene Verfassung verstossen – ist aber von vielen Seiten massive Kritik an diesen Änderungen geübt worden.4
Gemäss Bundesrätin Baume-Schneider werde die Schweiz nach «vom Bundesrat festgelegten Leitlinien» weiterhin an den Verhandlungen zu einem neuen Pandemieabkommen teilnehmen, die nächste Sitzung finde im November statt. Dessen Verabschiedung sei an der nächsten Weltgesundheitsversammlung der WHO im Frühling 2025 vorgesehen. Durch die Teilnahme an den Verhandlungen könnten die Interessen der Schweiz gewahrt werden. Dazu gehöre zum Beispiel «ein sehr sensibles Thema, das übrigens umstritten ist, aber für die Schweiz wichtig – der Schutz des geistigen Eigentums».
Spricht Frau Baume-Schneider hier Interessen der Pharmaindustrie an, die ihre Patente zum Beispiel auf Impfprodukte geschützt haben will? Um den Schutz der Bevölkerung vor unverhältnismässigen «Massnahmen» geht es hier wohl kaum …
In ihrer Antwort sicherte Bundesrätin Baume-Schneider den Motionären zu, dass der Pandemievertrag der WHO «sowieso» dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werde, da er von grosser politischer Bedeutung sei und empfahl gleichzeitig die Motion abzulehnen. Dieser Empfehlung kam der Ständerat mit ihrer Annahme (29 zu 8 Stimmen) jedoch nicht nach.
In den nächsten Monaten ist die aktive Auseinandersetzung mit der weiteren Behandlung der Internationalen Gesundheitsvorschriften und des Pandemieabkommens angezeigt – eine unabdingbare Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der demokratischen Prozesse in unserem Land.
1 https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20234397
2 https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20223546