Afrika im Aufbruch – Die «Achse des Widerstands» in der Sahelzone

von Pepe Escobar,* Kolumnist für «The Cradle»

Die Staaten der Sahelzone revoltieren gegen den westlichen Neokolonialismus. Sie weisen ausländische Truppen aus ihren Territorien und schliessen deren Stützpunkte, sie führen alternative Währungen ein und fordern multinationale Konzerne heraus.

Pepe Escobar.
(Bild zvg)

Die Entstehung von Achsen des Widerstands1 in verschiedenen Regionen des Globalen Südens ist ein untrennbares Nebenprodukt des langen und gewundenen Prozesses, der uns zu einer multipolaren Welt führt. Diese beiden Dinge – der Widerstand gegen den Hegemon und die Entstehung der Multipolarität – ergänzen sich bestens.

Die Achse des Widerstands in Westasien – quer durch die arabischen und muslimischen Staaten – findet nun einen Seelenverwandten in der Sahelzone Afrikas, von West nach Ost, von Senegal über Mali, Burkina Faso und Niger bis zum Tschad, Sudan und Eritrea.

Anders als in Niger, wo der Machtwechsel im Kampf gegen den Neokolonialismus mit einem Militärputsch einherging, kommt der Machtwechsel in Senegal direkt von den Wählern.

Afrikanische Sahel-Staaten.

Mit dem Erdrutschsieg des 44-jährigen Bassirou Diomaye Faye bei den landesweiten Wahlen vom vergangenen 24. März betrat Senegal eine neue Ära. Als ehemaliger Steuerinspektor, der noch kurz vor den Wahlen zwei Wochen im Gefängnis verbracht hatte, ging Faye mit dem Profil einer unterdrückten panafrikanischen Führungspersönlichkeit ins Rennen. Dabei äusserte er die Absicht, die «stabilste Demokratie Afrikas» auf den Kopf zu stellen, die bis dato von der französischen Marionette Macky Sall regiert wurde.

Der neue senegalesische Präsident schliesst somit die Reihen mit dem 36-jährigen Ibrahim Traoré in Burkina Faso, dem 46-jährigen Abiy Ahmed in Äthiopien, dem 48-jährigen Andry Rajoelina in Madagaskar sowie dem künftigen Superstar aus Südafrika, dem 44-jährigen Julius Malema, um jene neue und junge panafrikanischen Generation zu vertreten, die sich für die Souveränität Afrikas engagiert. In seinem Wahlprogramm versprach Faye nicht weniger als achtzehnmal, die Souveränität Senegals wiederherzustellen.

Die Geoökonomie Senegals ist der Schlüssel, der zu diesen Veränderungen geführt hat. Nachdem sich Senegal zu einem bedeutenden Öl- und Gasproduzenten entwickelt hat, wird Faye eine Neuverhandlung von Bergbau- und Energieabkommen anstreben, darunter jene mit British Petroleum und Endeavour Mining, dem britischen Betreiber von Goldminen.

Entscheidend dabei ist, dass er den ausbeuterischen CFA-Franc – das von Frankreich kontrollierte Währungssystem, das in 14 afrikanischen Staaten verwendet wird – aufgeben und im Rahmen der Neugestaltung der Beziehungen zur neokolonialen Macht Frankreich – Senegals wichtigstem Handelspartner –, sogar eine neue und souveräne Währung einführen will. Faye scheint in die Fussstapfen von Xi Jinping treten zu wollen und in den Aussenhandelsbeziehungen «Win-Win»-Partnerschaften anzustreben.

Mali, Niger und Burkina Faso gründeten «Allianz der SahelStaaten». (Bild zvg)

Auftritt der Allianz der Sahel-Staaten

Faye hat sich bisher nicht klar darüber geäussert, ob er beabsichtigt, das französische Militär aus Senegal auszuweisen. Sollte dies geschehen, wäre dies für Paris ein beispielloser und herber Schlag, nachdem der bedrängte «Kleine König» Emmanuel Macron und das französische Establishment Senegal als Schlüsselpartner betrachten, wenn es darum geht, die Binnenstaaten Niger, Mali und Burkina Faso zu blockieren, die Paris bereits in die Wüste geschickt haben.

Die oben genannten drei Staaten haben erst kürzlich eine Allianz der Sahel-Staaten gegründet: die AES – französisch: Alliance des Etats du Sahel. Diese Allianz ist nicht nur ein grosser Albtraum für Paris, nach einer Reihe von Demütigungen, sondern verursacht auch ein grosses amerikanisches Kopfzerbrechen – verkörpert durch den spektakulären Zusammenbruch der militärischen Zusammenarbeit zwischen Washington und der nigrischen Hauptstadt Niamey.

Natürlich ist der Schuldige dafür laut den USA erwartungsgemäss der russische Präsident Wladimir Putin.

Offensichtlich hat niemand in den Hallen der Macht in Washington, den zahlreichen diplomatischen Kontakten zwischen Russland und den afrikanischen Staaten gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Die diplomatische Offensive Moskaus richtete sich an alle wichtigen Akteure der Sahelzone, sowie an Ägypten und Äthiopien, die jüngsten Mitglieder der BRICS.

Im krassen Gegensatz zu seiner früheren Betrachtung des Niger als treuer Verbündeter in der Sahelzone sieht sich Washington nun gezwungen, einen Termin für den Abzug seiner Truppen aus Niger zu nennen, nachdem ein Abkommen über militärische Zusammenarbeit annulliert wurde. Das Pentagon kann sich nicht mehr an der militärischen Ausbildung auf nigrischen Gebiet beteiligen.

Im Niger existieren zwei wichtige Stützpunkte der USA – in Agadez und in der Hauptstadt Niamey – für deren Bau das Pentagon über 150 Millionen US-Dollar ausgegeben hat. Niamey wurde erst im Jahr 2019 fertiggestellt und untersteht dem AFRICOM, dem Regionalkommando für Afrika der US-Streitkräfte, das seltsamerweise seinen Sitz im deutschen Stuttgart-Möhringen hat.

Die operativen Ziele dieser militärischen Präsenz der USA in Niger sind erwartungsgemäss geheim. Die Basis in Niamey ist im Wesentlichen ein Datenzentrum, das die von MQ-9-Reaper-Drohnen gesammelte Daten verarbeitet und auswertet. Die US-Luftwaffe nutzt auch den Flugplatz Dirkou als Basis für Operationen in der Sahelzone.

Jetzt wird es richtig spannend, denn das Vorhandensein einer de facto CIA-Drohnenbasis in Dirkou, die mit einer Handvoll Spezialisten besetzt ist, wird nicht einmal zugegeben. Diese verdeckte Basis ermöglicht das Sammeln von Informationen überall in Zentralafrika, von Westen bis Norden. Man kann dies als ein weiteres Beispiel des Mottos «Wir lügen, wir betrügen, wir stehlen» betrachten, das der ehemalige CIA-Direktor Mike Pompeo einst hervorhob.

In Niger sind etwa 1000 US-Soldaten stationiert, denen bald der Abzug droht. Die Amerikaner versuchen nun alles, um diesen Aderlass zu verhindern. Allein im vergangenen Monat war die US-Unterstaatssekretärin für Afrika, Molly Phee, zweimal in Niger zu Besuch. Der Verlust der beiden Stützpunkte in Niger wird dazu führen, dass nach Paris auch Washington die Kontrolle über die Sahelzone verliert – während sich Niger gleichzeitig Russland und Iran annähert.

Diese Stützpunkte sind für die Überwachung der Meerenge von Bab al-Mandeb nicht unbedingt erforderlich. In diesem Spiel dreht sich alles um die Sahelzone, wo Drohnen bis an die Grenzen ihrer Reichweiten operieren und dabei jeden souveränen Luftraum in der Region verletzen.

Übrigens besuchte eine grosse Delegation aus Niger kürzlich Moskau. Später sprach Putin per Telefon mit dem Interimspräsidenten von Mali, Assimi Goita, und mit dem Präsidenten der nigerianischen Militärregierung, Abdourahmane Tchiani über Sicherheitskooperationen, um anschliessend mit dem Präsidenten der Republik Kongo, Denis Sassou-Nguesso, zu sprechen.

Bassirou Diomaye Faye, Präsident im Senegal. (Bild AFP/John Wessels)

Die Elfenbeinküste: Eine Wende für das Imperium?

Überall auf dem afrikanischen Kontinent fallen prowestliche Marionettenregimes in sich zusammen. Die Allianz der Sahel-Staaten – Mali, Burkina Faso und Niger – mag die Vorhut einer afrikanischen Achse des Widerstands sein, aber das ist nicht alles: Da sind noch Südafrika, Äthiopien und Ägypten als vollwertige Mitglieder der BRICS – ganz zu schweigen von den ernsthaften Beitrittskandidaten für die nächste Erweiterung der BRICS, Algerien und Nigeria.

Russland auf diplomatischer Ebene und China auf kommerzieller Ebene, sowie das gesamte Gewicht der strategischen Partnerschaft zwischen Russland und China, konzentriert sich eindeutig auf langfristige Beziehungen, setzt auf Afrika als Ganzes und betrachtet den Kontinent als wichtigen multipolaren Akteur. Belege dafür wurden erneut während einer multipolaren Konferenz im vergangenen Monat in Moskau geliefert,2 wo der charismatische und panafrikanische Politiker Kémi Séba aus Benin einer der Hauptredner war.

Eurasische Diplomatenkreise erlauben sich sogar, über die jüngsten Wutanfälle des «Petit Roi» in Paris zu scherzen. Die umfassende Demütigung Frankreichs in der Sahelzone ist wahrscheinlich einer der Gründe für die vollmundige Drohung von Macron, französische Truppen in die Ukraine zu entsenden – die von den Russen in Rekordzeit vernichtet würden – und für seinen Eifer, die aktuellen russophoben Kapriolen Armeniens zu unterstützen. Historisch betrachtet bleibt die Tatsache bestehen, dass die Afrikaner die ehemalige UdSSR in der Vergangenheit als viel nachgiebiger und unterstützender als den Westen betrachtet haben, wenn es um die Ausbeutung natürlicher Ressourcen ging. Dieses Wohlwollen wurde nun auch auf China übertragen.

Als regionale Integrationsplattform verfügt die Allianz der Sahel-Staaten über alle Voraussetzungen, um bahnbrechende Veränderungen auf dem afrikanischen Kontinent in die Wege zu leiten. Senegal unter dem neuen Präsidenten Bassirou Diomaye Faye könnte eines Tages beitreten, aber Guinea verfügt bereits über die geografische Lage, um dem Bündnis einen zuverlässigen Zugang zum Meer zu ermöglichen. Das würde über kurz oder lang dazu führen, dass die vom Westen kontrollierte und in Nigeria ansässige Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) an Bedeutung verlieren wird.

Doch man sollte niemals die mächtigen Tentakel des US-Hegemon unterschätzen. Der Masterplan des Pentagons sieht nicht vor, Afrika einer multipolaren Einflusssphäre Russland-China-Iran zu überlassen. Doch niemand in der Achse des Widerstands in der Sahelzone glaubt mehr an die Beschwörungen aus Washington über akute «Terrorgefahren». In Afrika gab es praktisch keinen Terror, bis die NATO 2011 Libyen in ein Ödland verwandelte und anschliessend auf dem ganzen Kontinent Truppen stationierte und Militärstützpunkte errichtete.

Bisher hat die Allianz der Sahel-Staaten den Informationskrieg, bei dem die afrikanische Souveränität im Mittelpunkt steht, deutlich gewonnen. Aber es besteht kein Zweifel, dass das US-Imperium zurückschlagen wird. Schliesslich hängt das ganze Spiel mit der extremen Paranoia Washingtons zusammen, dass Russland die Kontrolle über die Sahelzone und Zentralafrika übernehmen könnte.

Nun tritt die Elfenbeinküste auf den Plan. Nachdem Senegal möglicherweise kurz davorsteht, mit der Allianz der Sahel-Staaten anzubändeln, ist die Elfenbeinküste für Washington von noch strategischerer Bedeutung als beispielsweise Tschad, da das Territorium der Elfenbeinküste sehr nahe an den Staaten der Sahel-Allianz liegt. Dennoch hat Tschad seine Aussenpolitik bereits neu ausgerichtet, wird nicht mehr vom Westen kontrolliert und hat seinen Schwerpunkt auf die Annäherung an Moskau gelegt.

Was also könnte der nächste Schritt des US-Imperiums sein? Möglicherweise teilen sich Washington und Paris US-amerikanische «Anti-Terror»-Drohnen auf dem französischen Stützpunkt in der Elfenbeinküste, um die Allianz der Sahel-Staaten in Schach zu halten. Dieses Szenario könnte man als einen gedemütigten gallischen Hahn beschreiben, der sich dem US-Hegemon in Westafrika um den Hals wirft, ohne im Gegenzug dafür auch nur die Krümel eines angebissenen Croissants zu bekommen.

* Pepe Escobar ist Kolumnist bei The Cradle, leitender Redakteur bei Asia Times und unabhängiger geopolitischer Analyst mit Schwerpunkt Eurasien. Seit Mitte der 1980er Jahre hat er als Auslandskorrespondent in London, Paris, Mailand, Los Angeles, Singapur und Bangkok gelebt und gearbeitet. Er ist Autor zahlreicher Bücher; sein neuestes Buch trägt den Titel «Raging Twenties».

Quelle: https://thecradle.co/articles/the-sahels-axis-of-resistance, 1.April 2024
(Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion)

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

1 https://thecradle.co/articles/axis-of-resistance-from-donbass-to-gaza

2 https://strategic-culture.su/news/2024/02/29/the-global-south-converges-to-multipolar-moscow/

Zurück