Für die Durchsetzung einer neuen multipolaren Weltordnung ohne Krieg
von Stefan Hofer*
(19. September 2022) Nach dem Untergang der Sowjetunion und der europäischen sozialistischen Staaten, nach der Auflösung des Warschauer Paktes und des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW)1 triumphierten die Machteliten im Westen, die kapitalistische Markwirtschaft und das sie beherrschende von den USA dominierte westliche Staatensystem habe sich im System-Wettbewerb mit der sozialistischen Welt endgültig durchgesetzt, den Sozialismus besiegt. Es wurde bereits das Ende der Geschichte proklamiert.
Die Botschaft der Bombardierung Serbiens und des Irak-Krieges war: Wir, die USA und die von uns geführte Nato können nun auf der ganzen Welt bestimmen, wo es langgeht, was zulässig ist und was nicht; wir sind die Sieger der Geschichte; eine Gegenmacht gibt es nicht mehr.
Die seither vergangenen 30 Jahre haben gezeigt, dass dies eine krasse Fehleinschätzung war. Vor allem durch den phänomenalen wirtschaftlichen Aufstieg der Volksrepublik China verbunden mit einer internationalistischen geostrategischen Neuausrichtung der Politik dieses Staates ist eine neue stärkere Gegenmacht entstanden, welche die Macht der USA und ihrer Junior-Partner mehr und mehr eingrenzt.
Die Etablierung eines stabilen pro-westlichen Regimes im Irak ist nicht gelungen. Der angestrebte Regime-Change im Iran und in Syrien ist ebenfalls nicht gelungen. Auch in Serbien konnte nicht ein eindeutig pro-westliches Regime installiert werden. Der mit allen Mitteln versuchte Regime-Change in Nicaragua und in Venezuela ist gescheitert und auch in Kuba ist der Regime-Change bisher nicht gelungen. In Latein-Amerika (in Bolivien, Chile, Brasilien, Argentinien und jüngst auch in Kolumbien) sind Entwicklungen im Gange, die den USA missfallen und die nur Dank der veränderten globalen Kräfteverhältnisse möglich sind.
Auch das nicht mehr sozialistische Russland war unter Putin nicht mehr bereit, eine globale Hegemonie der USA zu akzeptieren und sich als Junior-Partner in das US-dominierte westliche Staatensystem einzuordnen bzw. sich den USA unterzuordnen mit der Folge, dass seither vom Westen versucht wird, Russland als autoritäre undemokratische Macht zu ächten, zu schwächen und zu destabilisieren.
Aber auch die gegen Russland gerichtete Politik des US-dominierten Westens hat bisher nicht zum angestrebten Regime-Change geführt. Vielmehr haben Russland und China in den letzten Jahren die Zusammenarbeit in der Politik, in der Wirtschaft und in der militärischen Verteidigung ihrer Interessen zu einer strategischen Partnerschaft entwickelt und vertieft.
Die Volksrepublik China und Russland streben zusammen mit anderen Staaten eine neue multipolare Weltordnung an, in der nicht mehr eine Hegemonialmacht mit ihren Junior-Partnern bestimmen kann, was zulässig ist und was nicht geduldet werden kann, bzw. nicht mehr die Hegemonialmacht USA festlegen kann, was ihre «vital interests» sind und wie sie diese überall auf der Welt geltend machen und durchsetzen will.
Diese neue Weltordnung wird den Völkern und Staaten ganz andere Möglichkeiten bieten, den Weg, den sie für ihre soziale und wirtschaftliche Entwicklung beschreiten wollen, frei und ohne Druck einer Hegemonialmacht zu wählen. Die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) und die BRICS-Gruppe sind internationale Organisationen, welche die Schaffung einer neuen multipolaren Weltordnung anstreben.
Die USA und ihre Junior-Partner, die man politisch als den «Westen» bezeichnet, wollen die kapitalistische Weltordnung mit der Führungsmacht USA mit allen Mitteln verteidigen gegen die Bestrebungen, eine neue auf dem Prinzip der Gleichberechtigung der Völker basierende multipolare Weltordnung durchzusetzen.
Die USA und ihre Allianz-Partner können jedoch die Augen nicht verschliessen vor der Tatsache, dass sich vor allem durch die rasante Entwicklung der Volksrepublik China die internationalen Kräfteverhältnisse von Jahr zu Jahr zu Ungunsten des Westens verschieben. China wird wirtschaftlich und militärisch immer stärker und wird schon in einigen Jahren die stärkste Wirtschaftsmacht der Erde sein.
Weil die USA diese Entwicklung stoppen möchten, tun sie alles, um das Wirtschaftswachstum und den wissenschaftlich-technischen Fortschritt der Volksrepublik China zu sabotieren. Sie müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass sie dabei nur wenig Erfolg haben. Zutreffend erklären sie, dass der Kampf gegen die Volksrepublik China nicht einfach ein Konkurrenzkampf zwischen kapitalistischen Wirtschaftsmächten ist, sondern ein System-Wettbewerb.
Bei dieser Konstellation besteht die Gefahr, dass die USA versuchen könnten, den weiteren Aufstieg der Volksrepublik China und das weitere Erstarken der Kräfte, die sich für eine neue multipolare Weltordnung einsetzen, mit militärischen Mitteln, d. h. mit Krieg zu stoppen und rückgängig zu machen, solange sie nach ihrer Einschätzung militärisch noch überlegen sind. Einen solchen Krieg möchten die USA möglichst weit weg von ihrem Territorium und möglichst mit dem Einsatz von Armeen verbündeter Staaten führen. Ein solcher Krieg wäre ein unvorstellbares Inferno, das unbedingt verhindert werden muss.
In letzter Zeit haben die USA gewaltige Aufrüstungsprogramme beschlossen, um eine militärische Überlegenheit zu sichern. Da sie auf dem Standpunkt stehen, die legitime globale Hegemonialmacht zu sein und es auch bleiben zu müssen, sind sie der Meinung, zur militärischen Absicherung ihrer Hegemonie ein Recht zu haben auf militärische Überlegenheit im globalen Massstab.
Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges haben die USA das Wettrüsten stets angeführt und sie zwingen nun China und Russland zu weiteren militärischen Rüstungsanstrengungen, da die USA nur dann von einem grossen Krieg gegen China und Russland abgehalten werden kann, wenn sie wissen, dass ein solcher Krieg auch die Verwüstung und weitgehende Vernichtung der USA zur Folge hätte. Reagan hat mit dem Wettrüsten die Sowjetunion wirtschaftlich schwächen, sprich totrüsten wollen, was schliesslich auch gelungen ist. Mit der Volksrepublik China wird das jedoch nicht gelingen, da China heute wirtschaftlich schon viel stärker ist als die Sowjetunion je gewesen ist.
In Anbetracht dieser ernstzunehmenden Kriegsgefahr ist es heute von grösster Wichtigkeit, unabhängig von der weltanschaulichen und religiösen Orientierung die Kräfte, die einen Krieg verhindern wollen, zu sammeln und zu mobilisieren für ein machtvolles Engagement für Abrüstung und gegen Krieg. Eine starke internationale Friedensbewegung gegen Hochrüstung und Krieg tut Not.
* Stefan Hofer, geboren im Jahr 1948, ist Schweizer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Basel. Er hat in Basel während 40 Jahren als Rechtsanwalt gearbeitet. Seit einigen Jahren ist er im Ruhestand. |
1 Der «Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe» war eine internationale Organisation von sozialistischen Staaten unter Führung der Sowjetunion. Der RGW wurde 1949 als sozialistisches Pendant zum Marshallplan und zur Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit gegründet. (Wikipedia)