Aussichten für die Beziehungen zwischen USA und China nach den US-Wahlen 2024

Kishore Mahbubani* im Gespräch

(6. September 2024) Der ehemalige Präsident des UNO-Sicherheitsrates und bekannte Diplomat und Wissenschaftler aus Singapur, Kishore Mahbubani, erläutert in einfachen, ehrlichen Worten den grössten globalen Wettstreit in der Geschichte der Menschheit – denjenigen zwischen den USA und China. Er wurde im Juli 2024 vom «Emirates Center for Strategic Studies and Research»** zu einem Gespräch eingeladen.

Kishore Mahbubani.
(Bild zvg)
Moderator: Ich möchte unser Gespräch mit der folgenden Frage beginnen: Ist angesichts der bevorstehenden US-Wahlen Ende dieses Jahres mit einem echten potenziellen Wandel in der US-Aussenpolitik gegenüber China zu rechnen? Handelt es sich um eine staatliche Politik oder um eine Politik, die dem Präsidenten selbst zuzuschreiben ist?

Prof. Kishore Mahbubani: Nun, die Antwort, die ich Ihnen geben werde, ist eine sehr paradoxe.

Einerseits könnte der Ausgang der Wahlen nichts ändern, andererseits könnte er alles ändern. Warum gebe ich also diese paradoxe Antwort? Weil es sehr, sehr klar ist, dass – obwohl die Vereinigten Staaten, wie wir alle wissen, heute eine zutiefst gespaltene Gesellschaft sind, in der sich die Amerikaner über nichts einig sind – es nur eine Sache gibt, über die sie sich einig sind: Es ist an der Zeit, China zu stoppen.

Unabhängig davon, wer der Präsident ist, wird die Mission, China zu stoppen, weitergehen. Und diese Politik ist sowohl im Establishment als auch in der Gesellschaft tief verankert. Alle scheinen sich einig zu sein, dass es für die Vereinigten Staaten an der Zeit ist, China zu stoppen.

Gleichzeitig ist der Grund, warum ich sage, dass sich alles ändern könnte, der, dass man im Falle eines Sieges von Trump, der durchaus möglich ist, nie weiss, was er tun wird.

Konferenzsaal des Emirates Center for Strategic Studies and Research
anlässlich des Gesprächs mit Kishore Mahbubani. (Bild zvg)

Er könnte in beide Richtungen gehen. Er wird sicherlich den Kampf gegen China fortsetzen. Daran besteht überhaupt kein Zweifel. Aber wie? Er könnte die Dinge sehr viel schlimmer machen, sehr viel schlimmer. Wir müssen uns also auf alle Möglichkeiten vorbereiten. Wenn Sie wie ich aus einem kleinen Staat wie den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) oder Singapur kommen, müssen Sie erkennen, dass wir – ob es uns gefällt oder nicht – jetzt Zeuge des grössten geopolitischen Wettstreits in der Geschichte der Menschheit sind.

Und ich sage den grössten geopolitischen Wettstreit, weil wir noch nie Mächte von der Grösse und dem Ausmass der Vereinigten Staaten, wie sie es heute sind, und China hatten, die sich Kopf an Kopf gegenüberstehen. Und weil dies ein so gewaltiger geopolitischer Wettstreit ist, wird er die Welt erschüttern und uns alle betreffen, egal was wir tun, egal wo wir leben. Deshalb müssen wir das verstehen, und deshalb denke ich, dass es genau zum richtigen Zeitpunkt kommt, dass Sie diesen Dialog hier in den Vereinigten Arabischen Emiraten führen.

Sie sagten, dass sich alle Amerikaner in einer Sache einig sind, nämlich China aufzuhalten. Bedeutet das, dass die USA eine Strategie oder eine grosse Strategie haben, um China zu stoppen, oder hängt das eher von jedem einzelnen Präsidenten und seiner Art des Umgangs mit China ab?

Nun, ich bin froh, dass Sie das Wort «grosse Strategie» verwendet haben, denn als ich mein Buch «Hat China gewonnen?» geschrieben habe, hatte ich das Privileg, ein sehr langes Mittagessen unter vier Augen mit Henry Kissinger zu haben, der damals eindeutig der grösste lebende strategische Denker Amerikas war. Es war ein langes Mittagessen; anderthalb, zwei Stunden – und am Ende des Mittagessens, als ich zurückging, fragte ich mich, welche Botschaft Henry Kissinger mir vermitteln wollte. Nachdem ich über mein Gespräch mit ihm nachgedacht hatte, wurde es mir klar. Die Botschaft war, dass der grösste strategische Fehler, den die Vereinigten Staaten in diesem Wettstreit mit China machen, darin besteht, dass sie diesen Wettstreit ohne Strategie begonnen haben.

Das war eine sehr tiefgründige Aussage. Also schrieb ich an Henry Kissinger, um sie bestätigen zu lassen. Ich schrieb: Lieber Henry, ich danke dir für das Mittagessen. Macht es Dir etwas aus, wenn ich Dich in meinem Buch zitiere? Und glücklicherweise gab er mir seine Erlaubnis. Die Tatsache, dass jemand, der so hochrangig und gut informiert ist wie Henry Kissinger, sagen kann, dass es keine Strategie gibt, ist also ein sehr wichtiger Punkt. Er wird auch durch die Beweise bestätigt.

Wir wissen zwar mit Sicherheit, dass die Vereinigten Staaten auf die eine oder andere Weise Massnahmen gegen China ergreifen werden, aber es ist nicht klar, was das Ziel ist. Ist es das Ziel, Chinas wirtschaftliche Entwicklung zu stoppen? Das ist nicht möglich. Ist es das Ziel, die Kommunistische Partei Chinas zu stürzen? Das ist nicht möglich. Ist es das Ziel, China erfolgreich einzudämmen und zu isolieren, so wie die Vereinigten Staaten die Sowjetunion erfolgreich isoliert und eingedämmt haben? Das ist nicht möglich.

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Wenn also nicht klar ist, was die Ziele sind, stellen die Menschen Fragen. Sie haben diesen Wettbewerb ins Leben gerufen, was ist Ihr Ziel? Was würde einen Sieg für Sie beinhalten? Und wie Sie wissen, hat das noch nie jemand klargestellt, ausser einmal, glaube ich. [Ex-] Präsident Joe Biden erwähnte beiläufig das Ziel der Chinesen, die Nummer 1 zu werden, und er sagte: «Das wird unter meiner Aufsicht nicht passieren».

Was er also im Grunde genommen sagte, war: Ich werde nicht zulassen, dass die chinesische Wirtschaft die US-Wirtschaft überholt, solange ich noch Präsident bin.

Wenn man sich all die Massnahmen ansieht, die ergriffen wurden, zum Beispiel die Zölle, der Chipkrieg, dann zielen sie alle auf die eine oder andere Weise darauf ab, das chinesische Wirtschaftswachstum zu bremsen. Ich denke, die Vereinigten Staaten haben in gewisser Weise eine rationale Berechnung gemacht, dass sich alles ändert, wenn die chinesische Wirtschaft die Nummer eins wird. Und die privilegierte Position, die die Vereinigten Staaten – seit hundertdreissig oder hundertvierzig Jahren – als Weltmacht Nummer eins innehaben, kann sich ändern.

Und hier möchte ich betonen, dass ich glaube – und das ist auch das Ergebnis meines Gesprächs mit Henry Kissinger – dass es eine klügere Strategie für die Vereinigten Staaten geben würde. Anstatt zu versuchen, China aufzuhalten, sollten die Vereinigten Staaten versuchen, mit China zusammenzuarbeiten, um eine Welt zu schaffen, die genügend Platz für zwei Grossmächte bietet.

Das war übrigens auch eine Strategie, die der frühere Präsident Bill Clinton in einer Rede in Yale im Jahr 2003 vorschlug. In meinem Buch «Hat China gewonnen?» zitiere ich die Rede, die Bill Clinton gehalten hat. Er sagte: Wenn die USA für immer die Nummer 1 sein werden, dann können wir weiter unsere Drinks trinken. Aber er fügte ein «aber» hinzu; er sagte: «Wenn wir uns eine Welt vorstellen können, in der wir nicht mehr die Nummer eins sind, dann ist es sicherlich im Interesse der Vereinigten Staaten, multilaterale Institutionen, multilaterale Prozesse, multilaterale Regeln und multilaterale Normen aufzubauen. Das wird China auf die eine oder andere Weise einschränken, und das wäre eine klügere Strategie.»

Diejenigen von uns, die Freunde der USA und Freunde Chinas sind, sollten daher beiden raten, eine klügere Strategie zu verfolgen. Das wäre besser für Sie beide und besser für uns, anstatt dieses ziemlich destruktive Nullsummenspiel, das jetzt gespielt wird.

Dies führt mich zu zwei Fragen. Die erste, die Sie erwähnten, ist, dass sie versuchen, China daran zu hindern, die Nummer 1 zu werden. Wie definieren Sie die Nr. 1 in dieser Welt? Sprechen wir in wirtschaftlicher oder politischer Hinsicht? Oder was genau? Und will China wirklich die Nr. 1 in der Welt sein?

Das ist tatsächlich eine sehr gute Frage. Die erste Definition, um die Nummer 1 in der Welt zu sein, ist eindeutig die wirtschaftliche Dimension. Denn wenn man die grösste Volkswirtschaft hat, verleiht einem das eine Menge Gewicht. Aber ich möchte betonen, dass ich die Komplexität des Wettstreits zwischen den USA und China bisher noch nicht erwähnt habe.

Und in gewisser Weise wird dies in Ihrer Frage angedeutet. Es ist ein mehrdimensionaler Wettbewerb. Er spielt sich auf dem Gebiet der Wirtschaft, in der militärischen Dimension, in der politischen Dimension und in der so genannten Soft-Power-Dimension ab.

Es ist also denkbar, dass die Vereinigten Staaten, gemessen am nominalen BIP, zur zweitgrössten Macht werden und dennoch die Nummer eins bleiben.

Sie sind die einflussreichste Macht in der Welt und dazu in der Lage, wenn sie eine kluge Strategie verfolgen. So kann ich Ihnen beispielsweise sagen, dass die mächtigste Waffe, die die Vereinigten Staaten in der Welt haben, nicht ihre Flugzeugträger oder ihre F35-Jets sind – es ist der US-Dollar.

Denn die Macht des US-Dollars ermöglicht es ihnen, Sanktionen zu verhängen und Russland 300 Milliarden Dollar zu entziehen. Das ist es, was sie tun können.

Es gibt also Mittel und Wege für die USA, die einflussreichste Macht der Welt zu bleiben, selbst wenn ihr nominales BIP zur Nummer zwei wird.

Und auf Ihre konkrete Frage, ob China die Nummer 1 werden will, lautet die Antwort: Ja und nein. Warum sage ich das? Ja, weil sie die grösste Volkswirtschaft der Welt haben wollen, weil sie wissen, dass dies am Ende China schützen wird.

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Gleichzeitig haben die Chinesen nicht den gleichen Ehrgeiz wie die Vereinigten Staaten, die Welt zu beherrschen. Wie Sie wissen, sind die USA an allen Ecken und Enden der Welt präsent und mischen sich mal in diese, mal in jene Angelegenheit ein, kümmern sich um dieses oder jenes Problem.

Die Chinesen sind der Ansicht, dass wir 1,4 Milliarden Menschen sind. Wir haben genug Probleme zu Hause, wir werden uns um unsere Probleme kümmern, die Welt wird sich um sich selbst kümmern. In diesem Sinne glaube ich nicht, dass die Chinesen den Wunsch haben, in die Fussstapfen der Vereinigten Staaten zu treten, was ihr globales Engagement in verschiedenen Fragen angeht.

Ich suche nach Mitteln und Wegen, um eine Welt zu schaffen, in der die Vereinigten Staaten und China in Frieden zusammenleben können, ohne sich gegenseitig in die Quere zu kommen.

Sie haben gerade gesagt, dass die Vereinigten Staaten keine Strategie gegenüber China haben. Lassen Sie uns zur anderen Seite gehen. Wie sieht es mit den Chinesen aus? Haben sie eine grosse Strategie im Umgang mit den USA?

Nun, als die schwächere Partei – wenn sie keine Strategie hätten, wären sie in grossen Schwierigkeiten. Aus der Notwendigkeit heraus müssen sie eine Strategie haben, und sie haben eine.

So stellen sie sich z.B. die offensichtliche Frage: Warum haben die Vereinigten Staaten die Sowjetunion erfolgreich besiegt? Und ich muss sagen, dass China das Land ist, das den Zusammenbruch der Sowjetunion sorgfältiger als jedes andere Land der Welt studiert hat. Das liegt daran, dass China weiss, dass es der Traum der Vereinigten Staaten ist, China zur zweiten Sowjetunion zu machen, die zusammenbricht. Wie kann China also einen Zusammenbruch verhindern?

Erster Punkt: Die Sowjetunion ist nicht aufgrund von äusserem Druck zusammengebrochen. Sie kollabierte aufgrund interner Schwächen. Und so hat China erkannt, dass es eine sehr starke dynamische Wirtschaft und eine starke dynamische Gesellschaft braucht, um zu überleben.

Ein sehr berühmter amerikanischer Denker – George Kennan – sagte 1949: «Der Ausgang des Wettstreits zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion wird letztendlich nicht von unseren Waffen und Truppen und all dem abhängen, sondern davon, welche Gesellschaft die grössere geistige Lebendigkeit in sich trägt. Welche Gesellschaft stärker ist.

Die Gesellschaft in den Vereinigten Staaten war viel dynamischer als die Gesellschaft in der Sowjetunion. Die USA haben floriert; die Sowjetunion ist zusammengebrochen.

Die Chinesen wissen also, dass es in erster Linie darum geht, für eine starke Wirtschaft und eine starke Gesellschaft zu sorgen. Deshalb bilden sie ihr Volk massiv aus und lassen ihre Wirtschaft wachsen, damit sie nicht zu einer zweiten Sowjetunion werden.

Der zweite Punkt, den die Chinesen aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion gelernt haben, ist, dass die USA erfolgreich waren, weil es ihnen gelungen ist, viele Nachbarn der Sowjetunion dazu zu bringen, sich der Eindämmungspolitik anzuschliessen. Westeuropa, Japan, Südkorea. Nachbarn an beiden Enden der Sowjetunion.

Und was taten die Chinesen? Die Chinesen haben einen «Präventivschlag» gegen die Eindämmungspolitik geführt, indem sie dafür gesorgt haben, dass ihre Nachbarn von der chinesischen Wirtschaft abhängig sind. Ich kann Ihnen ein einfaches Beispiel geben: Sie wissen, dass Singapur zu Südostasien gehört, und wir sind Teil einer Organisation namens ASEAN.

ASEAN war ursprünglich eine proamerikanische Organisation. Als ASEAN am 8. August 1967 gegründet wurde, prangerten sowohl die Sowjetunion als auch China die Gründung von ASEAN als eine pro-amerikanische Organisation an. Und das ist stimmte. ASEAN war pro-amerikanisch, pro-westlich. Und das Erstaunliche war, dass wir trotzdem lange Dialoge mit allen geführt haben: den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union, Australien und Japan.

Keiner unserer westlichen Freunde schlug der ASEAN ein Freihandelsabkommen vor. Das erste Land, das der ASEAN ein Freihandelsabkommen vorschlug, war China im Jahr 2001. Und die Auswirkungen dieses Abkommens zwischen China und ASEAN waren phänomenal.

Denn im Jahr 2000 – als China ein Freihandelsabkommen vorschlug – belief sich der Handel der ASEAN mit den Vereinigten Staaten auf 135 Milliarden und unser Handel mit China auf nur 40 Milliarden. Der US-Handel war also mehr als dreieinhalb Mal so hoch wie der Handel zwischen China und ASEAN. Doch infolge des Freihandelsabkommens bis 2022 – obwohl der Handel der ASEAN mit den USA von 135 auf 450/500 Milliarden gestiegen ist, also um mehr als das Dreifache – stieg der Handel Chinas mit der ASEAN von 40 Milliarden auf 975 Milliarden Dollar, also fast eine Billion Dollar.

Im Jahr 2022 war dies die grösste Handelsbeziehung der Welt. Es gab also keine Möglichkeit, dass die ASEAN sich der Eindämmungspolitik gegen ihren grössten Handelspartner anschliessen würde. Das wäre verrückt. Das ist also Teil der chinesischen Strategie, und ich erwähne noch schnell eine dritte.

Nehmen Sie die Belt and Road Initiative, die China ins Leben gerufen hat. Der Bau von Infrastruktur in allen Ecken der Welt. Was bedeutet das? Jedes Land der Welt sagt: Oh, diese Infrastruktur ist gut. Wir brauchen chinesische Schnellzüge, wir brauchen chinesische Autobahnen. Würden Sie sich in dieser Situation einer Eindämmungspolitik anschliessen? Nein, das würden Sie nicht. Es zeigt Ihnen, dass China systematisch eine grosse Strategie ausgearbeitet haben.

Aber gleichzeitig kann ich Ihnen sagen, dass die Chinesen auch grossen Respekt vor den Vereinigten Staaten haben. Sie verstehen, dass die Vereinigten Staaten eine Macht sind, eine bemerkenswerte Macht. Trotz all dieser Strategien bleibt es eine Herausforderung. Sie dürfen nicht unterschätzen, was die Vereinigten Staaten letztendlich tun können.

Herr Professor, Sie haben auch erwähnt – auch in einer Diskussion, die wir vorhin hatten –, dass die USA 10 Jahre Zeit haben, um dem Aufstieg Chinas zu begegnen. Warum gerade 10 Jahre?

Nun, ich denke, es ist alles eine Frage der Mathematik. Wenn die chinesische Wirtschaft über einen Zeitraum von 10 Jahren weiterhin um 5% pro Jahr wächst – ich kann das nicht aus dem Stegreif berechnen –, wird sie die USA zwar nicht überholen, aber sehr, sehr nahe herankommen. Je grösser China wird, desto schwieriger ist es, es aufzuhalten.

Es liegt auf der Hand, dass die Chinesen bei der Entwicklung einer langfristigen Produktionsstrategie für China ziemlich raffiniert vorgegangen sind. Und diese Produktionskapazitäten Chinas sind jetzt für den Rest der Welt unverzichtbar.

Sie können selber nachschauen – öffnen Sie Ihre Küchenschränke oder was auch immer – nehmen Sie die Produkte heraus und sehen Sie nach, wie viele der Komponenten in irgendeinem der Produkte aus China stammen. Überprüfen Sie es einfach. Sie werden erstaunt sein. Das ist kein Zufall. China will eine starke Abhängigkeit vom chinesischen Fertigungssektor schaffen. Hätten Sie vor fünf oder zehn Jahren jemanden gefragt, ob China jemals in den Wettbewerb um Autos einsteigen könnte, hätte er gesagt, auf keinen Fall. Die Deutschen sind so weit voraus, die Japaner sind so weit voraus, die Koreaner sind weit voraus, sogar die Amerikaner sind weit voraus – aber heute haben die Chinesen bei Null angefangen und ein Elektrofahrzeug, eine EV-Industrie, geschaffen, die jetzt allen Autoherstellern auf der ganzen Welt das Fürchten lehrt. Denn das chinesische Ökosystem zur Herstellung von Elektrofahrzeugen ist so erstaunlich.

Am Anfang hat sogar Elon Musk dies nicht für möglich gehalten. Jetzt würde er es nicht mehr wagen, es abzutun.

Diese EV-Herausforderung aus China ist zufällig entstanden. Jetzt ist sie Teil der langfristigen Strategie. In fünf Jahren werden Sie überall auf der Welt chinesische Elektrofahrzeuge sehen.

In dem Masse, in dem sich die Welt verändert und von China abhängt, werden die Möglichkeiten für die Vereinigten Staaten immer geringer. Aus diesem Grund herrscht in Washington DC ein starkes Gefühl der Dringlichkeit. Schauen Sie sich nur an, was dort geschieht. Einige der Amerikaner, zum Beispiel Robert Lighthizer und Matt Pottinger, werden zurückkommen und um Rat fragen. Auch Trump ist einer derjenigen, die sagen: Macht vorwärts, wir müssen schnell handeln. Das Gefühl der Dringlichkeit in Washington DC ist also sehr real.

Das führt mich zu der nächsten Frage. Welche Massnahmen könnten die USA ergreifen, um dem Aufstieg Chinas zu begegnen? Und werden sich die Massnahmen von Biden zu Trump unterscheiden?

Nun, ich denke, die beste Antwort auf Ihre Frage, was die Vereinigten Staaten tun sollten, ist die von mir bereits zitierte Bemerkung von George Kennan aus dem Jahr 1949: Am Ende des Tages wird der Ausgang des Kampfes davon abhängen, welches Land die stärkere Gesellschaft hat. Und leider stehen die Vereinigten Staaten heute vor einer grossen Herausforderung, weil sie eine tief gespaltene Gesellschaft geworden sind.

In meinem Buch «Hat China gewonnen?» finden sich in Kapitel 7 zahlreiche empirische Daten. Sie stammen übrigens alle von amerikanischen Wissenschaftlern – von Leuten wie Paul Walker, dem ehemaligen Leiter der FED, Joe Stiglitz, einem Nobelpreisträger, oder Martin Wolf von der «Financial Times». Sie alle haben Daten vorgelegt, die zeigen, wie die Vereinigten Staaten im Wesentlichen zu einer Plutokratie geworden sind.

Was ist eine Plutokratie? Eine Plutokratie ist eine Gesellschaft, in der politische Entscheidungen nicht zum Nutzen der Mehrheit am unteren Ende der Gesellschaft getroffen werden, sondern zum Nutzen der obersten 1% oder 2%. Was ich hier sage, stammt nicht von mir. Amerikanische Wissenschaftler haben das alles schon gesagt, ich wiederhole sie nur.

Und der Grund, warum es so aussieht, als würde Trump gewählt werden, ist, dass die unteren 50% in Amerika – das zeigen die Daten – seit 30 bis 40 Jahren keine Verbesserung ihres Lebensstandards erlebt haben. Tatsächlich hat sich die amerikanische Mittelschicht erheblich verkleinert. Wenn die Vereinigten Staaten also den Wettstreit mit China gewinnen wollen, sollten sie die Stärke ihrer heimischen Gesellschaft wiederherstellen. Das sollte ihre Priorität sein.

Denn am Ende des Tages – wie bei jedem sportlichen Wettkampf – ist es besser, wenn man versucht, zu gewinnen, indem man schneller läuft, als zu versuchen, den Gegner in die Knie zu zwingen. Und das ist wirklich das Beste, was die Vereinigten Staaten tun können. Aber die Gesellschaft der Vereinigten Staaten zu verändern und sich um die Plutokratie zu kümmern, wird eine grosse Herausforderung sein. Das muss die Antwort für die Vereinigten Staaten sein. […]

Apropos Trump – in Anbetracht seiner früheren Politik, in der er sich mehr auf die Verringerung von Auslandsverpflichtungen konzentrierte – inwieweit denken Sie, dass er versuchen könnte, ein Abkommen mit China zu schliessen, wenn dieses Abkommen beinhalten würde, dass China einen Teil der Sicherheitslasten im Nahen Osten trägt, gerade jetzt?

Ein wichtiger Punkt, den ich Ihnen über Trump sagen muss, ist, dass alles möglich ist. Um ein anderes Beispiel zu nennen – lassen Sie mich für eine Sekunde zur Ukraine wechseln. Trump könnte entweder sagen: «Ich werde alles tun, ich werde Putin besiegen» – dann würde er die Ressourcen aufpumpen und in grossem Stil in die Ukraine gehen. Oder er könnte genau das Gegenteil tun. Er könnte sagen: «Dieser Krieg interessiert mich nicht, dieser Krieg ist der Kampf der Europäer, ich ziehe mich zurück.» Sein Slogan ist MAGA (Make America great again), also ist er nicht am Ukraine-Krieg interessiert.

Und wie Sie vielleicht wissen, hat er aus irgendeinem seltsamen Grund eine besondere Abneigung gegen die Ukraine – ich weiss nicht, warum. Es ist eine komplizierte Geschichte, und er hat auch eine seltsame Abneigung gegen die Europäer. Ich habe einen amerikanischen Freund von mir gefragt, warum er die Europäer nicht mag. Und mein Freund gab mir eine sehr tiefgründige Antwort. Er sagte, Donald Trump wollte sein ganzes Leben lang von der Gesellschaft akzeptiert werden, insbesondere von der amerikanischen Elitegesellschaft. Auch wenn er sehr wohlhabend war, wurde er nie akzeptiert. Er war ein Aussenseiter. Wenn man also ein Aussenseiter ist, entwickelt man diese psychologische Angst und Wut – also hat er diese Wut gegen das amerikanische Establishment. Und in gewisser Weise verkörpern die Europäer auch das alte reiche Establishment. Die Europäer sehen ihn mit Verachtung an, also sagt er: «Okay, jetzt werde ich euch zeigen, wer der Boss ist.»

Es gibt eine sehr komplizierte Beziehung zwischen Trump und den Europäern. In der Ukraine könnte er also beides tun, und in China könnte er sich in beide Richtungen bewegen.

Aber ich denke, Donald Trump hat sich die Hauptthese zu China zu eigen gemacht, dass die Vereinigten Staaten nicht zulassen können, dass China die Nummer eins wird. Es könnte also sein, dass er einen Deal macht, aber ich denke, die Chinesen rechnen nicht damit. Die Chinesen müssen sich auf einen aggressiveren Präsidenten einstellen. Aber wie gesagt, das Einzige, was man über Donald Trump wissen muss, ist, dass er alles tun kann. Denn wenn Donald Trump aufwacht, kann er nicht wirklich vorhersagen, was er für den Rest des Tages tun wird. Er könnte seine Meinung im Laufe des Tages ändern.

Vielen Dank, Herr Professor. Bevor wir zum Schluss kommen, möchte ich Sie bitten in einer Minute letzte Gedanken oder Erkenntnisse zu äussern.

In einer Minute kann ich Ihnen wenigstens versprechen, dass es Sie in zehn Jahren noch geben wird. Der Wettstreit zwischen den USA und China wird sich beschleunigen. Bereiten Sie sich darauf vor, Sie werden das grösste Spektakel der Menschheitsgeschichte erleben.

Das ist gut zu wissen. Am Ende dieser fesselnden und sehr informativen Sitzung möchten wir Ihnen, Herr Professor, für Ihre aufschlussreichen und einzigartigen Perspektiven zu diesem wichtigen Thema, den Aussichten für die Beziehungen zwischen den USA und China nach den Wahlen im Jahr 2024, danken, und wir danken auch Ihnen, unserem geschätzten Publikum, für Ihre Teilnahme, und wir freuen uns darauf, Sie alle bei unseren nächsten Diskussionen und Vorträgen wieder begrüssen zu dürfen. Wir danken Ihnen.
*  Kishore Mahbubani (geboren 1948) ist Politikwissenschaftler und Diplomat. Von 1971 bis 2004 stand Mahbubani im Dienst des Aussenministeriums von Singapur. Er war unter anderem Botschafter in Kambodscha, Malaysia, den USA und bei den Vereinten Nationen. Im Jahr 2000/2001 vertrat er Singapur im Sicherheitsrat und war dessen Präsident. Derzeit ist er Professor für Politikwissenschaft der Lee Kuan Yew School of Public Policy an der National University of Singapore. 1995 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Dalhousie University, 2019 wurde er in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen.
** Das «Emirates Center for Strategic Studies and Research» (ECSSR) wurde 1994 mit dem Ziel gegründet, Forschung und akademische Studien zu politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen zu fördern, die für die «Vereinigten Arabischen Emirate» (VAE), die arabische Golfregion und die gesamte arabische Welt von Bedeutung sind. Das Zentrum unterstützt Entscheidungsträger, veranstaltet Konferenzen und Symposien, organisiert Workshops, sponsert eine Vortragsreihe und veröffentlicht Original- und übersetzte Bücher und Forschungsarbeiten. Vgl. https://www.ecssr.ae/en/

Quelle: https://seektruthfromfacts.org/guess-submissions/kishore-mahbubanis-ear-searing-speech-on-the-usas-desperate-struggles-to-crush-china-in-english-with-english-chinese-subtitles/, 13. Juli 2024, leicht gekürzt.

(Abschrift und Übersetzung «Schweizer Standpunkt»/
Ursula Cross)

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