Für eine eigenständige und unabhängige Sicherheitspolitik der Schweiz – Ja zur Neutralitätsinitiative!
von René Roca*
Die Schweiz sollte endlich eine eigenständige und unabhängige Sicherheitspolitik formulieren. Das wäre schon seit längerem nötig, wird aber auf die lange Bank geschoben. Wichtiger ist offensichtlich eine immer stärkere Einbindung in die Nato (u.a. Sky Shield).

Verfassungsauftrag und notwendige Ergänzung
Dabei beschreibt die schweizerische Bundesverfassung sehr klar die politischen Zuständigkeiten für eine realistische Sicherheitspolitik, die ein klares Bekenntnis zur Neutralität und zur Milizarmee umfasst. In der Präambel heisst es unter anderem, dass sich «das Schweizer Volk und die Kantone, […] im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen» diese Verfassung geben. Eine dieser Errungenschaften ist die Neutralität. Wo bleibt bei der gegenwärtigen Schleifung der Neutralität die Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen?
Zur Milizarmee heisst es in der Verfassung klar und deutlich (Art. 58 BV):
«1 Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
2 Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung.»
Im Moment ist unsere Armee absolut unfähig, diesen Auftrag zu erfüllen. Das VBS ist derart zerrüttet, das wohl nur die Revision der Armee 21 und aller folgender Reformschritte Remedur schaffen kann. Dem neu gewählten Vorsteher des VBS, Martin Pfister, steht diesbezüglich eine Herkulesaufgabe bevor.
Auch die Aufgaben und Befugnisse der Bundesversammlung werden in der Bundesverfassung für jeden gut verständlich dargelegt (Art. 173 BV):
«1 Die Bundesversammlung hat zudem folgende Aufgaben und Befugnisse:
a Sie trifft Massnahmen zur Wahrung der äusseren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz.»

Dasselbe gilt für den Bundesrat (Art. 185). Es stellt sich die Frage, wieso unsere gewählten Volksvertreter, allesamt «Diener des Volkes», diesen deutlichen Verfassungsauftrag nicht mehr erfüllen. Die Schweiz ist mittlerweile wie alle Nato-Länder ein braver Erfüllungsgehilfe und Vasall der USA. In diesem Sinne wird unser Land immer mehr eingebunden, einerseits durch das geplante Rahmenabkommen 2.0 in die supranationalen Strukturen der Europäischen Union (EU) sowie andererseits in das militärische Kriegsbündnis der Nato. Wegen dieser fortgesetzten eklatanten Missachtung der schweizerischen Bundesverfassung – und nicht nur wegen dem Ukraine-Krieg – wurde die Neutralitätsinitiative lanciert. Sie soll den Verfassungsrang der Schweizer Neutralität deutlich verankern, um so eine umfassende Friedenspolitik und die Stärkung der humanitären Traditionen (IKRK) zu gewährleisten. Speziell der Bundesrat benötigt Leitplanken für seine Aussenpolitik, damit das endlose Lavieren aufhört und sein teilweise unerträgliches Schweigen gebrochen werden kann. Der neue Artikel zur Schweizer Neutralität soll nach der Annahme der Initiative nicht toter Buchstabe bleiben, sondern ist ein klarer Auftrag für Bundesrat und Parlament!
Nach dem Einreichen der Initiative im letzten Jahr wird diese nun in den Kommissionen der Räte intensiv diskutiert. Ein direkter Gegenvorschlag, um wichtige Teile des Initiativtextes herauszubrechen, liegt im Bereich des Möglichen. Die Abstimmung wird voraussichtlich am 8. März 2026 stattfinden.
Die Schweiz übt sich in endlosen Anbiederungen
Statt eine langfristige Strategie für ihre nationale Sicherheit auszuarbeiten, beauftragte das Departement VBS 21 Personen als «Studienkommission Sicherheitspolitik» einen Bericht zu verfassen. Die meisten Mitglieder der Kommission, abgesehen von einigen Alibi-Politikern, wurden vom Departement Amherd handverlesen, was zu einer sehr einseitigen Ausrichtung führte. Die Resultate waren absehbar. Der Bericht macht Aussagen, ohne den nötigen historischen Kontext herzustellen. So werden geopolitische Lageanalysen nachgebetet, wie wir sie aus den Medien kennen, zum Beispiel steht auf Seite 22 des Berichts: «Nur wenn es dem Westen gelingt, die territoriale Integrität der Ukraine wiederherzustellen, bleibt eine regelbasierte Ordnung erhalten, in der das Völkerrecht durchgesetzt wird und Regelbrecher bestraft werden. Andernfalls bleibt diese Ordnung angeschlagen und Europa insbesondere von Russland bedroht.»
«Territoriale Integrität» ist an sich richtig, aber eine «regelbasierte Ordnung» in Europa, wenn sie in Ansätzen je Bestand hatte, existiert seit dem Kosovo-Krieg 1999 nicht mehr. Dieser Nato-Krieg war völkerrechtswidrig, die Regelbrecher wurden nicht bestraft und die territoriale Integrität Serbiens bis heute nicht wieder hergestellt. Die Uran-Munition, die dabei eingesetzt wurde, strahlt weiter und ist eine gesundheitspolitische Katastrophe. Und das nannten die Nato-Länder eine «humanitäre Intervention». Die Schweiz hatte nichts Besseres zu tun, als bis heute die unsinnige KFOR-Übung mit eigenen Soldaten zu unterstützen. Dass Europa, wie es im Zitat weiter heisst, durch Russland bedroht wird, ist schlicht absurd, löst aber nun eine entfesselte militärische Aufrüstung aus. Der globale industriell-militärische Komplex lacht sich ins Fäustchen. Hochrüstung und Blockbildung sowie eine forcierte Bündnispolitik weisen aber, wie schon vor dem Ersten Weltkrieg unweigerlich den Weg in den Krieg. Die «Neue Zürcher Zeitung» macht sich bereits Überlegungen zu einer «modernen Triple Entente» (vgl. 10. März 2025), eine Kriegstreiberei der speziellen Sorte aus dem transatlantischen Echoraum.
Nun liegt auch die Botschaft des Bundesrates zur Neutralitätsinitiative vor. Er beantragt, wie erwartet, deren Ablehnung. Die Initiative, so der Bundesrat, würde ein «starres Neutralitätsverständnis» in der Verfassung verankern und seinen aussenpolitischen Spielraum zu stark einschränken. Genau das ist aber nun gefordert und sehr wichtig. Der Bundesrat wolle seine «Flexibilität» bei der Anwendung der Neutralität bewahren. Auf ein Land aber, dass seine Neutralität flexibel handhabt, ist überhaupt kein Verlass mehr. Ein solcher Relativismus ist nichts anderes als Rosinenpickerei und die Glaubwürdigkeit in ein solches Land, das sehen wir ja jetzt, schwindet dramatisch. Ein zweites Argument des Bundesrates gegen die Initiative ist, dass er auch weiterhin ausserhalb der UNO Sanktionen gegen kriegsführende Staaten verhängen will. Studien zeigen allerdings deutlich auf, dass solche Sanktionen nichts bringen (siehe Russland heute), die unschuldige Zivilbevölkerung treffen und dazu führen, dass ein normaler Dialog für längere Zeit nicht mehr möglich ist.
Die Schweiz als Architekt einer neuen europäischen Sicherheitspolitik
Gerade in der heutigen weltpolitisch heiklen Situation liegt die grosse Chance von Neutralen und Blockfreien darin, als selbstbewusste Nationalstaaten den Frieden und die Zusammenarbeit zu fördern. Die immerwährende, bewaffnete Neutralität der Schweiz könnte, gestärkt durch den neuen Verfassungsartikel, mit dem Aufbau einer möglichst autonomen Selbstverteidigung die Basis schaffen, um mit allen ins Gespräch zu kommen und eine neue europäische Sicherheitsarchitektur aufzubauen. Die Schweiz muss hier mit anderen friedenswilligen Ländern als Architekt wirken. Dabei ist an den KSZE-Prozess zu erinnern, den die Schweiz tatkräftig gefördert und der schlussendlich den Kalten Krieg beendet hat. Für die USA war Neutralität schon immer etwas «Unmoralisches». Das muss uns nicht weiter kümmern. Die Schweiz war während des Zweiten Weltkrieges und danach für eine gewisse Zeit eine «diplomatische Grossmacht». Sie muss genau hier anknüpfen und mit Ihren Guten Diensten wieder konsequent dem Frieden dienen.
* René Roca ist Gymnasiallehrer und promovierter Historiker. Er gründete und leitet das Forschungsinstitut direkte Demokratie (www.fidd.ch). Er ist Mitglied im Komitee der Neutralitätsinitiative. |