«Wie die USA Europa eroberten»

Auszug aus dem Buch «Verhängnisvolle Freundschaft» von Werner Rügemer*

(21. Februar 2025) (CH-S) Im Folgenden dokumentiert der «Schweizer Standpunkt» das erste Kapitel des 2023 erschienen Buches des deutschen Journalisten und Sachbuch-Autors Werner Rügemer. Gerade in der sich im Umbruch befindenden Gegenwart ist es zum besseren Verständnis des Geschehens lohnenswert, sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit geschichtlichen Aspekten der Verbindungen zwischen den USA und Europa auseinanderzusetzen.

Werner Rügemer
(Bild wikipedia)

Hier haben wir es mit der Analyse eines deutschen Publizisten zu tun, der sich seit den 1980er Jahren mit geschichtlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen und Missständen diesseits und jenseits des Atlantiks befasst.

* * *

Der Erste Weltkrieg war das erste grosse Globalgeschäft: Die Bündnispartner gerieten in Abhängigkeit, wurden zu Absatzmärkten und Investitionsstandorten. Es folgten immer neue Kriege, immer neue Feinde. Das Buch «Verhängnisvolle Freundschaft» ist dem australischen Journalist Julian Assange gewidmet.

Freundschaft, Verhängnis, möglicher Tod

«It may be dangerous to be America’s enemy,
but to be America’s friend is fatal.»

«Es kann gefährlich sein, Amerikas Feind zu sein;
aber Amerikas Freund zu sein, ist tödlich.»

ISBN 978-3-89438-803-4

Das bilanzierte Henry Kissinger, ehemaliger Chef des State Department und langjähriger Berater mehrerer US-Präsidenten. So umwarb er in den 1970er Jahren mit Präsident Richard Nixon die Volksrepublik China, sie wurde diplomatisch anerkannt und wirtschaftlich gefördert.

Solange China wirtschaftlich schwach war und die Supergewinne von Apple, Microsoft, Ford & Co. hoch waren, blieb China der Freund.

Als China industriell und technologisch erstarkte, die Löhne anhob und breiten Wohlstand für die bisher Armen schaffte und mit einer militärisch nicht begleiteten, alternativen Globalisierung Erfolge hatte – da wurde es unter dem freundlich grinsenden Präsidenten Barack Obama zum System- und Todfeind, wird politisch und medial verhetzt, wirtschaftlich sanktioniert und militärisch umzingelt.

So werden Freunde zu Todfeinden – nur einige weitere Beispiele:

  • Sowjetunion: Wall-Street-Banker geiferten mit Beginn der revolutionären Umbrüche 1917 in Russland auf noch mehr gewinnbringende Investitionen und umgarnten die neuen Regierungen.
    Nach der fehlgeschlagenen militärischen Intervention einer Allianz, an der sich auch die USA beteiligten, investierten Ford, General Electric, Radio Corporation of America, Harriman & Co. – die Sowjetunion erstarkte industriell, auch sonst, der Wohlstand der bisher Armen wuchs.
    1933 anerkannte US-Präsident Franklin D. Roosevelt die Sowjetunion. Aber für Ford & Co. wurde die Sowjetunion zum Todfeind. Im strategischen Schwenk rüsteten sie die Hitler-Wehrmacht auf. Nun sollte die Sowjetunion vernichtet werden.
  • Kuba: In Kuba unterstützten die USA Ende des 19. Jahrhunderts zunächst die demokratische Aufstandsbewegung unter José Martí gegen die Kolonialmacht Spanien. Nach dem Sieg wurde die nationale Aufstandsbewegung abserviert, die USA setzten Diktatoren ein – eine vielfach geübte Praxis in den US-«Hinterhöfen» Lateinamerikas und Asiens.
  • Vietnam: Bei den Friedensverhandlungen in Versailles wies der US-Friedensprediger Woodrow Wilson die Befreiungsbewegung Vietnams unter Ho Chi Minh ab. Dann im 2. Weltkrieg im Kampf gegen die japanischen Besatzer unterstützten die USA Ho Chi Minh kurzzeitig, um ihn sofort nach dem Krieg zum Todfeind zu erklären, die französische Kolonialmacht gegen Ho Chi Minh aufzurüsten und dann selbst den noch viel grausameren Vernichtungskrieg zu übernehmen.

Mit der Wall Street von Mussolini zu Adenauer

Nach der Niederschlagung der im Krieg erstarkten Arbeiterbewegung wurde Benito Mussolini in den USA zum Politstar. Wall-Street-Anwalt John McCloy beriet vor Ort in Rom den päpstlich gesegneten Diktator: Er wurde mit US-Krediten überhäuft.
McCloy vertrat die Interessen von US-Konzernen auch in Nazi-Deutschland. Das Olympische Komitee der USA bekämpfte erfolgreich die internationale, auch jüdische Boykottbewegung gegen die Abhaltung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin: Sie konnten dann prunkvoll stattfinden und förderten das internationale Ansehen des Nazi-Regimes. So durfte McCloy mit Ehefrau neben Göring und Hitler auf der Ehrentribüne im Berliner Olympiastadion sitzen.
Ab 1949 war McCloy Hoher Kommissar der USA für die Bundesrepublik Deutschland. McCloy beriet bzw. überwachte den ersten Bundeskanzler, den christlichen Politikdarsteller Konrad Adenauer, der ein früher Fan von Mussolini gewesen war. McCloy/Adenauer schützten gemeinsam deutsche wie US-amerikanische Komplizen der Hitler-Diktatur vor Aufdeckung und Anprangerung.

State Department: Anspruch auf jeden Winkel der Erde

Die wechselnden Freund-Feindschaften beruhen seit der Verfassung des US-Staates 1787 auf dem Selbstverständnis, das bis heute gilt: Die USA haben als einziger wichtiger Staat kein Aussenministerium, sondern ein «State Department», Staats-Ministerium. So sind die nächsten wie die fernsten Territorien der Erde im «national interest» mögliche Staats-, Einfluss- und Herrschaftsgebiete der USA.

Ergänzt wird der Allein- und Allmachtsanspruch biblisch durch «God’s own Country» und «God bless America», durch die «auserwählte Nation», auch durch «America First», «American Century» und «New American Century» und den «amerikanischen Exzeptionalismus» oder auch «Wir sind die einzige Weltmacht». All das gehört zu den Genen des US-Staates.

Erst einmal in den «Hinterhöfen«, dann in Europa und weltweit

So wurde der kleine Streifen des zur Demokratie erklärten Sklavenstaats an der Ostküste Nordamerikas schrittweise zuerst durch Eroberungen und Annexionen in Nordamerika (ausser dem britischen Kanada, das nicht erobert werden konnte) erweitert, Völkermord an den Indigenen inbegriffen.

Später waren die lateinamerikanischen, karibischen und asiatischen «Hinterhöfe» dran, seit dem 1. Weltkrieg bis heute dann Europa und die ganze Erde – durch den Zangengriff von Investitionen, Krediten, Militär, Geheimdiensten und Fake-PR.

Mithilfe von Putschen und Bürgerkriegen wurden Diktatoren eingesetzt oder gefördert. Im Europa der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sah dies so aus:

  • Der erste faschistische Diktator, Mussolini, der die erstarkte demokratische und Arbeiterbewegung vernichtet hatte, wurde mit Krediten überhäuft und in den USA zum Politstar.
  • Generalissimus Franco, der gegen die spanische Republik putschte, wurde von US-Rüstungs- und Ölkonzernen beliefert, von Mussolini und Hitler militärisch unterstützt – bis zum gemeinsamen Sieg.
  • Hitler wurde zum Medienstar, auch mithilfe Hollywoods, das Olympische Komitee der USA, zusammen mit denen Englands, Frankreichs, Japans, Finnlands und Südafrikas, retteten gegen die internationale, auch jüdische Boykottbewegung die Olympischen Spiele 1936 für Hitler in Berlin, rüsteten die Wehrmacht gegen die Sowjetunion auf.

Ausserhalb jeder internationalen Ordnung

Zum Anspruch der «einzigen Weltmacht» gehört: Die USA schlagen immer wieder internationale Ordnungen vor, unterlaufen aber die jeweils gegründeten Institutionen und bauen daneben ihre eigene internationale Anti-Ordnung auf, gegen Völkerrecht und Menschenrechte.

So regten die USA nach dem 1. Weltkrieg den Völkerbund an, traten dann aber nicht bei, sondern schlossen nach den Versailler Verträgen Einzelverträge mit allen Kriegsteilnehmern und förderten faschistische Diktaturen in China, Italien, Griechenland, Deutschland, Japan und Spanien. So werden die USA nach dem 2. Weltkrieg genauso mit der UNO verfahren.

Wilson, Obama: Friedensversprechen und ewiger Krieg

US-Präsident Woodrow Wilson von der Demokratischen Partei hatte seinen Wahlkampf 1913 mit dem hochheiligen Versprechen gewonnen: Die USA werden sich nie am Krieg beteiligen, der sich in Europa anbahnt. Mit Kriegsbeginn finanzierten und belieferten Wall Street und US-Konzerne die Kriegsparteien in Europa und förderten lukrativ den Krieg. Führend war dabei die Bank Morgan. 1917 brach Wilson mithilfe professioneller PR sein Versprechen und verkündete mit Berufung auf Gott das Gegenteil, nämlich den militärischen Eintritt der USA in den europäischen Krieg: «War to end all wars» – Wir führen jetzt Krieg, um alle Kriege zu beenden. So die Parole. Seitdem führten und führen die USA zahlreiche völkerrechtswidrige Kriege.
US-Präsident Barack Obama, ebenfalls von der Demokratischen Partei, hatte seinen Wahlkampf 2008 mit dem genauso hochheiligen Versprechen gewonnen: Wir werden abrüsten und die Atombomben abschaffen! Wir werden die Umwelt retten! Zu den Grossspendern für Obamas Wahlkampf gehörte die Bank Morgan. In seiner Amtszeit diktierte Obama den europäischen Nato-Mitgliedern Aufrüstung, rüstete seinerseits die USA mit Berufung auf Gott noch weiter auf, erneuerte die Erstschlagsdoktrin, weichte Umwelt- und Arbeitsgesetze zugunsten der umweltschädlichen und für Anwohner oft tödlichen Fracking-Industrie auf und liess mit BlackRock-Managern in seiner Regierung China zum neuen Hauptfeind erklären, durch US-Konzerne die Ukraine aufrüsten und den Krieg gegen Russland vorbereiten.

Die USA führen nun jederzeit bei Bedarf Kriege nach eigener Wahl. Wenn die UNO/der Sicherheitsrat einen Krieg beschliesst – gut; wenn nicht, dann führen die USA den Krieg allein oder mit einer selbst gebastelten Allianz der jeweils «willigen» Vasallen.

Der Antikommunist Churchill hatte gegen Ende des 2. Weltkriegs von seinen Militärchefs den Plan «Operation Unthinkable» ausarbeiten lassen. Danach sollten sofort nach dem Waffenstillstand mit NS-Deutschland US-amerikanische und britische Truppen, verstärkt durch Teile der Wehrmacht, die Sowjetunion erobern. Angesichts der Stärke der Roten Armee und der öffentlichen Stimmung in Grossbritannien wurde darauf verzichtet. Aber die Absicht blieb. Sie wurde und wird mit anderen Mitteln verfolgt, unter Führung der weitsichtigeren, mächtigeren USA.

Im 1. und 2. Weltkrieg förderten US-amerikanische Banken und Konzerne die Kriege der «Verbündeten». Dann konnten zum Ende des Krieges die US-Militärs in den erschöpften Kriegsgebieten vergleichsweise leichte Siege holen. Und unter der Flagge freundschaftlicher «Hilfe» konnte die Siegermacht sich dem lukrativen «Wiederaufbau» widmen: Förderung von US-Investitionen, Durchdringung mit US-Waren und Bau von US-Militärstützpunkten.

Wie in Hiroshima und Nagasaki begonnen, wurde dem so scheinbar freundlich geförderten (West-)Europa zudem eine tödliche Aufgabe aufgezwungen: Mit der Doktrin des atomaren Erstschlags machten die USA Europa zum Standort eines möglichen atomaren Krieges gegen die Sowjetunion: Das gilt bis heute.

So scharfsichtig wie kurzsichtig: Professionelle Selbsterblindung

1935 stellte die Künstlerin Mabel Dwight in einer Lithografie die Wall-Street-Banker, die mit dem 1. Weltkrieg und seinen vielen Millionen Toten riesige Gewinne gemacht hatten, als die «Merchants of Death» dar, Händler des Todes: Sie «hassen das Ideal der Demokratie, aber sie freuen sich über die lockeren Zügel und den Freiraum, den sie ihnen lässt». Wegen der Gewinne, so Dwight, sind diese Händler des Todes «ausgesprochen scharfsichtig, dabei aber unheilbar kurzsichtig».

US-Kapitalisten haben mit professioneller PR wie mit dem Committee on Public Information (CPI) im 1. Weltkrieg, mit den von ihnen finanzierten Elite-Universitäten und Massenmedien hochbezahlte, formal hochqualifizierte Profis und Wissenschaftler: Die inszenieren jeden noch so grausamen Krieg als Ausbund an Demokratie, Menschlichkeit und Friedenswillen.

So bestätigen und bekräftigen die Kriegsgewinner – und natürlich auch die Umweltschädiger usw. – und ihre Mittäter sich ständig gegenseitig in ihrer Wohltäterei.

Sie sind so scharfsichtig für jede lukrative Möglichkeit mithilfe von Kriegen, Umwelt- und Gesundheitsschäden – und gleichzeitig so kurzsichtig für die menschlichen und gesellschaftlichen Folgen: Professionelle Selbsterblindung.

* Werner Rügemer, geboren 1941, studierte Literaturwissenschaft, Philosophie und Ökonomie in München, Tübingen, Berlin und Paris. 1979 promoviert er an der Universität Bremen. Von 1975 bis 1989 arbeitete Werner Rügemer in der Redaktion der pädagogischen Fachzeitschrift Demokratische Erziehung. Seit 1984 war er auch mit Radio- und TV-Features beschäftigt, vor allem für den WDR. Seit 1989 ist Werner Rügemer freier Autor. Er publizierte seither eine Vielzahl von Artikeln und mehrere Bücher, unter anderem «Cross-Border Leasing» (2004), «‹Heuschrecken› im öffentlichen Raum» (2008, 2012), «Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts» (2018 und 2020).

Quelle: Werner Rügemer. «Verhängnisvolle Freundschaft. Wie die USA Europa eroberten». PapyRossa Verlag 2023. ISBN 978 3 89438 803 4

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