Tagung in Solothurn, 15. und 16. Oktober 2022 – Teil 4

Welche Medien in wessen Interesse?

Vorbemerkung

(Red.) Dieser Beitrag des unabhängigen schottischen Journalisten Alan MacLeod zum Thema «Welche Medien in wessen Interesse?» entspricht dem Referat, das er an der Tagung zum Thema «Welche Medien für den Frieden?» am 15./16. Oktober 2022 in Solothurn gehalten hat. Die Tagung wurde organisiert und finanziell ermöglicht von den vier Schweizer Organisationen «Fondation GIPRI», «Schweizerische Friedensbewegung», «Vereinigung Schweiz-Cuba» und «ALBA SUIZA».
   Folgende vier unabhängige Schweizer Publikationen haben zum guten Gelingen der Solothurner Tagung beigetragen: https://www.schweizer-standpunkt.ch | https://globalbridge.ch | https://zeitpunkt.ch | https://zeitgeschehen-im-fokus.ch/
Alan MacLeod. (Bild zvg)

von Alan MacLeod,* Schottland

(6. Dezember 2022) Ich bin investigativer Journalist für den palästinensisch-amerikanischen Nachrichtensender «MintPress News». Ich wurde auch in vielen der bekanntesten englischsprachigen Medien veröffentlicht oder zitiert. Davor war ich Akademiker mit dem Schwerpunkt Medien- und Journalismusforschung.

Seit mehr als einem Jahrzehnt beobachte ich die Medien, deren Agenda und deren Arbeitsweise sehr genau – sowohl aus der Ferne als auch aus dem Auge des Sturms.

Die Botschaft, die ich Ihnen heute mit nach Hause geben möchte, ist, dass die Medien nicht Ihre Freunde sind. In den meisten Fällen sind Journalisten keine mutigen Wahrheitsverkünder, die der Macht die Stirn bieten, sondern kleine Rädchen in riesigen, milliardenschweren Maschinen, die ihre eigene Agenda verfolgen. Die Medien stellen die Macht selten in Frage; sie sind die Macht, die Stimme der Mächtigen. Und ihre Aufgabe ist es, die öffentliche Meinung so zu formen, dass die Interessen ihrer milliardenschweren Eigentümer und Werbekunden propagiert werden.

Wir im Westen glauben gerne, dass wir eine pluralistische Gesellschaft haben, in der alle Standpunkte vertreten werden, und dass «Propaganda» hauptsächlich in autoritären Staaten wie der UdSSR oder Nordkorea existiert. Wir warnen auch gerne vor den Gefahren der staatlichen Medien. Aber in Wirklichkeit leben wir in einem von Konzernen beherrschten Staat, und daher sind die Medien der Unternehmen automatisch auch Staatsmedien.

Medienkonzerne vs. Meinungsvielfalt

Die Meinungsvielfalt an unseren Zeitungsverkaufsständen oder in unseren Fernsehkanälen ist gering. In Grossbritannien, wo ich lebe, kontrollieren nur drei Konzerne – News UK (im Besitz von Rupert Murdoch), DMGT und Trinity Mirror – über 70% der Zeitungsauflage.

In Finnland erreichen die vier grössten Fernsehsender 92% der Zuschauer und schöpfen 97% der Gewinne ab.

Selbst in der Schweiz, wo die sprachlichen Unterschiede dazu beitragen, eine Vielfalt an Titeln aufrechtzuerhalten, kontrolliert die TX Group, Eigentümerin von u. a. 20 Minuten, 24 Heures und Berner Zeitung, rund die Hälfte des Marktes.

Im Jahr 2018 veröffentlichte die Europäische Kommission einen Bericht, in dem sie feststellte, dass die Konzentration von Medienbesitzern eine der grössten Herausforderungen für die Informations- und Meinungsvielfalt in Europa darstellt.

Aber diese Konzerne beschränken sich nicht nur auf den Besitz von Medien. Wie der geschätzte indische Journalist Palagummi Sainath feststellte:

«Grosse Medienkonzerne sind grosse Akteure in Bereichen, die von der Landwirtschaft bis zur Luftfahrt, vom Zucker bis zur Börse, vom Finanzwesen bis zur Mode, vom Management bis zum Bergbau reichen. Heutzutage ist es sehr schwer, den Unterschied zwischen der vierten Gewalt, der Presse (fourth estate) und den Vermögen der grossen Konzerne (real estate) zu erkennen.

Hinzu kommen die äusserst komplexen Verflechtungen in der Unternehmensführung, die dazu führen, dass viele Spitzenmanager in den Vorständen der Medien sitzen. Der Punkt ist folgender: Die Medien sind nicht pro-korporativ, die Medien sind nicht pro-business, die Medien sind nicht pro-establishment, sie sind das Establishment. Sie sind der führende ideologische Arm des Establishments.»

Diese gigantischen Konzerne üben eine strenge ideologische Kontrolle über alle ihre Mitarbeitenden aus. So zwingt beispielsweise das deutsche Medienunternehmen Axel Springer – das mehr als 150 Titel kontrolliert und weltweit über 15 000 Mitarbeitende beschäftigt – seine Mitarbeitenden dazu, der Europäischen Union, dem freien Markt und dem neoliberalen Kapitalismus die Treue zu schwören und die Regierung Israels zu unterstützen. In der Tat hat das Unternehmen in jüngster Zeit zahlreiche muslimische oder arabische Mitarbeitende entlassen, die sich gegen den jüngsten Angriff Israels auf Gaza ausgesprochen hatten.

In der Zwischenzeit haben alle 175 Zeitungen, die Rupert Murdoch 2003 besass, die äusserst umstrittene Invasion der USA und Grossbritanniens im Irak unterstützt.

Ein anderer Medienoligarch, Conrad Black, äusserte sich ausdrücklich über die Art der totalen Kontrolle, die er über seine Mitarbeitenden ausübt. Er sagte: «Wenn Redakteure nicht mit uns einverstanden sind, sollten sie es erst zum Ausdruck bringen, wenn sie nicht mehr bei uns arbeiten. Die Verantwortung liegt bei den Besitzern. Ich bin für die Einhaltung der Gehaltsabrechnung verantwortlich. Daher werde ich bestimmen, was in den Zeitungen steht.»

Schaffung einer ideologischen Hegemonie

Kurz gesagt, der Zweck der Konzernmedien in unserer Gesellschaft besteht darin, eine «ideologische Hegemonie» zu schaffen, um es mit den Worten des radikalen italienischen Denkers Antonio Gramsci zu sagen, bei der die Interessen und Ansichten der Elite als gesunder Menschenverstand, als normal oder als Standard angesehen werden. Fünfzig Jahre später beschrieben die amerikanischen Wissenschaftler Edward Herman und Noam Chomsky diesen Prozess als künstliche «Herstellung von Zustimmung» in der gesamten Bevölkerung.

Die Konzentration der Besitzer an unseren Medien hat reale Konsequenzen. Der italienische Politiker Silvio Berlusconi, Hauptaktionär des grössten privaten Fernsehsenders, des grössten Verlags und des grössten Werbeunternehmens Italiens, konnte sein Medienimperium nutzen, um Ministerpräsident zu werden und sich an der Macht zu halten.

Dramatischer Einbruch bei den alten Medien

Was allen klar geworden ist – auch denen, die sich nur am Rande für die Medien interessieren – ist, dass wir den langsamen Tod des alten Systems und die Geburt eines neuen erleben. Die Medien befinden sich in der Krise; die Verkaufszahlen der Printmedien sind in ganz Europa dramatisch eingebrochen. Heute geben nur noch 5% der Norweger und 3% der Iren, Spanier und Italiener an, dass Printmedien ihre bevorzugte Informationsquelle sind, während die Online-Medien stark zugenommen haben.

Beim Fernsehen ist es genau gleich. Im Jahr 2016 nutzten 69% der Schweizerinnen und Schweizer das Fernsehen als primäre Nachrichtenquelle. Heute ist diese Zahl auf 57% gesunken. In Spanien ist sie im gleichen Zeitraum von 72% auf 59% gesunken. Und in Polen ist sie von 81% auf 59% gesunken.

Viele haben diesen Rückgang bejubelt und gesagt «zum Glück sind wir sie los». Das Misstrauen gegenüber den Medien als Institution ist in ganz Europa so gross wie nie zuvor. Laut dem jüngsten Jahresbericht des Reuters Digital Media Institute stehen die meisten Europäer ihren eigenen Medien aktiv feindlich gegenüber. Nur 26% der Slowaken, 27% der Griechen, 29% der Franzosen, 32% der Spanier und 35% der Italiener haben überhaupt noch etwas Vertrauen in die Medien. (In der Schweiz sind es 46%, falls es Sie interessiert).

Nur 7% der Griechen und 13% der Italiener und Spanier sind der Meinung, dass ihre Medien frei von unzulässigem politischem Einfluss sind. Am besten schnitt die Studie in Finnland ab, wo 50% der Menschen davon überzeugt sind, dass die Presse nicht politisch kontrolliert wird.

Kurz gesagt, die alten Medien stecken in einer grossen und berechtigten Glaubwürdigkeitskrise.

Demokratisierung durch Internet? Leider nein.

In den 1990er und 2000er Jahren gab es unter Soziologen und Medienwissenschaftlern grosse Hoffnung, dass das Internet eine befreiende Kraft sein würde – ein Peer-to-Peer-Netzwerk, ein Netzwerk Gleichberechtigter, das das Informationssystem demokratisieren und ein neues goldenes Zeitalter der Kommunikation einläuten würde.

Dies ist jedoch nicht nur nicht geschehen, sondern der Grad der Eigentümerkonzentration und Zensur ist online wohl noch schlimmer als in den alten Medien. Riesige Monopole wie Amazon, Google und Facebook beherrschen das Internet.

Fast 3 Milliarden Menschen nutzen Facebook regelmässig, was dem Unternehmen enorme Macht verleiht, Nachrichten und Ideen weltweit zu propagieren oder zu unterdrücken. Durch seine Newsfeeds und Algorithmen ist Facebook das bei weitem grösste einzelne Kommunikationsmedium der Menschheitsgeschichte geworden. Vor dem Internet gab es keinen Nachrichtenverteiler, der auch nur 5% der Reichweite von Facebook hatte.

In der Zwischenzeit wurde der Amazon-Gründer Jeff Bezos zum reichsten Mann der Welt und nutzte seinen Reichtum, um die Zeitung The Washington Post zu kaufen und sie zu einem Vehikel für seine eigenen Geschäftsinteressen zu machen.

Auch Microsoft-Mitbegründer Bill Gates ist ein wichtiger Medienbaron. Wir verlassen uns auf Microsoft, wenn es um soziale Medien wie LinkedIn, Hardware wie Microsoft Surfaces und das Windows Phone oder Software wie Microsoft OS geht. Auch das «MS» in MSNBC steht für «Microsoft». Darüber hinaus ergab meine Untersuchung, dass Gates mindestens 319 Millionen Dollar an Medienunternehmen weltweit gespendet hat, darunter Millionen an Der Spiegel (Deutschland), El País (Spanien), Le Monde (Frankreich) und den Guardian (Grossbritannien). Im Gegenzug drücken diese Medien bei seinen Geschäften ein Auge zu und sichern ihm eine positive Presse.

60% der Europäer haben in der vergangenen Woche Facebook für Nachrichten oder Kommunikation genutzt, 51% WhatsApp und 40% Instagram, die alle einem einzigen Unternehmen gehören. Diese Art von riesigen Monopolen gibt den Online-Giganten eine unglaubliche Macht, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Und sie nutzen sie genau zu diesem Zweck.

Eine unglaubliche Macht, die öffentliche Meinung zu beeinflussen

Eine kürzlich durchgeführte Studie über Twitter hat zum Beispiel gezeigt, dass der Algorithmus des Unternehmens in vielen europäischen Ländern, darunter Frankreich, Spanien und das Vereinigte Königreich, rechte Politiker gegenüber linken bevorzugt. Inzwischen hat Facebook-Gründer Mark Zuckerberg zugegeben, dass er den Verkehr zu linken Nachrichtenseiten auf seiner Plattform absichtlich drosselt, und zwar ausdrücklich wegen ihrer politischen Einstellung.

Eine der Haupttaktiken der Giganten der sozialen Medien ist es, Ideen zu unterdrücken, die das System, von dem sie profitieren, in Frage stellen. Google zum Beispiel hat immer wieder Websites mit alternativen Medien angegriffen und sie aus den Suchergebnissen gestrichen, herabgestuft oder von der Liste genommen. MintPress News, das Unternehmen, für das ich arbeite, hat seit 2016 fast 90% seines Google-Suchverkehrs verloren, und andere alternative Nachrichtenseiten haben ähnliche, irreparable Verluste erlitten. Dieser katastrophale Rückgang hat zur Schliessung unzähliger alternativer Nachrichten-Websites geführt.

Google und Facebook kontrollieren die Inhalte

Google und Facebook kontrollieren auch die Online-Werbung und entfernen regelmässig alle Anzeigen von politischen Inhalten, mit denen sie nicht einverstanden sind, wodurch die Debatte weiter abgewürgt wird. Dies geschieht nicht nur bei rassistischen oder hasserfüllten Inhalten, sondern auch bei Sichtweisen, die sich kritisch mit Krieg, Ungleichheit, Kapitalismus oder der Macht von Unternehmen auseinandersetzen. Ein Beispiel dafür ist meine Untersuchung über die Finanzierung von Medienunternehmen weltweit durch Bill Gates. Der Artikel ging viral und wurde von Hunderttausenden von Menschen gelesen. Da Google jedoch die Werbung für den Artikel zurückzog, weil es sich um ein «kontroverses» Thema handelte, haben wir mit der Veröffentlichung des Artikels sogar Geld verloren. Dies ist nur eine weitere Möglichkeit, wie die Medien davon abgehalten werden, die Mächtigen zu hinterfragen.

Vernetzung zwischen Social-Media-Plattformen und US-Sicherheitsapparat

Hinzu kommt die beunruhigende Nähe zwischen den grössten Social-Media-Plattformen und dem nationalen Sicherheitsapparat der USA. In den letzten drei Jahren haben Facebook, TikTok, Google und Twitter zusammengenommen buchstäblich Hunderte von Beamten der CIA, NSA, des FBI, der Nato und anderer westlicher Dienste eingestellt. Noch schlimmer ist, dass diese Personen selten in politisch neutralen Bereichen arbeiten, sondern sich vielmehr um Vertrauen, Sicherheit und Inhaltsmoderation kümmern. So war beispielsweise Aaron Berman, die Person, die letztlich für die wichtigsten Entscheidungen von Facebook im Bereich der Inhaltsmoderation zuständig ist – also darüber entscheidet, was wir alle online sehen und was nicht –, bis 2019 eines der hochrangigsten Mitglieder der CIA.

Der Journalismus befindet sich in einer Krise, und die Journalisten selbst sehen die Zukunft ihrer Branche pessimistischer als jeder andere Beruf. Dennoch ist die Branche nach wie vor hart umkämpft, und der Weg dorthin erfordert oft lange Praktika, was bedeutet, dass der Beruf für viele ausser den reichsten Bewerbern, die sechs Monate oder ein Jahr lang ohne Einkommen auskommen können, praktisch nicht zugänglich ist. Dies hat zur Folge, dass Journalisten zunehmend aus elitären Verhältnissen stammen und diejenigen, die versuchen, das System zu ändern, eher als Bedrohung ansehen, die es zu bekämpfen gilt.

Gesamtbild des Journalismus ist besorgniserregend

Die langen Arbeitszeiten und prekären Arbeitsbedingungen sind nicht gerade förderlich für unabhängige Denker. Nur diejenigen, die ihren Chefs gefallen, erhalten den begehrten unbefristeten Vertrag. In den meisten Nachrichtenagenturen wird eher Personal abgebaut als eingestellt, was den Druck auf die Mitarbeitenden noch erhöht, den Anweisungen von oben Folge zu leisten.

Hinzu kommt, dass mit dem Aufkommen des Internets von Journalisten erwartet wird, dass sie mehr Inhalte mit weniger Ressourcen als je zuvor produzieren, was zu einer hohen Rate an Überlastung, Ermüdung und Burnout führt. Das System setzt auf Gehorsam und Ehrerbietung statt auf Kreativität, und diejenigen, die aus der Reihe tanzen, werden schon früh aussortiert. Dies hat dazu geführt, dass der professionelle Journalismus zu einem der konformistischsten Branchen überhaupt geworden ist.

Natürlich gibt es viele bemerkenswerte und noble Ausnahmen von diesem Trend, von denen einige an dieser Konferenz vertreten sind. Aber das Gesamtbild ist besorgniserregend.

Wichtig ist, kritische Medienkompetenz zu entwickeln

Der Grund, warum dies so wichtig ist, liegt darin, dass die Medien eine enorme Macht in der Gesellschaft ausüben, ob sie es nun wahrhaben wollen oder nicht. Wie der armenisch-amerikanische Journalist und Universitätsprofessor Ben Bagdikian schrieb, sind die Massenmedien «zu jedem beliebigen Zeitpunkt die Autorität dafür, was wahr und was falsch ist, was Realität und was Fantasie ist, was wichtig und was trivial ist. Es gibt keine grössere Kraft, die die öffentliche Meinung prägt.»

Malcolm X brachte es auf eine andere Weise auf den Punkt: «Wenn man nicht aufpasst, bringen die Zeitungen einen dazu, diejenigen Menschen zu hassen, die unterdrückt werden, und diejenigen Menschen zu lieben, die sie unterdrücken.»

Die Medien werden nur allzu oft dazu benutzt, Kriege anzuzetteln. Bevor man die Truppen schickt, schickt man die Journalisten. Hätten wir jedoch repräsentativere, demokratischere Medien, könnten sie dazu eingesetzt werden, sie zu beenden. Und das ist etwas, worauf jeder hier hinarbeiten sollte.

Und deshalb ist es so wichtig, alles, was man liest, analytisch zu hinterfragen und eine kritische Medienkompetenz zu entwickeln. Und ich hoffe sehr, dass diese Konferenz an diesem Wochenende für uns alle zu diesem Ziel beitragen wird. Ich danke Ihnen.

* Alan MacLeod ist leitender Redakteur und Podcast-Produzent für «MintPressNews». «Meistens twittere ich über US- und lateinamerikanische Politik, aber meine Leidenschaft ist es, mich über die Medienkonzerne zu beschweren.»

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

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