Fragwürdige EU-Sanktionen gegen China

Rolf D. Cremer (Bild zvg)

Von Rolf D. Cremer und Horst Löchel*

(29. Mai 2021) Die EU möchte die Lage der Uiguren verbessern, indem sie Sanktionen über China verhängt. Das ist der falsche Weg. Die EU sollte Chinas Aufstieg als wirtschaftliche und kulturelle Bereicherung begreifen und konstruktive Arrangements mit dem Land fördern.

Die neue Administration der USA hat die harte Gangart von Donald Trump gegenüber China fortgesetzt. Es kann wenig Zweifel daran bestehen, dass die jüngsten EU-Sanktionen gegen China auf Betreiben der USA zustande gekommen sind und den Zweck verfolgen, transatlantische Geschlossenheit zu demonstrieren. Nun wundert sich die EU, dass China mit Gegenmassnahmen reagiert. Was hat man erwartet?

Wer China wirklich kennt, weiss, dass sich das Land in den vergangenen vierzig Jahren epochal geändert hat – und zwar zum nachweislichen Nutzen seiner 1,4 Milliarden Menschen und der ganzen Welt. In chinesischen Mega-Cities ist das Leben kaum noch von dem in westlichen Metropolen zu unterscheiden. Die wirtschaftliche Armut der Mao-Zeit ist verschwunden. Das durchschnittliche Einkommen pro Kopf der Bevölkerung ist um mehr als das Hundertfache gestiegen. Das ist ein Erfolg in der Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte der letzten Jahrhunderte. Es ist die Kombination von Öffnung sowie internationaler Zusammenarbeit und einer weitsichtigen Wirtschaftspolitik Chinas, die zu diesem Ergebnis geführt hat.

Horst Löchel (Bild zvg)

Alle grossen Fragen der Welt kann die Weltgemeinschaft nur gemeinsam mit China lösen. So müssen wir, bei allen Meinungsverschiedenheiten und Unterschieden, sorgfältig abwägen. Doch die EU lässt die Spannungen eskalieren und tritt in die Fussstapfen von Donald Trumps Abkoppelungsvision.

Die Sanktionen führen nicht nur nicht zu Fortschritten für die Uiguren. Sie haben darüber hinaus negative wirtschaftliche Konsequenzen, auch in und für Europa. Dabei geht es nicht nur um Unternehmensprofite, wie es immer wieder abfällig von jenen unterstellt wird, die für sich in Anspruch nehmen, das einzig Gute hochzuhalten. Tatsächlich geht es um Millionen von Arbeitsplätzen, Einkommen und Versorgung in der EU. Wir können nicht einerseits unseren Wohlstand mit China steigern wollen und gleichzeitig das Land immer wieder an den Pranger stellen und Ressentiments schüren.

Es verwundert in dieser Hinsicht, dass Menschenrechtsverletzungen in anderen Teilen der Welt für die EU keine oder kaum eine Rolle spielen. Warum fixiert man sich immer wieder auf China? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Weil nämlich China unser politisches System nicht teilt, aber trotzdem wirtschaftlich und sozial erfolgreich ist? Oder weil China uns sein autoritäres politisches System aufzwingen will, obwohl davon eigentlich keine Rede sein kann? Eher ist das Gegenteil der Fall.

Herausforderungen meistern

Die EU-Sanktionen berufen sich auch auf das Konzept der westlichen Wertegemeinschaft. Wenn es allerdings auf andere Kulturen mit einem anderen Verständnis von Geschichte sowie von der Beziehung zwischen Individuum und Gemeinschaft übergreift, ist dieses Konzept aus historischer Perspektive durchaus fragwürdig. Wir haben ein gutes institutionelles und politisches System für unsere Gesellschaften, für unsere Probleme und für unsere Zeit. Aber glauben wir wirklich, das bessere System für alle Gesellschaften zu haben? Europa und die USA machen mittlerweile nicht einmal zehn Prozent der Weltbevölkerung aus, und «der Westen» bildet nur rund ein Drittel der Weltwirtschaft.

«Die EU sollte Chinas Aufstieg als wirtschaftliche und
kulturelle Bereicherung begreifen und konstruktive
Arrangements fördern.» (Bild keystone)

Der wirtschaftliche, politische und militärische Aufstieg Chinas zur Supermacht ist insbesondere eine Herausforderung für die USA, nicht für die EU. Wir in der EU sollten Chinas Aufstieg als wirtschaftliche und kulturelle Bereicherung begreifen, so wie wir auch das Zusammenleben mit den USA positiv gestalten. Dass es dabei immer wieder zu wirtschaftlichen und politischen Konflikten kommt, bleibt nicht aus. Seit Jahrzehnten arrangieren wir uns mit den USA und ihren für uns manchmal schwierigen Positionen; man denke an den Irakkrieg, an Nord Stream 2 oder die mit der Iranpolitik der USA verbundenen Sanktionen gegen europäische Unternehmen. Im Gegensatz dazu sind die gegenwärtigen EU-Sanktionen nicht geeignet, um konstruktive Arrangements mit China zu fördern.

Quelle: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vom 28.4.2021
(Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autoren und der NZZ)

* Rolf D. Cremer war für viele Jahre Professor, Dekan und Vizepräsident der China Europe International Business School (CEIBS) in Schanghai;
Horst Löchel ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Frankfurt School of Finance & Management und Leiter des Sino-German Center.

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