Das tödlichste Virus ist nicht Covid-19. Es ist der Krieg.

Armed Service Memorial (Geograph/David Dixon)

«Covid hat die Tarnung für eine Propaganda-Pandemie geliefert.»

von John Pilger*

(14. Dezember 2020)  Grossbritanniens Memorial der Armeestreitkräfte («Armed Services Memorial») ist ein stiller, beeindruckender Ort. Eingebettet in die ländliche Schönheit von Staffordshire, in einem Arboretum mit etwa 30 000 Bäumen und weitläufigen Rasenflächen, zelebrieren seine homerischen Figuren Entschlossenheit und Aufopferung.

Die Namen von mehr als 16 000 britischen Soldaten und Soldatinnen sind aufgelistet. In den Dokumentationen heisst es, sie seien «im Einsatz gestorben oder wurden von Terroristen angegriffen».

Am Tag, an dem ich dort war, fügte ein Steinmetz neue Namen zu denen hinzu, die in rund 50 militärische Operationen auf der ganzen Welt während der so genannten «Friedenszeit» gestorben sind. Malaysia, Irland, Kenia, Hongkong, Libyen, Irak, Palästina und viele mehr, darunter auch geheime Operationen wie in Indochina.

Kaum ein Jahr nach der Friedenserklärung von 1945 haben die Briten ihre Streitkräfte bereits wieder in die Kriege des «Empires» [Imperium] geschickt.

Kaum ein Jahr verging, ohne dass Länder, meist arm und von Konflikten zerrissen, britische Waffen gekauft oder «geliehen» bekommen haben, um die Kriege oder «Interessen» des Imperiums zu fördern.

«Empire»? Welches Imperium? Der investigative Journalist Phil Miller enthüllte kürzlich in Declassified, dass Boris Johnsons Grossbritannien 145 Militärstandorte – nennen wir sie «Basen» – in 42 Ländern unterhält. Johnson hat sich damit gebrüstet, dass Grossbritannien «die führende Seemacht Europas» sei.

Inmitten des grössten Gesundheitsnotstandes der Neuzeit, mit mehr als 4 Millionen verzögerten chirurgischen Eingriffen im National Health Service [NHS=Nationaler Gesundheitsdienst] hat Johnson eine Rekorderhöhung von 16,5 Milliarden Pfund bei den sogenannten Verteidigungsausgaben angekündigt – eine Zahl, die den unterfinanzierten NHS mehrfach sanieren würde.

Aber diese Milliarden sind nicht für die Verteidigung bestimmt. Grossbritannien hat keine anderen Feinde als diejenigen im Inneren, die das Vertrauen der einfachen Leute, der Krankenschwestern und Ärzte, der Pflegenden, der Alten, der Obdachlosen und der Jugend verraten, wie es die aufeinanderfolgenden neoliberalen Regierungen getan haben, die Konservativen sowie Labour.

Als ich die Stille des National War Memorials erkundete, stellte ich bald fest, dass es kein einziges Denkmal, keinen Sockel, keine Gedenktafel und keinen Rosenstock gab, der die Erinnerung an Grossbritanniens Opfer ehrte – die Zivilisten in den «Friedenszeiten», an die hier erinnert wird.

Es gibt kein Gedenken an die libysche Zivilbevölkerung, die getötet wurde, als ihr Land von Premierminister David Cameron und seinen Mittätern aus Paris und Washington mutwillig zerstört wurde.

Skulptur der Bahrenträger. (Geograph/David Dixon)

Es gibt kein Wort des Bedauerns für die serbischen Frauen und Kinder, die von britischen Bomben getötet wurden, die auf Befehl von Tony Blair aus sicherer Höhe auf Schulen, Fabriken, Brücken und Städte abgeworfen wurden; oder für die verarmten jemenitischen Kinder, die von saudischen Piloten ausgelöscht wurden, deren Logistik und Ziele von Briten in der klimatisierten Sicherheit von Riad geliefert wurden; oder für die Syrer, die durch «Sanktionen» ausgehungert wurden.

Es gibt kein Denkmal für die palästinensischen Kinder, die mit fortwährender Duldung der britischen Elite ermordet wurden, wie die jüngste Kampagne, die eine bescheidene Reformbewegung innerhalb der Labour Party mit fadenscheinigen Antisemitismus-Anschuldigungen zerstörte.

Vor zwei Wochen unterzeichneten Israels militärischer Stabschef und Grossbritanniens Chef des Verteidigungsstabs ein Abkommen zur «Formalisierung und Verbesserung» der militärischen Zusammenarbeit. Dies war keine Neuigkeit. Mehr britische Waffen und logistische Unterstützung werden nun an das gesetzlose Regime in Tel Aviv fliessen, dessen Scharfschützen auf Kinder zielen und dessen Psychopathen Kinder in extremer Isolation verhören. (Beachten Sie die schockierenden Berichte von Defense for Children1).

Das vielleicht auffälligste Versäumnis am Kriegsdenkmal in Staffordshire ist die Würdigung der Millionen Iraker, deren Leben und Land durch die illegale Invasion von Blair und Bush im Jahr 2003 zerstört wurden.

ORB, ein Mitglied des British Polling Council, beziffert die Zahl auf 1,2 Millionen. 2013 befragte die Organisation ComRes einen Querschnitt der britischen Öffentlichkeit, wie viele Iraker bei der Invasion gestorben seien. Eine Mehrheit sagte, weniger als 10’000.

Wie lässt sich ein solch tödliches Schweigen in einer hochentwickelten Gesellschaft aufrechterhalten? Meine Antwort ist, dass Propaganda in Gesellschaften, die sich selbst als frei betrachten, viel wirkungsvoller ist als in Diktaturen und Autokratien. Ich schliesse Zensur durch Unterlassung mit ein.

Unsere Propagandaindustrie – sowohl die politische als auch die kulturelle, einschliesslich der meisten Medien – ist die mächtigste, allgegenwärtigste und raffinierteste auf der Welt. Grosse Lügen können mit beruhigenden, glaubwürdigen BBC-Stimmen unaufhörlich wiederholt werden. Unterlassungen sind dabei kein Problem.

Ähnlich verhält es sich mit dem Atomkrieg, dessen Bedrohung, um Harold Pinter zu zitieren, «nicht von Interesse» ist. Russland, eine Atommacht, ist von der kriegstreibenden Gruppe, die als Nato bekannt ist, eingekreist, wobei britische Truppen regelmässig bis an die Grenze «Manöver führen», an der Hitler einmarschierte.

Die Diffamierung von allem, was russisch ist – nicht zuletzt die historische Wahrheit, dass die Rote Armee massgeblich an der Beendigung des Zweiten Weltkriegs beteiligt war – wird ins öffentliche Bewusstsein geträufelt. Die Russen sind «völlig uninteressant», ausser als Dämonen.

China, ebenfalls eine Atommacht, ist das Ziel ständiger Provokationen mit amerikanischen strategischen Bombern und Drohnen, die ständig seinen territorialen Raum erkunden, und – hurra – HMS Queen Elizabeth, Grossbritanniens 3-Milliarden-Pfund-Flugzeugträger, der bald 6500 Meilen zurücklegen wird, um in Sichtweite des chinesischen Festlandes [im Südchinesischen Meer] die «Freiheit der Schifffahrt» durchzusetzen.

Etwa 400 amerikanische Stützpunkte umschliessen China, «eher wie eine Schlinge», sagte mir ein ehemaliger Pentagon-Planer. Sie erstrecken sich von Australien über den Pazifik bis nach Süd- und Nordasien und quer durch Eurasien.

In Südkorea befindet sich ein Raketensystem, bekannt als Terminal High Altitude Air Defense (THAAD), das über das schmale Ostchinesische Meer hinweg direkt auf China gerichtet ist. Stellen Sie sich startbereite chinesische Raketen in Mexiko oder Kanada oder vor der Küste Kaliforniens vor.

Ein paar Jahre nach dem Einmarsch in den Irak habe ich einen Film gedreht, der hiess «The War You Don't See» [Der unsichtbare Krieg], in dem ich führende amerikanische und britische Journalisten sowie TV-Nachrichtenleiter – Leute, die ich als Kollegen kannte – fragte, warum und wie Bush und Blair mit dem grossen Verbrechen im Irak davonkommen konnten, wenn man bedenkt, dass die Lügen nicht sehr clever waren.

Ihre Antwort überraschte mich. Hätten «wir», sagten sie – das heisst Journalisten und Rundfunkanstalten, vor allem in den USA –, die Behauptungen des Weissen Hauses und der Downing Street in Frage gestellt, die Lügen untersucht und entlarvt, anstatt sie zu verstärken und nachzuplappern, wäre die Invasion des Irak im Jahr 2003 wahrscheinlich nicht durchgeführt worden. Unzählige Menschen wären heute noch am Leben. Vier Millionen Flüchtlinge wären nicht geflohen. Die grausame ISIS, ein Produkt der Blair/Bush-Invasion, wäre vielleicht nicht erdacht worden.

David Rose, damals beim Londoner Observer, der die Invasion unterstützte, beschrieb «das Lügenpaket, mit dem man mich mittels einer ziemlich ausgeklügelten Desinformationskampagne fütterte». Rageh Omah, damals der Mann der BBC im Irak, sagte mir: «Wir haben es versäumt, die unangenehmsten Knöpfe stark genug zu drücken». Dan Rather, der CBS-Moderator, stimmte dem zu, wie viele andere auch.

Ich bewunderte diese Journalisten, die das Schweigen brachen. Aber sie sind ehrenwerte Ausnahmen. Heute haben die Kriegstrommeln neue und höchst enthusiastische Trommler in Grossbritannien, Amerika und im «Westen».

Das Herzstück des Memorials beinhaltet zwei grosse bronzene
Skulpturen, ein Werk von Ian Rank-Broadley, und stellt Verlust und
Opfer dar. (Geograph/David Dixon).

Suchen Sie sich einen aus der Legion der Russland- und China-«Basher» und Geschichtenerzähler wie zum Beispiel dem «Russiagate». Mein persönlicher Oscar geht an Peter Hartcher vom The Sydney Morning Herald, dessen unerbittliches, aufstachelndes Gefasel über die «existenzielle Bedrohung» (durch China/Russland, vor allem China) bildlich von einem lächelnden Scott Morrison illustriert wurde, einem PR-Mann, der gleichzeitig Australiens Premierminister ist, gekleidet wie Churchill, mit V für Victory-Zeichen usw. «Nicht mehr seit den 1930er Jahren …», intonierten die beiden. Ad nauseum.

Covid-19 hat die Tarnung für eine Propaganda-Pandemie geliefert. Im Juli nahm Morrison ein Stichwort von Trump auf und kündigte an, dass Australien – das keine Feinde hat – 270 Milliarden australische Dollar für Provokationen ausgeben werde – auch mit Raketen, die China erreichen könnten.

Dass in Wirklichkeit die Wirtschaft Australiens von Chinas Importen australischer Mineralien und Landwirtschaftsprodukten abhängig ist, war für die Regierung in Canberra «nicht von Interesse».

Die australischen Medien jubelten fast geschlossen und feuerten eine Schimpfkanonade auf China. Tausende chinesischer Studenten, die die Bruttogehälter der australischen Vizekanzler garantiert hatten, wurden von ihrer Regierung angewiesen, woanders hinzugehen. Chinesisch-Australier wurden beschimpft und Lieferanten wurden tätlich angegriffen. Es ist nie schwer, kolonialen Rassismus wieder aufleben zu lassen.

* John Pilger (geboren 1939) ist australischer Journalist, Autor und Dokumentarfilmer. Seit 1962 lebt er mehrheitlich in Grossbritannien. Er drehte mehr als 50 Filme und hat in seiner Karriere für viele bekannte englischsprachige Zeitungen geschrieben (z. B. Daily Mirror, The Independent, The Guardian und The New York Times). Mit zahllosen Journalismus-Preisen ausgezeichnet, gehört Pilger zu den prominentesten englischsprachigen Journalisten. Das Vorgehen der Mainstream-Medien ist regelmässig Gegenstand seiner Analysen.

Quelle: https://consortiumnews.com/2020/12/14/john-pilger-the-most-lethal-virus-is-not-covid-19-it-is-war,
14. Dezember 2020( Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

1 https://www.dci-palestine.org

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