Zur humanitären Katastrophe in Gaza
Kann der 20-Punkte-Plan der Trump-Regierung die Lage der palästinensischen Bevölkerung in Gaza verbessern?
von Georg Koch, Redaktion «Schweizer Standpunkt»
(12. Dezember 2025) Wird die Resolution des UNO-Sicherheitsrats vom 17. November 2025 und der von ihm genehmigte 20-Punkte-Plan der Trump-Regierung die Lage der palästinensischen Bevölkerung in Gaza verbessern?
Nachdem ein immer grösser werdender Teil der Weltbevölkerung nicht oder nicht mehr bereit ist, das Vorgehen des israelischen Militärs gegen die palästinensische Bevölkerung als «Selbstverteidigung» aufgrund der Anschläge der Hamas und anderer gegen Israel am 7. Oktober 2023 zu rechtfertigen, vereinbarte die Trump-Regierung mit der israelischen Regierung einen «20-Punkte-Plan», der zu einem Waffenstillstand und zu einem Ende der humanitären Katastrophe führen soll. Bis dahin sind laut Amnesty International mindestens 67 900 Palästinenser getötet worden, darunter über 20 000 Kinder.1
Inzwischen gehen Forscherteams am Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock aufgrund der vielen Verschütteten davon aus, dass «offenbar mindestens 100 000 Menschen in dem mehr als zwei Jahre währenden Krieg gestorben oder getötet» wurden.2
Die Einhaltung elementarster humanitärer Rechte wie auf sauberes Wasser, Ernährung, Unterkunft oder medizinische Versorgung wurden durch Israel verhindert. Zahlreiche Völkerrechtler, Menschenrechtsexperten und Historiker – darunter nicht wenige Juden und Holocaustexperten – stützen die Anklage gegen die israelische Regierung vor dem Internationalen Strafgerichtshof, einen Genozid an der palästinensische Zivilbevölkerung zu verursachen. Fast alle westlichen Regierungen haben sich mit ihrer mehr als tolerierenden Haltung gegenüber den Verstössen Israels gegen das humanitäre Völkerrecht mitschuldig gemacht.
Am 29. September stimmte Regierungspräsident Netanjahu dem 20-Punkte-Plan von Präsident Trump zu. Am 13. Oktober übergab die Hamas gemäss dieser Vereinbarung die letzten lebenden Geiseln an Israel, das im Gegenzug hunderte von palästinensischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen entliess. Endlich wurden wieder mehr – aber gemäss den Hilfsorganisationen immer noch viel zu wenig – Hilfslieferungen in den Gaza-Streifen gelassen.
Besteht nun für die Zivilbevölkerung Hoffnung auf Frieden oder wenigstens eine Besserung ihrer Lage?
Jüngste Berichte des «Internationalen Roten Kreuzes» IKRK und anderer Hilfsorganisationen, Nachrichten über das Leiden der Zivilbevölkerung unter der absoluten Mangelversorgung gerade in der jetzt aufkommenden kalten Regenzeit und Berichte der UN und israelischer Menschenrechtsorganisationen zeigen, wie sehr den Menschen weiterhin unerträgliches Leid zugefügt wird. Nach wie vor sterben unschuldige Zivilisten, darunter zahlreiche Kinder. Der internationale Druck, dass die Menschenrechte einzuhalten sind, dass jedes Volk gleichberechtigt ist und die UNO-Charta sowie das Humanitäre Völkerrecht eingehalten werden müssen, ist weiterhin nötig.
Wie schwierig die weitere Entwicklung sein wird, zeigt Kardinal Pierbatista Pizzaballa, der lateinische Patriarch von Jerusalem, in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen SRF am 15. November auf:
«Zwischen Israelis und Palästinensern gibt es überhaupt kein Vertrauen. Es gibt Hass. […] Die Israeli empfinden den 7. Oktober als eine Art «Mini-Schoah», als existentielle Bedrohung. Die Palästinenser wiederum glauben, die Israeli wollten sie alle, ja alle, ins Meer treiben. In diesem Kontext Vertrauen wieder aufzubauen, ist nicht einfach. […] Nach 7. Oktober und Gaza-Krieg sind wir nicht in der Lage, einander zu begegnen und zu verstehen – mit wenigen Ausnahmen. Jeder ist so sehr in seinem eigenen Schmerz und seiner Perspektive gefangen, dass kein Raum für den Schmerz der anderen bleibt. Wir müssen aber zuerst den Schmerz der anderen wahrnehmen und dann Schritt für Schritt auch jene Themen ansprechen, die wir bisher vermieden haben.»
Der «Schweizer Standpunkt» dokumentiert im Folgenden eine kurzen Bericht der israelischen Menschenrechtsorganisation «B’Tselem»* zur aktuellen Situation. Ausserdem finden Sie einen Link zur «Resolution 2803 (2025)» des UNO-Sicherheitsrats vom 17. November mit dem Annex 1, das den 20-Punkte-Plan der Trump-Regierung beinhaltet.3
Ein Monat nach dem «Waffenstillstands»-Deal
von B'Tselem*
Seit Inkrafttreten des Waffenstillstandsabkommens am 10. Oktober 2025 hat Israel mindestens 241 Palästinenser in Gaza getötet, darunter 117 Kinder. Mehr als 600 Menschen wurden verletzt.
Israel behindert weiterhin die Einfuhr humanitärer Hilfe und hungert die Bevölkerung aus, indem es etwa 75 Prozent der Anträge auf Einfuhr von Hilfsgütern ablehnt. Im Abkommen hat es sich verpflichtet, täglich 600 Hilfsgüter-Lkw zuzulassen, doch im Durchschnitt wurden nur 145 Lkw zugelassen.
Das Abkommen sieht keinen internationalen Mechanismus vor, der sicherstellt, dass Israel seinen Verpflichtungen nach internationalem Recht nachkommt. Israel bombardiert, hungert und zerstört den Gazastreifen weiterhin ungehindert.
Die meisten Menschen in Gaza sind obdachlos, hungrig und haben keinen Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, doch die Staats- und Regierungschefs der Welt sehen tatenlos zu, geben leere Erklärungen ab und ermöglichen so die Normalisierung dieser unerträglichen Realität.
Die internationale Gemeinschaft muss jetzt handeln, um den Schutz der Palästinenser, die sofortige Einfuhr humanitärer Hilfe und die Rechenschaftspflicht der für den Völkermord Verantwortlichen sicherzustellen.
| * B’Tselem ist das israelische Informationszentrum für Menschenrechte in den besetzten Gebieten. Es strebt eine Zukunft an, in der Menschenrechte, Freiheit und Gleichheit für alle Menschen, Palästinenser wie Juden, die zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer leben, garantiert sind. Eine solche Zukunft wird nur möglich sein, wenn die israelische Besatzung und das Apartheidregime beendet werden. Das ist die Zukunft, auf die seit 30 Jahren hingearbeitet wird. |
Quelle: https://x.com/btselem/status/1987887811970642127, 10. November 2025
(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)
1 https://www.amnesty.de/israel-palaestina-gaza-nahostkonflikt
2 https://www.zeit.de/politik/ausland/2025-11/kriegstote-gazastreifen-opferzahlen-schaetzung
3 20-Punkte-Plan englisch: https://docs.un.org/en/S/RES/2803(2025) französisch: https://docs.un.org/fr/S/RES/2803(2025) deutsch: https://www.un.org/german/sites/default/files/2025-11/sr2803.pdf