Wenn demokratische Institutionen erodieren
Wie Deutschland seine Demokratie verliert
von Robert Seidel
Kann man die Bundesrepublik Deutschland noch als Demokratie bezeichnen? Werden die Bürgerinnen und Bürger in ihren demokratischen Rechten ernstgenommen?
Es ist verhängnisvoll, zu meinen, man könne das Rad der Geschichte zurückdrehen. Versuche, Menschen wieder in Unmündigkeit zurückzustossen, rächen sich und führen zu unnötigem Leid. Denn wer lässt sich gerne seiner natürlichen Rechte berauben?
Dass wir Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren werden und jedem das Recht zusteht, sein Leben selbstbestimmt zu führen, gehört heute zum Common Sense.
Wie ein Mangel an Mitgefühl von einigen «Besseren» erscheinen deshalb die Versuche, sich über andere – die dann als «Plebs», «einfache Menschen», «Ungebildete», «Masse» oder schlicht als «Uninformierte» bezeichnet werden – hinwegzusetzen.
Mit Erstaunen nehmen viele Menschen wahr, dass parallel zur Covid-19-Pandemie weitreichende politische Änderungen unter Schlagworten wie «Great Reset»1 oder «Green Deal»2 vorgenommen werden. Die Welt wird offensichtlich ohne demokratische Mitsprache umgestaltet. Haben die demokratischen «Bremsen» versagt? Bestimmt die Bevölkerung noch selbst über ihr Geschick, oder wird über sie bestimmt? Handelt die gewählte Regierung eigenmächtig, oder ist sie fremdbestimmt? Dazu ein Rückblick.
Kommt das Parlament seiner Aufgabe nach?
Machen wir an einer der mächtigsten Wirtschaftsnationen der Welt, unserem Nachbarn, der Bundesrepublik Deutschland, eine Probe und fragen: Erfüllen die demokratischen Institutionen ihre Aufgabe als Vertretung des Volkes?
Zwei exemplarische Beispiele verdeutlichen das Versagen der demokratischen Institutionen in Deutschland. Als Gradmesser für den Zustand der deutschen Demokratie gilt das Grundgesetz. Es entstand 1949 als Konsequenz aus den Katastrophen zweier Weltkriege sowie einer totalitären Diktatur. Es bildet den Rahmen für ein demokratisches und freiheitliches Zusammenleben und ist zugleich ein Bollwerk gegen undemokratische und kriegerische Tendenzen.
• Die im Herbst 1998 neu gewählte Regierung (SPD und Grüne – beide begriffen sich als «Friedensparteien») überging völlig unerwartet das geltende Verbot von Angriffskriegen. Die Regierung gab grünes Licht für eine Beteiligung an dem Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Der damalige Kanzler Gerhard Schröder (SPD) gab einige Jahre später unumwunden zu, dass dieser Krieg völkerrechtswidrig war.3 Dieser Krieg war nicht von der UNO legitimiert und somit verfassungswidrig. Wo blieb der Aufschrei im deutschen Parlament? Wo blieb die deutsche Justiz? Der Schweizer Divisionär a. D. Hans Bachofner hielt damals fest: «Der Krieg ist wieder da – aber wir haben den Respekt verloren.»
• 2015 entschied Angela Merkel über das Parlament hinweg und gegen geltendes Recht den unbeschränkten Zuzug von Migranten nach Deutschland. Wo blieb der Aufschrei des Parlaments? Wo blieb die deutsche Justiz?
Um die Rechte der Bevölkerung foutiert
Die deutsche Regierung hatte ihr Parlament übergangen, sie hat das Grundgesetz missachtet und sich um die Rechte der eigenen Bevölkerung foutiert. Es ist beängstigend zu sehen, wie Konstanten deutscher Politik nach 1945 schleichend geschleift wurden. Weitere Rechtsbrüche zeichnen sich heute ab:
• Neue Migrationspläne grösseren Ausmasses werden über EU-Gesetze umgesetzt, um die eigene Bevölkerung zu umgehen.
• Der gigantische Umbau der Wirtschaft über die EU zugunsten von globalen Konzernen wird schönfärberisch als «Green Deal» verkauft.
• Im Schatten der Pandemiebekämpfung wird eine gigantische Verschuldung der Deutschen über den EU- und den Staatshaushalt vorangetrieben, die jedes vorstellbares Mass sprengt. Die Konsequenzen bleiben unbesprochen.
• Seit 2014 marschiert die deutsche Bundeswehr in Osteuropa – bisher in Manövern – wieder gegen Russland auf. Ist es ein Déjà-vu?
Das Vertrauen restlos verspielt
Was werden die Folgen dieses eigenmächtigen Handelns sein? Wird das Vertrauen restlos verspielt? Bilden sich in Deutschland wieder autoritäre, wenn nicht sogar totalitäre Strukturen? Werden Überwachungsmethoden und sozialer Konformitätsdruck erzeugt, ähnlich wie in Erich Mielkes Schattenreich? Oder können 75 Jahre (west-) deutsches Grundgesetz und 45 Jahre Widerstand in der DDR die demokratischen Kräfte in Deutschland revitalisieren?
Sind die Regierungen fremdbestimmt?
So stellt sich eine zweite Frage. Wer hat denn noch Einfluss auf diese Regierung, wenn nicht die deutsche Bevölkerung? Handelt die Regierung inzwischen eigenmächtig, oder ist sie fremdbestimmt?
Vielleicht wird Ex-Kanzler Schröder in späteren Memoiren darlegen, wer ihm und Joseph Fischer (Grüne) nahelegte, das Friedensgebot des Grundgesetzes zu brechen und gemeinsam mit den USA und anderen «Willigen» gegen die Bundesrepublik Jugoslawien Krieg zu führen. Die deutsche Bevölkerung war es jedenfalls nicht.
Im Herbst 1998 – noch im Wahlkampfmodus – flogen Schröder und Fischer nach Washington. Danach war klar, Deutschland beteiligt sich wieder an völkerrechtswidrigen Kriegen. «Nie wieder Krieg» wurde Geschichte. Neben dem Einsatz verbotener radioaktiver Waffen (unter anderem DU-Geschossen) wird seitdem systematische PR betrieben, um den Widerstand der deutschen Bevölkerungen gegen Kriege aufzuweichen.
Krieg auf Wunsch der USA
Heute ist bekannt, dass die US-Administration unter Bill Clinton und Madeleine Albright diesen völkerrechtswidrigen Krieg in Europa durchsetzte. Die hinter ihnen stehenden Kräfte setzten in dieser Zeit auch eine weltweite neoliberale Wirtschaftspolitik, Stichwort «Globalisierung», durch. Zugunsten der Handels- und Finanzinteressen der damals noch grössten Handelsmacht wurde der Wille einzelner Nationen übergangen. Neben «Hard Power» (Jugoslawien-, Afghanistan-, Irak-Krieg u.a.m.) und «Soft Power» (u.a. Farbenrevolutionen) diktierte die US-Administration über internationale Organisationen (UNO, WTO, WHO, IWF usw.) den einzelnen Nationen der Welt ihre Bedingungen. Gewählte Regierungen waren nicht mehr ihrer Bevölkerung verpflichtet, sondern mussten «internationale Verpflichtungen» erfüllen.
Merkel: «Ausspähen unter Freunden das geht gar nicht»
Und was ist mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel? Wer erinnert sich nicht an ihren Ausspruch von 2013, «Ausspähen unter Freunden das geht gar nicht».4 Nicht nur sie selbst, die gesamte deutsche Regierung, das Parlament, aber auch die deutsche Industrie werden und wurden alle von den «Freunden» (USA, GB) ausspioniert. Jede Regung, jede Planung ist bekannt. Eigenständiges Handeln ist nicht vorgesehen.5 Regieren im Namen des Volkes (political correctness-neudeutsch: der «Bevölkerung»)?
«His Masters Voice»
Bleibt die Frage nach «His Masters Voice». Weder Gerhard Schröder noch Angela Merkel haben die Interessen der deutschen Bevölkerung so vertreten, wie es das deutsche Grundgesetz fordert. Ein Aufschrei des Parlaments blieb aus, Anklagen der zuständigen Gerichte unterblieben. Massive und berechtigte Proteste der Bevölkerung 1999 und 2015 wurden von Regierung und Parlament übergangen.
Offensichtlich ist der Einfluss US-amerikanischer Interessen auf die deutschen Institutionen stärker als der Wille der Bevölkerung. Doch wer sind «die» US-amerikanischen Interessen? Veröffentlichungen über die enge Verzahnung zwischen US-Administration und Globalmilliardären sind zahlreich –, nur werden sie öffentlich kaum wahrgenommen. (Es handelt sich um handfeste soziologische Untersuchungen – zum grössten Teil aus den USA selbst).6 Dass die US-Bürgerin und Milliardärsgattin Belinda Gates in einem Zeit-Interview im Mai 2020 unumwunden sagte, sie könne jederzeit die deutsche Bundeskanzlerin anrufen,7 drückt mehr aus, als Merkel recht sein kann. Wie viele Deutsche fragen sich da: «Wann finde ich mit meinen Sorgen ein offenes Ohr bei meiner Kanzlerin?»
Auch die erzwungene Erhöhung der Verteidigungsausgaben der Nato-Staaten auf 2 Prozent des BIPs (!) wird weniger einheimischen Waffenlieferanten zugutekommen als dem viel beschriebenen US-amerikanischen «industriell-militärischen Komplex», in den auch eine Handvoll US-Milliardäre involviert sind. Die Interessen der US-Finanz- und der IT-Industrie werden an dieser Stelle nicht erläutert (Goldman-Sachs, Blackrock, Google, Apple, Facebook usw). Allein das Tauziehen um die Nord-Stream 2-Pipeline und der damit verbundene Verkauf von teurem und umweltschädlichem Frackingöl aus den USA spricht Bände.8 Man muss kein Wirtschaftswissenschaftler sein, um festzustellen, dass dies wenig mit sozialer Marktwirtschaft zu tun hat (von Demokratie ganz zu schweigen). Hier regiert allein das Recht des Stärkeren.
Deutschland als «Puerto Rico» der USA?
Von aussen gesehen, ergibt sich folgendes Bild: Deutschland ähnelt immer mehr einem «Puerto Rico» der USA.9 Regierung, Parlament und Justiz folgen nicht mehr den Interessen ihrer Bevölkerung. Sie haben den Boden ihrer Verfassung, das Grundgesetz, verlassen. Befehle kommen aus einem plutokratischen US-Milliardärsfilz und Think-Tanks mit globalem Machtanspruch. Projekte wie der «Great Reset» sind nicht nur elitär, sondern erinnern frappant an die Fiktionen in einer «Schönen neuen Welt»10 oder in der Welt von «Globalia».11
Demokratische Rechte zurückerobern
Wo bleibt ein demokratisches und damit wieder berechenbares Deutschland, in dem die Bürgerinnen und Bürger wieder selbst über ihr Schicksal bestimmen? Wann wird das deutsche Parlament wieder in seine Rechte gesetzt und kann seinen Aufgaben nachkommen? Wann vertreten die Parteien wieder die Interessen ihrer Wähler und betrachten den Staat nicht mehr als ihre Beute? Wann ist die Justiz wieder unabhängig von der Politik?12 – Es wird höchste Zeit für einen demokratischen «Reset».
1 vgl. https://www.wallstreet-online.de/nachricht/13185528-great-reset-bedeutet (download 30.11.2020)
2 https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal_de (download 29.12.2020)
3 vgl. Gerhard Schröder 2014 anlässlich des Krimkrieges. https://www.youtube.com/watch?v=ydLINQBOF1U (download 30.11.2020)
4 vgl. https://www.dw.com/de/merkel-aussp%C3%A4hen-unter-freunden-das-geht-gar-nicht/a-37580819 (download 30.11.2020)
5 vgl. Polli, Gert R. Deutschland zwischen den Fronten. Wie Europa zum Spielball von Politik und Geheimdiensten wird. FBV. München 2017.
6 Ferdinand Lundberg war nicht der erste Soziologe, der sich mit dem Einfluss der «Superreichen» auf die US-Politik beschäftigte. Lundberg, Ferdinand. Die Reichen und die Superreichen. Macht und Allmacht des Geldes. Hamburg 1968 (amerik. Original: The Rich and the Super-Rich. A Study in the Power of Money Today. New York 1968.
7 vgl. https://www.zeit.de/zustimmung?url=https%3A%2F%2Fwww.zeit.de%2F2016%2F32%2Fmelinda-gates-bill-gates-spenden (download 30.11.2020)
8 vgl. https://www.handelsblatt.com/themen/nord-stream-2 (download 30.11.2020)
9 Beschreibung der Situation Deutschlands durch Willy Wimmer Ende 2020. [Puerto Rico ist ein nicht inkorporiertes Gebiet der USA. Dies bedeutet, dass Puerto Rico weder einen eigenen US-Bundesstaat darstellt noch einem anderen Bundesstaat zugehörig ist. Als Teil der USA hat Puerto Rico keine eigene Aussenpolitik; sämtliche aussenpolitischen Angelegenheiten werden von den USA wahrgenommen. [Anm. der Red.])
10 Huxley, Aldous: Schöne neue Welt. Frankfurt.a.M. 1978 («Brave New World»)
11 Rufin, Jean-Christophe. Globalia. Editions Gallimard. Paris 2004
12 Von Armin, Hans Herbert. Die Hebel der Macht und wer sie bedient. Parteienherrschaft statt Volkssouveränität. Heyne München 2017