Asiatische Bruchlinien wegen Bidens Krieg gegen Russland
von M.K. Bhadrakumar,* Indien
(25. April 2022) Die Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland, die sich in Europa abspielen, sind in Asien bereits auf unterschiedliche Weise zu spüren. Die Hypothese, dass die Ukraine in Europa liegt und es bei dem Konflikt nur um die europäische Sicherheit geht, ist eine Illusion.
Von Kasachstan bis Myanmar, von den Salomonen bis zu den Kurilen, von Nordkorea bis Kambodscha, von China bis Indien, Pakistan und Afghanistan zeigen sich Bruchlinien.
Sicherlich hatten bei der gescheiterten Farbrevolution, mit der vor kurzem die etablierte Regierung Kasachstans gestürzt werden, sollte ausserregionale Mächte ihre Hand im Spiel. Es betrifft eine heiss umkämpfte geopolitische Landmasse, die zwei Drittel der Grösse Indiens hat und sowohl an China als auch an Russland – Washingtons Erzfeinde – grenzt. Dank des raschen russischen Eingreifens, das von China unterstützt wurde, konnte ein Regimewechsel abgewendet werden.
Auch das anglo-amerikanische Projekt, Myanmar – das an China grenzt – in einen bewaffneten Aufstand zu verwickeln, ist, mangels eines Zufluchtsortes in Indiens Nordosten und aufgrund der erkannten Interessenkongruenz der umliegenden Länder an der Stabilität Myanmars, gescheitert.
Dagegen hat sich die Bruchlinie in Nordkorea verschärft. Nordkorea handelt nach seinem eigenen Zeitplan und hat wahrscheinlich beschlossen, dass die Ukraine-Krise ihm einen nützlichen Schutz bietet, um sein Testprogramm ausweiten zu können. Pjöngjang unterstützt ausdrücklich Russlands Sondereinsatz in der Ukraine und kommentiert:
«Die Hauptursache für die Ereignisse in der Ukraine liegt in der Selbstherrlichkeit und Willkür der Vereinigten Staaten, die Russlands legitime Forderungen nach Sicherheitsgarantien ignoriert haben und einzig eine globale Hegemonie und militärische Dominanz anstreben, und sich dazu an ihre Sanktionskampagnen klammern.»
Nordkoreas Ziel ist es, seine Sicherheit und seinen Einfluss zu erhöhen, indem es die Qualität und Quantität seiner Abschreckungsfähigkeiten verbessert und seine Verhandlungsposition stärkt.
Auf einer anderen Ebene hat die Ukraine-Krise den Bemühungen der USA, neue asiatische Partner zu gewinnen, neue Dringlichkeit verliehen. Washington ist jedoch auf Gegenwind gestossen und musste einen ursprünglich für Ende März geplanten Sondergipfel mit den zehn Mitgliedsländern des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN) auf unbestimmte Zeit verschieben. Ein neuer Termin wurde nicht vorgeschlagen, obwohl die USA das Gipfeltreffen als eine «Top-Priorität» angepriesen hatten.
In seinem Zorn hat Washington inzwischen Sanktionen gegen Kambodscha verhängt, das derzeit den ASEAN-Vorsitz innehat. Offensichtlich scheuen sich die südostasiatischen Länder, Partei zwischen den USA und China zu ergreifen oder Kritik an Russland zu äussern.
Die vielleicht direkteste Auswirkung der Ukraine-Krise in Asien ist bisher die drastische Verschlechterung der Beziehungen zwischen Japan und Russland. Diese Entwicklung ist insofern ungerechtfertigt, als Tokio einfach alle amerikanischen Sanktionen gegen Russland (auch gegen Präsident Putin) unbesehen übernommen hat.
Premierminister Fumio Kishida zerstörte mutwillig, was sein Vorgänger Shinzo Abe sorgfältig als herzliche, freundschaftliche Beziehung kultiviert hatte.
Japan spricht nun offen von der russischen «Besetzung» der Kurilen-Inseln – etwas, was es in der Vergangenheit nicht getan hat. Moskau revanchierte sich, indem es Japan als «unfreundliches» Land einstufte. Dennoch gingen Analysten bis vor kurzem davon aus, dass Russland und Japan ein übereinstimmendes Interesse daran haben, Chinas arktische Ambitionen zu blockieren, und sich daher auf eine Lösung ihres Streits um die Kurilen zubewegen.
Das Mindeste, was man sagen kann, ist, dass Kishidas Beweggründe für seine abrupte Kehrtwende, die Kurilen zu einem potenziellen Krisenherd in den Beziehungen zu Russland zu machen, offensichtlich auf die umfassendere Strategie der USA zurückzuführen sind, Russland zu isolieren.
In der Zwischenzeit hat sich auch eine gegenläufige Entwicklung abgezeichnet mit China, das die Inselkettenstrategie der USA im Westpazifik herausforderte, indem es ein neues Sicherheitsabkommen mit den Salomonen aushandelte. Diese entscheidende Entwicklung kann weitreichende Folgen haben und ist auf riskante Art mit der Taiwan-Frage verwoben. Berichten zufolge schickt Präsident Biden einen hochrangigen Beamten des Weissen Hauses auf die Salomon-Inseln, um das Abkommen mit China zu untergraben.
Die Biden-Administration drängt nun auch Indien, seine Beziehungen zu Russland einzuschränken. Das wird zu einer Bruchlinie in der strategischen Partnerschaft zwischen den USA und Indien. Was Washington besonders zuwider sein muss, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Indien seine Handels- und Wirtschaftskooperation mit Russland in lokalen Währungen fortsetzt. In der Tat haben China und Indien in der Ukraine-Krise eine ähnliche Haltung eingenommen.
Angesichts der Grösse der chinesischen Wirtschaft und des hohen Wachstumspotenzials der indischen Wirtschaft wäre ihre Neigung, den Dollar zu umgehen, richtungsweisend für andere Länder. Das von den westlichen Sanktionen betroffene Russland, hat die BRICS-Gruppe der Schwellenländer aufgefordert, die Verwendung nationaler Währungen auszuweiten und die Zahlungssysteme zu integrieren.
Tatsache ist, dass der «als Waffe benutzte Dollar» und der rücksichtslose Schritt des Westens, Russlands Reserven einzufrieren, den meisten Entwicklungsländern einen Schauer über den Rücken jagt. Nepal hat nach der Drohung eines hochrangigen US-Beamten nachgegeben und das Abkommen mit der Millennium Challenge Corporation ratifiziert!
Es gibt keinen denkbaren Grund, warum die Nato die Sicherheit in der asiatischen Region gewährleisten sollte. Aus diesem Grund ist die Zukunft Afghanistans von entscheidender Bedeutung. Zweifellos hat der Regimewechsel in Pakistan zumindest teilweise mit Afghanistan zu tun. Das russische Aussenministerium hat einige Einzelheiten über die Einmischung der USA in die inneren Angelegenheiten Pakistans und ihren Druck auf den ehemaligen Premierminister Imran Khan bekannt gegeben.
Doch die Zeit wird zeigen, wie realistisch die Erwartungen Washingtons sind, Pakistan in seine Einflusssphäre einzubinden und es zu einem Stellvertreter zu machen, der Druck auf das Taliban-Regime in Afghanistan ausübt. Russland und China sorgen dafür, dass die Tür für eine Rückkehr der Nato nach Afghanistan geschlossen bleibt. Sie haben die jüngsten Bemühungen Washingtons, die Taliban-Führung in Kabul zu beeinflussen, zunichte gemacht. (Siehe meinen Blog: USA überflügeln regionale Staaten im Rennen um Kabul.1)
Die Botschaft des jüngsten Aussenministertreffens der Nachbarländer Afghanistans in Tunxi (China) zur Afghanistanfrage lautet, dass die Regionalstaaten hoffen, beim Übergang des Landes vom Chaos zur Ordnung eine führende Rolle zu übernehmen. Damit distanzieren sich die regionalen Staaten schrittweise vom westlichen Exzeptionalismus und schlagen stattdessen einen Weg der Überzeugung durch konstruktives Engagement ein. Die in Tunxi abgegebene gemeinsame Erklärung2 spiegelt dieses neue Denken wider.
Die Entwicklungen in Afghanistan sind ein Wegweiser dafür, dass sich die Staaten der Region jedem Versuch des Westens, eine Dominanz in Asien zu gewinnen, widersetzen werden. Die meisten asiatischen Länder haben in ihrer Geschichte bittere Erfahrungen mit dem Kolonialismus gemacht. (Siehe meinen Blog: Indiens Dilemma mit dem Westen vs. Russland3)
Auch wenn die amerikanischen Analysten dies herunterspielen, bleibt die Tatsache bestehen, dass der Konflikt in der Ukraine das «asiatische Jahrhundert» sehr stark beeinflussen wird. Die USA sind entschlossen, die Nato zu einer globalen Sicherheitsorganisation umzugestalten, die über den Zuständigkeitsbereich der Vereinten Nationen hinaus agiert, um die «regelbasierte Ordnung» des Westens durchzusetzen.
Der verzweifelte Versuch des Westens, Russland zu schwächen und das globale strategische Gleichgewicht zugunsten der USA zu verschieben, zielt darauf ab, den Weg für eine unipolare Weltordnung im 21. Jahrhundert zu ebnen. Hal Brands, Professor für globale Angelegenheiten an der Johns-Hopkins-Universität, hat kürzlich in einem Interview4 die US-Strategie hinter dem Krieg in der Ukraine als sehr logisch dargestellt:
«Nun, in den Vereinigten Staaten gibt es seit langem eine Debatte darüber, ob wir vorrangig mit Russland oder China konkurrieren oder sie als gleichberechtigte Partner behandeln sollten. Diese Debatte ist im Zusammenhang mit diesem Krieg wieder aufgeflammt. Meiner Meinung nach zeigt der Krieg jedoch, dass der beste Weg, Druck auf China auszuüben, das der gefährlichere und mächtigere der beiden Rivalen ist, darin besteht, dafür zu sorgen, dass Russland besiegt wird, dass es seine Ziele in diesem Krieg nicht erreicht. Dies wird zu einem schwächeren Russland führen, einem Russland, das weniger in der Lage ist, Druck auf die USA und ihre Verbündeten in Europa auszuüben, und somit weniger nützlich als strategischer Partner für Peking.
Die Vereinigten Staaten können sich der Realität nicht entziehen, dass sie sowohl Russland als auch China gleichzeitig eindämmen müssen.»
* M. K. Bhadrakumar hat rund drei Jahrzehnte als Karrierediplomat im Dienst des indischen Aussenministeriums gewirkt. Er war unter anderem Botschafter in der früheren Sowjetunion, in Pakistan, Iran und Afghanistan sowie in Südkorea, Sri Lanka, Deutschland und in der Türkei. Seine Texte beschäftigen sich hauptsächlich mit der indischen Aussenpolitik und Ereignissen im Mittleren Osten, in Eurasien, in Zentralasien, Südasien und im Pazifischen Asien. Sein Blog heisst «Indian Punchline». |
Quelle: https://www.indianpunchline.com/asian-fault-lines-of-bidens-war-on-russia/, 13. April 2022
(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)
1 https://www.indianpunchline.com/us-pips-regional-states-at-race-for-kabul/
2 https://www.fmprc.gov.cn/mfa_eng/zxxx_662805/202203/t20220331_10658230.html
3 https://www.indianpunchline.com/indias-dilemma-over-west-vs-russia/