China und Russland verkünden neue Ära der Multipolarität

Der russische Präsident Wladimir Putin mit dem chinesischen Präsidenten
Xi Jinping in Peking am 4. Februar 2022. (Bild keystone/Alexei Druzhinin/Sputnik/AP)

Über das Treffen zwischen Xi Jingping und Wladimir Putin in Peking zur Vertiefung der Integration der beiden eurasischen Grossmächte

von Benjamin Norton*

(13. März 2022) Der 4. Februar 2022 könnte in den Geschichtsbüchern als ein wichtiges Datum für den Wandel der Weltpolitik in Erinnerung bleiben.

An diesem Tag wurden nicht nur die XXIV. Olympischen Winterspiele in Peking eröffnet, sondern es fand auch ein historisches Treffen zwischen den Präsidenten von China und Russland statt.

Xi Jinping und Wladimir Putin unterzeichneten eine Reihe wichtiger wirtschaftlicher und politischer Abkommen, mit denen die Integration der beiden eurasischen Supermächte vertieft wurde.

Dazu gehörte ein wichtiges 30-Jahres-Abkommen, in dem Russland über eine neue Pipeline Gas nach China liefern wird,1 wobei beide Seiten des Energietransfers von staatlichen Unternehmen verwaltet werden. Und als Zeichen ihrer gegenseitigen Bemühungen, die Vorherrschaft des US-Dollars in Frage zu stellen,2 beschlossen sie, die Verkäufe in Euro zu begleichen.Im Anschluss an das Treffen zwischen Xi und Putin veröffentlichten die chinesische und die russische Regierung eine ausführliche gemeinsame Erklärung, in der sie eine «neue Ära» der Multipolarität ausriefen3 und ein neues internationales politisches Modell vorschlugen, das die von Washington dominierte unipolare Hegemonialordnung hinter sich lassen soll.

Mit mehr als 5000 Wörtern war die gemeinsame Erklärung in gewisser Weise eine Art Manifest. Sie wurde offensichtlich im Vorfeld des Treffens sorgfältig ausgearbeitet und definiert klar die gegensätzlichen ideologischen Linien des neuen Kalten Krieges: Auf der einen Seite stehen die USA und ihre Nato-Verbündeten, die einen auf Unilateralismus und Interventionismus (d.h. Imperialismus) beruhenden Status quo verteidigen; auf der anderen Seite stehen China, Russland und ihre Verbündeten, die ein neues, auf Multilateralismus und Souveränität beruhendes System aufbauen.

«Die Welt befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel, und die Menschheit tritt in eine neue Ära der raschen Entwicklung und tiefgreifenden Transformation ein», heisst es in der gemeinsamen Erklärung.

In dieser «neuen Ära» habe sich ein «Trend zur Neuverteilung der Macht in der Welt» abgezeichnet, schreiben die eurasischen Mächte. Das Machtzentrum konzentriere sich nicht mehr auf die Hauptstädte der transatlantischen westlichen Kolonialmächte; der Osten und der Süden seien aufgestiegen.

Peking und Moskau hätten kaum deutlicher sagen können, was sie als Alternative vorschlagen: Sie «verurteilten die Praxis der Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten zu geopolitischen Zwecken» und riefen stattdessen dazu auf, «ein gerechtes multipolares System der internationalen Beziehungen zu errichten», wobei sie das Wort «multipolar» viermal und «multilateral» elfmal verwendeten.

Botschaft an die Nato

Die historische chinesisch-russische Erklärung zeichnete sich durch ihren Appell zur Deeskalation und ihre Forderung aus, dass die Nato ihre Expansion stoppen und «ihre ideologisierten Ansätze des Kalten Krieges aufgeben und die Souveränität, Sicherheit und Interessen anderer Länder respektieren» müsse.

Die Tatsache, dass die gemeinsame Erklärung eine solche Sprache verwendet (sie warnte dreimal vor der Mentalität des «kalten Krieges» des US-geführten Blocks), ist eine offensichtliche Feststellung der eurasischen Mächte, dass Washington einen zweiten kalten Krieg4 führt und nichts weniger als den Sturz der Regierungen5 in Peking und Moskau anstrebt.

Der ehemalige Aussenminister Mike Pompeo machte dieses Ziel in einer kriegerischen Rede 2020 in der Richard-Nixon-Bibliothek6 deutlich, in der er erklärte: «Wir, die freiheitsliebenden Nationen der Welt, müssen China dazu bringen, sich zu ändern.» Der ehemalige CIA-Direktor7 betonte: «Unsere Freiheiten vor der Kommunistischen Partei Chinas zu schützen, ist die Aufgabe unserer Zeit.»

Im Jahr 2021 veröffentlichte die De-facto-Denkfabrik der Nato, der Atlantic Council, «The Longer Telegram»,8 nach dem Vorbild des «langen Telegramms» des Kalten Kriegers George Kennan, der die Eindämmungspolitik der USA gegenüber der Sowjetunion entwickelte. Darin heisst es, dass der chinesische Präsident Xi abgelöst werden müsse und Peking gezwungen werden sollte, «zu dem Schluss zu kommen, dass es in Chinas bestem Interesse liegt, weiterhin innerhalb der von den USA geführten liberalen internationalen Ordnung zu agieren, anstatt eine rivalisierende Ordnung aufzubauen».

Die Regierungen in Peking und Moskau verfolgen diese Entwicklungen aufmerksam und können erkennen, wohin sie führen. Die Erklärung, die sie am 4. Februar veröffentlichten, war ihre gemeinsame Antwort, in der sie dazu aufriefen, «eine neue Art von Beziehungen zwischen den Weltmächten auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt, friedlicher Koexistenz und für beide Seiten vorteilhafter Zusammenarbeit» zu schaffen, anstatt Konflikte zu schüren.

Es ist kein Zufall, dass dieses Treffen zwischen Xi und Putin in Peking – ihr erstes persönliches Wiedersehen seit dem Beginn der Covid-19-Pandemie – und die begleitende gemeinsame Erklärung zu einer Zeit erhöhter Spannungen zwischen der Nato und Russland stattfanden.

Die künstlich herbeigeführte Krise in der Ukraine9 Ende 2021 und Anfang 2022 sowie die eklatante Weigerung des westlichen Blocks, die Sicherheitsbedenken Moskaus anzuerkennen,10 zeigten, dass die Nato glaubt, das Recht zu haben, Russland permanent zu erweitern und militärisch einzukreisen.11

Während die gemeinsame Erklärung also zur Deeskalation aufrief und «die Notwendigkeit der Konsolidierung, nicht der Spaltung der internationalen Gemeinschaft, die Notwendigkeit der Zusammenarbeit, nicht der Konfrontation» bekräftigte, betonte sie auch, dass Peking und Moskau bereit sind, sich zu verteidigen.

Die eurasischen Mächte betonten, «dass die neuen zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen Russland und China den politischen und militärischen Allianzen der Ära des [ersten] Kalten Krieges überlegen sind».

Wohlergehen für alle

In einem unmissverständlichen Verweis auf die Aussenpolitik der Vereinigten Staaten erklärte die chinesisch-russische gemeinsame Erklärung, dass Washingtons Politik des Unilateralismus und der Einmischung nur eine «Minderheit» repräsentiere und beendet werden müsse:

«Einige Akteure, die auf internationaler Ebene nur eine Minderheit darstellen, befürworten weiterhin unilaterale Ansätze zur Lösung internationaler Fragen und greifen auf Gewalt zurück; sie mischen sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten ein, verletzen deren legitime Rechte und Interessen und schüren Widersprüche, Differenzen und Konfrontationen, wodurch sie die Entwicklung und den Fortschritt der Menschheit behindern, gegen den Widerstand der internationalen Gemeinschaft.»

Peking und Moskau stellten diesen interventionistischen Praktiken des US-Imperialismus einen Vorschlag zur Multipolarität und zum «Wohlstand für alle» gegenüber:

«[China und Russland] rufen alle Staaten dazu auf, Wohlstand für alle anzustreben und zu diesem Zweck Dialog und gegenseitiges Vertrauen aufzubauen, das gegenseitige Verständnis zu stärken, für universelle menschliche Werte wie Frieden, Entwicklung, Gleichheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Freiheit einzutreten, die Rechte der Völker, den Entwicklungsweg ihrer Länder selbst zu bestimmen, sowie die Souveränität und die Sicherheits- und Entwicklungsinteressen der Staaten zu achten, die von den Vereinten Nationen getragene internationale Architektur und die auf dem Völkerrecht basierende Weltordnung zu schützen, eine echte Multipolarität anzustreben, bei der die Vereinten Nationen und ihr Sicherheitsrat eine zentrale und koordinierende Rolle spielen, demokratischere internationale Beziehungen zu fördern und Frieden, Stabilität und nachhaltige Entwicklung in der ganzen Welt zu gewährleisten.»

Die in der Erklärung verwendete Formulierung «auf internationalem Recht basierende Weltordnung» war wichtig, da sie eine Absage an die vage «auf Regeln basierende Weltordnung» darstellte, die die US-Regierung der Welt aufzuerlegen versucht hat.

Im November 2021, veröffentlichten der chinesische und der russische Botschafter in den USA einen gemeinsamen Artikel,12 in dem sie einen ähnlichen Punkt betonten:

«Es gibt nur ein internationales System auf der Welt, nämlich das internationale System mit den Vereinten Nationen als Kern. Es gibt nur eine internationale Ordnung, nämlich die, die durch das Völkerrecht gestützt wird. Und es gibt nur ein Regelwerk, d.h. die grundlegenden Normen für die internationalen Beziehungen, die auf den Zielen und Grundsätzen der UN-Charta basieren. Sich auf die ‹regelbasierte internationale Ordnung› zu berufen, ohne sich auf die UNO und das Völkerrecht zu beziehen, und zu versuchen, die internationalen Regeln durch die Diktate bestimmter Blöcke zu ersetzen, fällt in die Kategorie des Revisionismus und ist offensichtlich antidemokratisch.»

Die chinesisch-russische Erklärung vom Februar 2022 greift vieles von dem auf, was die Botschafter im November geschrieben haben, wobei sie die eurasische Perspektive weiter ausbaut.

In beiden Erklärungen wurde die Demokratie nachdrücklich verteidigt, allerdings in einer umfassenderen, erweiterten Definition des Begriffs, die eine echte Volksdemokratie widerspiegelt und nicht nur ein oberflächliches System, in dem «die Menschen nur bei der Stimmabgabe geweckt und nach der Abstimmung wieder in den Winterschlaf geschickt werden».

In einer scharfen Ablehnung der «liberalen interventionistischen» Ideologie der US-Regierung verurteilten die chinesisch-russischen Erklärungen den zynischen «Missbrauch demokratischer Werte und die Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten unter dem Vorwand des Schutzes von Demokratie und Menschenrechten».

Internationale Institutionen stärken

Peking und Moskau hoffen, Konzepte wie Multilateralismus, Nichteinmischung und die Achtung der nationalen Souveränität zu verteidigen, indem sie internationale Institutionen wie die UNO, die BRICS, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) und die Eurasische Wirtschaftsunion (EAEU) demokratisieren und stärken.

Die chinesisch-russische Erklärung vom Februar rief dazu auf, «die von den Vereinten Nationen geprägte internationale Architektur und die auf dem Völkerrecht basierende Weltordnung zu schützen» und drängte gleichzeitig auf eine Demokratisierung des Gremiums, um «echte Multipolarität mit den Vereinten Nationen und ihrem Sicherheitsrat anzustreben».

Peking und Moskau schrieben ebenfalls, dass sie «die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit umfassend stärken und ihre Rolle bei der Gestaltung einer polyzentrischen Weltordnung auf der Grundlage der allgemein anerkannten Prinzipien des Völkerrechts, des Multilateralismus, der gleichen, gemeinsamen, unteilbaren, umfassenden und nachhaltigen Sicherheit weiter ausbauen wollen».

Darüber hinaus erklärten die eurasischen Mächte, dass sie «die vertiefte strategische Partnerschaft innerhalb der BRICS» – dem Zusammenschluss von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – unterstützen, um «die erweiterte Zusammenarbeit in drei Hauptbereichen zu fördern: Politik und Sicherheit, Wirtschaft und Finanzen sowie humanitärer Austausch».

Teil dieser globalen Neuausrichtung ist auch die Zusammenführung von Chinas massivem globalen Infrastrukturprojekt, der Belt and Road Initiative, mit der Eurasischen Wirtschaftsunion, dem von Russland geführten Wirtschaftsblock.

Peking und Moskau schreiben:

«Die Seiten versuchen, ihre Arbeit voranzutreiben, um die Entwicklungspläne für die Eurasische Wirtschaftsunion und die Gürtel- und Strasseninitiative miteinander zu verknüpfen, um die praktische Zusammenarbeit zwischen der EAEU und China in verschiedenen Bereichen zu intensivieren und eine stärkere Verflechtung zwischen der asiatisch-pazifischen und der eurasischen Region zu fördern.

Beide Seiten bekräftigen, dass sie sich darauf konzentrieren, die Grosse Eurasische Partnerschaft parallel und in Abstimmung mit dem Aufbau der Gürtel- und Strasseninitiative aufzubauen, um die Entwicklung regionaler Zusammenschlüsse sowie bilaterale und multilaterale Integrationsprozesse zum Nutzen der Völker auf dem eurasischen Kontinent zu fördern.»

Einmischung von aussen entgegenwirken

Im Anschluss an das Treffen zwischen den Präsidenten Xi und Putin am 4. Februar veröffentlichte das chinesische Aussenministerium einen Bericht,13 der die wichtigsten Punkte ihrer Gespräche zusammenfasste.

Darin kritisierte Peking implizit die oberflächlichen Behauptungen der US-Regierung, Multilateralismus und Demokratie zu unterstützen:

«Beide Seiten haben sich aktiv an der Reform und Entwicklung des globalen Regierungssystems beteiligt, wahren Multilateralismus verfolgt, den wahren Geist der Demokratie bewahrt und als Bollwerk bei der Mobilisierung globaler Solidarität in diesen schwierigen Zeiten und der Aufrechterhaltung internationaler Fairness und Gerechtigkeit gedient.»

In der chinesischen Verlautbarung wurde diese Forderung nach «internationaler Fairness und Gerechtigkeit» hervorgehoben und der Satz dreimal wiederholt.

Peking betonte die Bedeutung der «Aufrechterhaltung der Souveränität» und der «Verteidigung der Souveränität und territorialen Integrität» und fügte hinzu, dass die eurasischen Mächte «wirksam gegen Einmischungen von aussen vorgehen» müssten – eine offensichtliche Anspielung auf die Einmischung der USA und Regimewechseloperationen.

Die Botschaft der von Peking und Moskau veröffentlichten Erklärungen hätte nicht deutlicher sein können: Die Ära der unipolaren Hegemonie der USA ist vorbei, und die Welt befindet sich nun in einer «neuen Ära» mit einer internationalen Ordnung, die auf Multipolarität und den Prinzipien der Nichteinmischung beruht.

Mit diesen Erklärungen zogen die eurasischen Mächte eine ideologische Linie in den Sand. Die Welt wusste bereits, welches politische und wirtschaftliche Modell Washington, Brüssel und die Nato anbieten, aber jetzt kann sie klar erkennen, was China und Russland als Alternative vorschlagen.

* Benjamin Norton ist Journalist, Schriftsteller und Filmemacher. Er ist der Gründer und Herausgeber von Multipolarista und lebt in Lateinamerika.

Quelle: https://multipolarista.com/2022/02/07/china-russia-multipolar-historic-meeting/ 7. Februar 2022

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

1 https://archive.fo/k36XX

2 https://multipolarista.com/2021/05/12/michael-hudson-new-cold-war-china-russia/

3 http://en.kremlin.ru/supplement/5770

4 https://tomdispatch.com/none-dare-call-it-encirclement/

5 https://multipolarista.com/2022/02/01/dick-cheney-us-goal-break-up-russia/

6 https://sv.usembassy.gov/secretary-michael-r-pompeo-remarks-at-the-richard-nixon-presidential-library-and-museum-communist-china-and-the-free-worlds-future/

7 https://www.youtube.com/watch?v=6RmEsPE7iq0

8 https://www.atlanticcouncil.org/content-series/atlantic-council-strategy-paper-series/the-longer-telegram/

9 https://multipolarista.com/2022/02/04/us-imminent-russian-invasion-ukraine/

10 https://apnews.com/article/russia-ukraine-putin-nato-87d17dd0c1943ac40b3903b54f31939a

11 https://multipolarista.com/2022/01/14/us-lies-nato-expansion-russia/

12 https://nationalinterest.org/feature/russian-and-chinese-ambassadors-respecting-people%E2%80%99s-democratic-rights-197165

13 https://www.fmprc.gov.cn/mfa_eng/zxxx_662805/202202/t20220204_10638923.html

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