Russland und Afrika

«Mit vereinten Kräften für Frieden, Fortschritt und eine erfolgreiche Zukunft einstehen»

Nach dem zweiten Russland-Afrika-Gipfel gaben Wladimir Putin und der
Vorsitzende der Afrikanischen Union und Präsident der Union der Komoren
Azali Assoumani Erklärungen für die Medien ab. (Screenshot en.kremlin.ru)

von Wladimir Putin, Präsident der Russischen Föderation

(15. August 2023) (Red.) Wenige Tage vor dem Russland-Afrika-Gipfel von Ende Juli 2023 zog Wladimir Putin eine positive Bilanz der Partnerschaft zwischen Moskau und dem afrikanischen Kontinent und skizzierte die Umrisse der künftigen Beziehungen.

Der afrikanischen Bevölkerung wurde so die Möglichkeit geboten, in einer Vielzahl grosser Zeitungen, Russlands Sicht über die Aussetzung des Getreideabkommens und Russlands Verhältnis zu Afrika zu lesen. Den europäischen Bevölkerungen wurden diese Informationen vorenthalten.

Einseitig wurde stattdessen beschworen, dass Russlands Afrika-Politik sei ein «Rückfall in übelste Zeiten europäischen Kolonialismus» sei (Focus, 28. Juli), dass Putin eine «Propagandaoffensive in Afrika» starte (Die Zeit, 9. August) und der amerikanische Aussenminister Blinken appellierte (vergebens) an die Afrikaner: «Sie [die Afrikaner] wissen genau, wer die Schuld an der gegenwärtigen Situation trägt» (tagesschau.de, 27. Juli). Die deutsche Aussenministerin Baerbock unterstellte Präsident Putin gar, den «Hunger als Waffe» (Der Spiegel, 17. Juli) einzusetzen.

Um Friedenslösungen entwickeln zu können, ist die Auseinandersetzung mit den gegensätzlichen Sichtweisen der jeweiligen Konfliktparteien unerlässlich.

Im Folgenden dokumentiert der «Schweizer Standpunkt» die ungekürzte Fassung des von Präsident Putin an die afrikanische Bevölkerung gerichteten Artikels. Er wurde auf der Kreml-Website in Englisch und Französisch veröffentlicht. Die Zwischentitel stammen von der Redaktion.

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Am 27. und 28. Juli wird in St. Petersburg der zweite Russland–Afrika-Gipfel und das Russland-Afrika-Wirtschafts- und Humanitäre Forum stattfinden.

Am Vorabend dieser grossen repräsentativen Veranstaltungen, an denen Staats- und Regierungschefs, Unternehmer, Akademiker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens teilnehmen werden, möchte ich den Lesern der führenden Medien des afrikanischen Kontinents meine Vision von der Entwicklung der russisch-afrikanischen Beziehungen und die vorrangigen Kooperationsbereiche für die kommenden Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts darlegen.

Unterstützung der afrikanischen Völker gegen die koloniale Unterdrückung

Die partnerschaftlichen Beziehungen zwischen unserem Land und Afrika haben starke, tiefe Wurzeln und waren stets von Stabilität, Vertrauen und gutem Willen geprägt. Wir haben die afrikanischen Völker in ihrem Kampf um die Befreiung von der kolonialen Unterdrückung stets unterstützt.

Wir halfen ihnen beim Aufbau staatlicher Institutionen, bei der Stärkung ihrer Souveränität und ihrer Verteidigungsfähigkeit. Wir haben viel getan, um eine nachhaltige Grundlage für die Volkswirtschaften der Länder zu schaffen.

Bis Mitte der 1980er Jahre wurden in Afrika unter Mitwirkung unserer Fachleute über 330 grosse Infrastruktur- und Industrieanlagen wie Kraftwerke, Bewässerungssysteme, Industrie- und Landwirtschaftsbetriebe gebaut, die bis heute erfolgreich arbeiten und weiterhin einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Kontinents leisten.

Zehntausende von afrikanischen Ärzten, technischen Spezialisten, Ingenieuren, Offizieren und Lehrern haben in Russland eine Ausbildung erhalten.

Russland-Afrika-Gipfel vom 27. bis 30. Juli 2023. 49 der 54 Länder des Afrikanischen
Kontinents waren in St. Petersburg vertreten. (Bild zvg)

Eine traditionell enge Zusammenarbeit

Besonders erwähnen möchte ich die traditionell enge Zusammenarbeit auf der Weltbühne, das entschlossene und konsequente Eintreten der UdSSR und später Russlands für die afrikanischen Länder in internationalen Gremien.

Wir haben uns immer strikt an das Prinzip «afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme» gehalten und uns mit den Afrikanern in ihrem Kampf um Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und ihre legitimen Rechte solidarisch gezeigt.

Wir haben nie versucht, den Partnern unsere eigenen Vorstellungen über die interne Struktur, die Formen und Methoden des Managements, die Entwicklungsziele und die Wege zu ihrer Verwirklichung aufzuzwingen. Unverändert respektieren wir die Souveränität der afrikanischen Staaten, ihre Traditionen und Werte, ihren Wunsch, ihr Schicksal selbst zu bestimmen und frei Beziehungen zu Partnern aufzubauen.

Vorrang des Völkerrechts

Wir schätzen aufrichtig das in gutem Glauben angesammelte Kapital der Freundschaft und Zusammenarbeit, die Traditionen des Vertrauens und der gegenseitigen Unterstützung, die zwischen Russland und den afrikanischen Ländern geschaffen wurden.

Was uns verbindet, ist das gemeinsame Streben nach einem System von Beziehungen, das auf dem Vorrang des Völkerrechts, der Berücksichtigung nationaler Interessen, der Unteilbarkeit der Sicherheit und der Anerkennung der zentralen Koordinierungsrolle der Vereinten Nationen beruht.

In der heutigen Zeit ist die kreative, vertrauensvolle und zukunftsorientierte Partnerschaft zwischen Russland und Afrika besonders bedeutsam und wichtig.

In der Welt bilden sich mächtige Zentren wirtschaftlicher und politischer Macht und Einflussnahme heraus, sie treten mit zunehmendem Nachdruck auf und verlangen nach Beachtung.

Gerechtere und demokratischere Zukunft

Wir sind überzeugt, dass eine neue multipolare Weltordnung, deren Konturen sich bereits abzeichnen, gerechter und demokratischer sein wird. Und es besteht kein Zweifel daran, dass Afrika dort neben Asien, dem Nahen Osten und Lateinamerika einen festen Platz haben wird, dass es sich endgültig vom belastenden Erbe des Kolonialismus befreien und sich von dessen modernen Praktiken lossagen wird.

Russland begrüsst die wachsende internationale Anerkennung der einzelnen Staaten wie auch Afrikas im Allgemeinen, ihren Wunsch, sich unanfechtbar zu behaupten und die Lösung der Probleme des Kontinents selbst in die Hand zu nehmen.

Wir haben die konstruktiven Initiativen unserer Partner stets unterstützt. Wir setzen uns dafür ein, den afrikanischen Ländern einen legitimen Platz in den Strukturen einzuräumen, die die Geschicke der Welt bestimmen, einschliesslich des UNO-Sicherheitsrats und der G 20, sowie für eine Reform der globalen Finanz- und Handelsinstitutionen, die ihren Interessen entspricht.

Afrika spürt die Last der globalen Herausforderungen

Leider stellen wir fest, dass die derzeitige internationale Lage alles andere als stabil ist. Alte Konflikte verschärfen sich, die in praktisch jeder Region zu finden sind, neue Herausforderungen und Bedrohungen treten auf. Afrika spürt die Last der globalen Herausforderungen wie kein anderer Teil der Welt. Unter diesen schwierigen Bedingungen hoffen wir, gemeinsam mit unseren afrikanischen Partnern eine Agenda für eine diskriminierungsfreie Zusammenarbeit zu entwickeln.

Die strategischen Achsen unserer Interaktion wurden durch die Beschlüsse des Ersten Russland-Afrika-Gipfels festgelegt, der Ende Oktober 2019 in Sotschi stattfand. Zu ihrer wirksamen Umsetzung wurde das Partnerschaftsforum Russland-Afrika gegründet.

Wir haben mit vielen Staaten des Kontinents bilaterale zwischenstaatliche Kommissionen für die Zusammenarbeit in den Bereichen Handel, Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie eingerichtet, die Erweiterung des Netzes russischer Botschaften und Handelsvertretungen in Afrika steht noch bevor.

Weitere Instrumente werden aktiv entwickelt, um die Wirtschaftsbeziehungen besser zu strukturieren und dynamischer zu gestalten.

Teilnehmer-Länder am Russland-Afrika-Gipfel in St. Petersburg 2023. Grün: mit
präsidialer Teilnahme; Hellgrün: ohne präsidiale Teilnahme; Rot: keine Teilnahme.
(Bild @argooooue)

Wirtschaftliches Engagement Russlands

Ich möchte mit Genugtuung feststellen, dass der Handelsumsatz Russlands mit den afrikanischen Ländern im Jahr 2022 auf fast 18 Milliarden US-Dollar gestiegen ist. Wir sind uns jedoch alle bewusst, dass das Potenzial unserer Handels- und Wirtschaftspartnerschaft viel grösser ist.

Russische Unternehmen sind daran interessiert, ihre Arbeit auf dem Kontinent in den Bereichen Hochtechnologie und geologische Erkundung, im Energiesektor einschliesslich der Kernenergie, in der chemischen Industrie, im Bergbau und in der Verkehrstechnik sowie in der Landwirtschaft und Fischerei zu intensivieren.

Die Veränderungen, die die Welt erlebt, erfordern Lösungen für den Aufbau neuer Lieferketten, die Bildung eines Währungs- und Finanzsystems und zuverlässige Abwicklungsmechanismen, die frei von unerwünschten äusseren Einflüssen sind.

Wir wissen, wie wichtig eine ununterbrochene Nahrungsmittelversorgung für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung und die Aufrechterhaltung der politischen Stabilität der afrikanischen Staaten ist. Daher haben wir Fragen im Zusammenhang mit den Lieferungen von Weizen, Gerste, Mais und anderen Feldfrüchten an afrikanische Länder stets grosse Aufmerksamkeit gewidmet.

Lieferung von Weizen, Gerste und Mais behindert

Wir haben dies sowohl auf vertraglicher Basis als auch kostenlos als humanitäre Hilfe getan, unter anderem im Rahmen des Ernährungsprogramms der Vereinten Nationen.

So exportierte Russland im Jahr 2022 11,5 Millionen Tonnen Getreide nach Afrika und fast 10 Millionen Tonnen in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres. Und das trotz der gegen unseren Export verhängten Sanktionen, die die Lieferung russischer Nahrungsmittel an Entwicklungsländer erheblich behindern und die Transportlogistik, Versicherungsvereinbarungen und Bankzahlungen erschweren.

Viele haben wahrscheinlich vom «Getreideabkommen» gehört, das ursprünglich dazu gedacht war, die weltweite Ernährungssicherheit zu gewährleisten, das Risiko von Hungersnöten zu verringern und den ärmsten Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika zu helfen – das ist auch der Grund, warum Russland sich verpflichtet hat, zu seiner Umsetzung beizutragen.

Schamlose Bereicherung US-amerikanischer und europäischer Unternehmen

Dieses «Abkommen» wurde zwar vom Westen öffentlich als Geste des guten Willens zugunsten Afrikas angepriesen, wurde aber in Wirklichkeit schamlos zur Bereicherung grosser US-amerikanischer und europäischer Unternehmen genutzt, die Getreide aus der Ukraine exportierten und weiterverkauften.

Urteilen Sie selbst: In knapp einem Jahr wurden im Rahmen dieses «Abkommens» 32,8 Millionen Tonnen Waren aus der Ukraine exportiert, von denen mehr als 70% an Länder mit hohem und hohem mittleren Einkommen, einschliesslich der Europäischen Union, gingen, während Länder wie Äthiopien, Sudan und Somalia sowie Jemen und Afghanistan weniger als 3 Prozent der Gesamtmenge, das heisst weniger als eine Million Tonnen, erhielten.

Gleichzeitig wurde keine der Bedingungen des «Abkommens» über die Aufhebung der Sanktionen gegen den russischen Export von Getreide und Düngemitteln auf die Weltmärkte erfüllt.

Behinderung der russischen Lieferungen

Darüber hinaus werden selbst unserer kostenlosen Weitergabe von Mineraldünger an bedürftige, ärmere Länder Hindernisse in den Weg gelegt.

Von 262 000 Tonnen Düngemitteln, die in europäischen Häfen festsassen, konnten wir nur zwei Sendungen verschicken – 20 000 Tonnen nach Malawi und 34 000 Tonnen nach Kenia.

Der Rest befindet sich noch immer in den unredlichen Händen der Europäer. Und das, obwohl es sich um eine rein humanitäre Massnahme handelt, die im Prinzip in keiner Weise von Sanktionen betroffen sein sollte.

In Anbetracht dessen hat die Verlängerung des «Getreideabkommens», das sein humanitäres Ziel nicht erreicht hat, seinen Sinn verloren. Wir haben uns gegen die Verlängerung dieses «Abkommens» ausgesprochen, und ab dem 18. Juli wurde seine Anwendung eingestellt.

Ich möchte Ihnen versichern, dass unser Land in der Lage ist, ukrainischen Weizen sowohl kommerziell als auch kostenlos zu ersetzen, zumal wir auch in diesem Jahr wieder eine Rekordernte erwarten.

Russland wird Afrika weiter mit Getreide versorgen

Trotz der Sanktionen wird Russland weiterhin energisch daran arbeiten, die Lieferung von Getreide, Nahrungsmitteln und Düngemitteln nach Afrika zu organisieren, ohne sich auf diese Produkte zu beschränken.

Wir schätzen das gesamte Spektrum der Wirtschaftsbeziehungen mit Afrika sehr und werden diese weiter ausbauen – sowohl mit einzelnen Staaten als auch mit regionalen Integrationsverbänden und natürlich mit der Afrikanischen Union.

Wir begrüssen den strategischen Kurs dieser Organisation in Richtung weiterer wirtschaftlicher Integration und der Bildung der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone.

Wir sind bereit, pragmatische, für beide Seiten vorteilhafte Beziehungen aufzubauen, auch im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsunion. Wir sind auch bereit, die Zusammenarbeit mit anderen Regionalverbänden auf dem Kontinent zu intensivieren.

Unter Fortführung etablierter Traditionen planen wir, weiterhin bei der Ausbildung nationaler Kader für die afrikanischen Staaten zu helfen.

Derzeit studieren 35 000 Studenten aus Afrika in unserem Land, davon über 6000 mit russischen Stipendien.

Tausende Stipendien in Russland vergeben

Jedes Jahr erhöhen wir die Zahl der vergebenen Stipendien, fördern die kostenpflichtige Ausbildung und die in letzter Zeit häufig gewordenen interuniversitären Verbindungen.

Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, ein neues, höheres Niveau in der humanitären Zusammenarbeit, im Bereich der Kultur, des Sports und der Medien zu erreichen. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um unsere jungen afrikanischen Freunde zu den Weltjugendfestspielen einzuladen, die im März 2024 in Sotschi, Russland, stattfinden werden.

Dieses gross angelegte internationale Forum wird mehr als 20 000 Teilnehmer aus über 180 Ländern zu einem informellen, freundschaftlichen und offenen Dialog zusammenführen. Es soll frei von ideologischen und politischen Schranken sowie rassischen und religiösen Vorurteilen sein und die junge Generation um die Ideen einer nachhaltigen und stabilen Welt, des Wohlstands und des Aufbaus versammeln.

Hohe Erwartungen in den Gipfel

Abschliessend möchte ich noch einmal betonen, dass wir dem bevorstehenden Zweiten Russland-Afrika-Gipfel grosse Bedeutung beimessen.

Nach seinem Abschluss planen wir die Verabschiedung einer umfassenden Erklärung und einer Reihe gemeinsamer Erklärungen sowie die Annahme des Aktionsplans des Partnerschaftsforums Russland-Afrika bis 2026. Wir werden ein umfangreiches Paket von zwischenstaatlichen und interministeriellen Abkommen und Memoranden mit Staaten und Regionalverbänden auf dem Kontinent unterzeichnen.

Ich freue mich darauf, die afrikanischen Staats- und Regierungschefs in St. Petersburg begrüssen zu dürfen und bin für eine fruchtbare, konstruktive Kommunikation bereit. Ich bin zuversichtlich, dass die Beschlüsse des Gipfels und des Forums sowie die kontinuierliche gemeinsame Arbeit auf verschiedenen Ebenen zur weiteren Entwicklung der strategischen russisch-afrikanischen Partnerschaft zum Wohle unserer Länder und Völker beitragen werden.

Quelle: https://fr.sputniknews.africa/20230724/la-russie-et-lafrique-unir-nos-efforts-pour-la-paix-le-progres-et-un-avenir-prospere-1060729104.html, 24. Juli 2023

(Übersetzung und Zwischentitel «Schweizer Standpunkt»)

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