Der «Bürgenstock» kann erfolgreich sein ... aber nur ohne Zelensky (und Cassis)

von Guy Mettan,* Genf

(31. Mai 2024) Der «Busch» des Bürgenstocks verbirgt den verwüsteten «Wald» der Schweizer Diplomatie. Verzeihen Sie mir diese abgedroschene Metapher, aber es ist leider die traurige Realität. Seit dem Amtsantritt von Ignazio Cassis im Jahr 2017, der durch die Ankunft von Viola Amherd an der Spitze des Verteidigungsdepartements im Jahr 2018 noch verschärft wurde – beides erbitterte Verfechter einer Neuausrichtung auf Nato und USA –, ist die Schweizer Aussenpolitik gekippt. Und zwar in die falsche Richtung.

Guy Mettan
(Bild zvg)

Mehrere Führungskräfte des Aussendepartements machen daraus keinen Hehl: «Man hat plötzlich die Doktrin und die Allianzen geändert. Das hat dazu geführt, dass Netzwerke, die wir teilweise zwanzig Jahre lang aufgebaut hatten, mit Russland, mit bestimmten Ländern des Südens oder im Nahen Osten, innerhalb weniger Monate zerstört wurden.» Durch die Anpassung an die westlichen Länder und die sklavische Weitergabe ihres Hasses und ihrer Begeisterung «ist die Stimme der Schweiz, die kleine Musik, die wir auf der internationalen Bühne zu Gehör bringen konnten, völlig verschwunden. Wir sind in der Masse der westlichen Welt untergegangen».

Mit der Einladung auf den Bürgenstock wird die
Glaubwürdigkeit der Schweiz als neutraler Staat in Frage
gestellt. (Bild zvg)

Besonders deutlich wird dies im UNO-Sicherheitsrat und im Bereich der kollektiven Sicherheit. Der Bundesrat tritt seine früheren Verpflichtungen zu Frieden und Dialog mit Füssen und weigert sich beispielsweise beharrlich, den Vertrag über das Verbot von Atomwaffen zu ratifizieren, aus Angst, die Nato zu verärgern (deren Mitglied wir gar nicht sind!). Mitte Mai enthielt sich die Schweiz als einziges Land bei der Abstimmung über eine Resolution des Sicherheitsrats zur Verhinderung des Wettrüstens im Weltraum, die von den USA, Grossbritannien, Frankreich und vier weiteren ihnen ergebenen Ländern abgelehnt wurde.

Schlimmer noch, die Schweiz ist dabei, das humanitäre Recht und das Völkerrecht zu verleugnen, für die sie sich in den letzten Jahrzehnten eingesetzt hat. In die Enge getrieben durch ihre pro-israelischen, Anti-UNWRA- und Anti-Hamas-Positionen, hat sie die Übergriffe der israelischen Armee in Gaza nie verurteilt – ein Unding, wenn man bedenkt, dass sie 2003 den Genfer Friedensprozess unterstützte und in der Vergangenheit dafür einstand, mit allen Konfliktparteien zu sprechen. Auch auf die Forderung des Internationalen Strafgerichtshofs die israelische und die Hamas-Führung wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuklagen, hat sie noch immer nicht reagiert.

Es ist das einzige Land in Europa, das stumm geblieben ist, obwohl Spanien, Irland und Norwegen, die sich sehr stark in Palästina engagieren, im Gegenteil gerade den palästinensischen Staat anerkannt haben.

Bern, das sich lautstark über den Antrag auf Anklageerhebung gegen Putin gefreut hatte, hat also nichts zu sagen, wenn der Staatsanwalt desselben Gerichtshofs eine Klage derselben Art gegen führende Politiker prüft, die offensichtlich seit Monaten alle Grenzen des Zulässigen überschritten haben.

Was für ein unerhörter Verlust an Glaubwürdigkeit! Wie wird man der Schweiz glauben können, wenn sie die Genfer Konventionen verteidigen und künftige Menschenrechtsverletzungen anprangern will?

Vor diesem Hintergrund hat der Versuch, das Ansehen unserer Diplomatie mit dem sogenannten Friedensgipfel auf dem Bürgenstock Mitte Juni dieses Jahres aufzupolieren, alle Chancen, in einem Fiasko zu enden oder zumindest zu keinem Ergebnis zu führen.

Wenn man einmal von den traditionellen 50 Ländern absieht, die sich hinter dem Westen aufreihen, zeigt sich, dass der Erfolg der Konferenz von der Teilnahme der Länder des globalen Südens abhängen wird. Nachdem Russland ausgeladen wurde, China, Brasilien und Südafrika sich enthalten haben, hat nur Indien seine Teilnahme bestätigt, ohne zu sagen, auf welcher Ebene. Über die anderen ist nichts bekannt. Das Spiel bleibt insofern offen, als sie noch keine Teilnahme abgelehnt haben. Sie werden wahrscheinlich Teilnehmer auf mittlerer Ebene und ohne Entscheidungsbefugnis entsenden, um nicht als «gegen den Frieden» oder als «Boykott des Westens» beschuldigt zu werden.

Das bedeutet, dass die Bürgenstock-Konferenz kein Gipfeltreffen und auf keinen Fall ein Friedensgipfel sein wird. Die bewusste Ablehnung Russlands wendet sich nun gegen die Organisatoren. Im Bewusstsein dieses Problems versucht das offizielle Schweizer Narrativ nun zu argumentieren, dass Russland nicht teilnehmen möchte und dass seine Abwesenheit allein auf Russland zurückzuführen sei. Dies ist falsch und wird ausserhalb des kollektiven Westens niemanden in die Irre führen.

Warum sollten die Länder des Südens an einem Gipfel teilnehmen, der keiner mehr ist, der aufgrund der russischen Abwesenheit nicht auf Frieden ausgerichtet ist und der mit Sicherheit ein Misserfolg sein wird? Die Schwächsten oder Geschicktesten werden sich damit begnügen, ohne jeden Enthusiasmus anwesend zu sein, während die anderen es vermeiden werden, ihre Zeit und ihr Geld sinnlos zu vergeuden.

Zweites Problem: Man kann davon ausgehen, dass Präsident Zelensky zum Haupthindernis für Friedensverhandlungen geworden ist. Erstens ist er seit dem 21. Mai nicht mehr der rechtmässige Präsident des Landes, da sein Wahlmandat am 20. Mai endete. Seitdem ist er nur noch der nicht gewählte und somit illegitime Präsident des Landes. Von Demokratie kann also keine Rede sein.

Man darf auch nicht vergessen, dass er einen Ukas unterzeichnet hat, der jegliche Friedensverhandlungen in der Ukraine verbietet, und einen angeblichen Friedensplan vorgelegt hat, der keiner ist, da er lediglich die Kapitulation Russlands fordert. Nach der Ermordung von Befürwortern des Friedens in der Ukraine, darunter mindestens einer der Verhandlungsführer vom März 2022, kann er nicht mehr als Friedensstifter auftreten, da er sonst seine Macht verlieren würde. Er hat daher kein Interesse daran, irgendetwas zu verhandeln. Wenn er in die Schweiz kommt, dann nur, um Unterstützung von seinen westlichen Anhängern zu erhalten und mehr Hilfe für den Krieg zu fordern. Nicht für den Frieden.

Die erste Voraussetzung für die Aufnahme echter Friedensgespräche ist daher, Zelensky zu entfernen und ihn durch einen realistischeren und aufgeschlosseneren Führer, vielleicht Zaluschny, zu ersetzen.

Der Westen schliesslich befindet sich heute in einer Sackgasse. Er hat immer noch keine Strategie zur Überwindung der Krise in der Ukraine und hat ausser einer blinden und bedingungslosen Unterstützung von Zelenskys Regime nichts anzubieten. Er weiss nicht, was, wie oder mit wem er verhandeln soll, da er Putin boykottiert. Daher begnügt er sich damit, den kriegslüsternen Eliten in Osteuropa, den baltischen Staaten, Polen und Washington zu folgen, während zugleich keine Einigkeit darüber herrscht, was Frieden sein sollte und könnte. Es besteht praktisch keine Chance, dass sich dies vor den November-Wahlen in den USA ändern wird.

Nach diesem Datum, unabhängig davon, wer der neu gewählte Präsident sein wird, könnte die Situation offener werden, da der Misserfolg aufgrund dieser fehlenden Strategie und der daraus resultierende Verschleiss in allen Bereichen – Militär, Wirtschaft, Finanzen und Politik – deutlicher zutage treten wird.

Dann wäre es an der Zeit, über einen Wechsel des Amtsinhabers im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten nachzudenken.

*  Guy Mettan (1956) ist Politologe, freischaffender Journalist und Buchautor. Seine journalistische Karriere begann er 1980 bei der «Tribune de Genève» und war von 1992 bis 1998 deren Direktor und Chefredaktor. Von 1997 bis 2020 war er Direktor des «Club Suisse de la Presse» in Genf. Guy Mettan ist seit 20 Jahren Mitglied des Genfer Kantonsparlaments.

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

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