Sexualerziehung für Babys und Kleinkinder?

von Marita Brune-Koch

(9. Januar 2025) Kindergärten bieten Räume für Kinder an, in denen diese ungestört masturbieren können. Solche Meldungen gehen immer wieder durch die Presse. Die Kindergärten haben sich solche Methoden der Frühsexualisierung nicht selbst ausgedacht. Sie fussen vielmehr auf dem Leitfaden der WHO «Standards zur gesundheitlichen Aufklärung in Europa». Danach sollen Eltern und Lehrer ermutigt werden, mit Kindern «von Geburt an» Sexualität zu erforschen.

Bereits Kleinkinder sollen über den «Genuss» der Masturbation belehrt und ermutigt werden, um ihre «Geschlechtsidentität zu erkunden». Es wird postuliert, dass Kinder von Geburt an sexuelle Gefühle und Bedürfnisse haben und dass es Aufgabe der Erwachsenen sei, die Kinder zu lehren, diese zu erkennen und auszuleben. Doch wie ist diese Frage wissenschaftlich zu sehen?

Dr. phil. Markus Hoffmann nahm dazu in einem Interview im «Kontrafunk» Stellung. Er ist Entwicklungspsychologe und seit 30 Jahren in Beratung, Therapie und Pädagogik rund um Sexualität tätig.1

«Empirisch belegt und seit Jahren wissenschaftlich erforscht ist dagegen,
dass das Kind Bindung braucht und nicht Lusterfahrung.»
(Bild KEYSTONE/WESTEND61/IRINA HESS)

«Das ist überhaupt kein wissenschaftlicher Konsens», erklärt Dr. Hoffmann in Bezug auf die Behauptung, es brauche Sexualaufklärung bereits für Babys und Kleinkinder. Empirisch belegt und seit Jahren wissenschaftlich erforscht sei dagegen, dass das Kind Bindung braucht und nicht Lusterfahrung. Er bestreitet nicht, dass auch bei Kindern sexuelle Regungen beobachtbar sind. Das Entscheidende aber sei, dass vor allem Kinder, «die unsicher gebunden sind, die ängstlich sind, die eher in Kinderheimen aufwachsen, sehr frühe Trennungen von den Eltern erlebt haben, eher zu Selbststimulierungen neigen, als Kinder, die sicher gebunden sind, die solche Selbststimulationen bis hin zur Masturbation eben nicht zeigen.»

Seiner Meinung nach schreiben die WHO-Standards Sexualität in das Kind hinein, «die so in dieser Weise überhaupt nicht da ist.» Sehr genau und ausführlich erklärt er, wie das Kind darauf reagiert, wenn die Bindung zu Mutter oder Vater unsicher wird, wie Mutter oder Vater das Kind bei Angst vor Bindungsverlustst feinfühlig beruhigen, wie sie ihm aber auch eine Brücke schlagen, vorübergehende Abwesenheiten zu ertragen. Diese Prozesse, so Hoffmann, sind entscheidend für die Identitätsentwicklung des Menschen.

Es gäbe sehr viele Untersuchungen, die zeigen, dass emotional sicher gebundene Kinder gute und vielfältige Wege der Selbstberuhigung entwickeln. Kinder aber, «die keine Beruhigung erfahren, die Regulation [mit Hilfe von Mutter oder Vater, Red.] nicht bekommen, die neigen eher zu Selbststimulation. Das kann essen sein, das kann aber auch eine Stimulation des eigenen Körpers sein, das heisst eben auch, sexuelle Handlungen. Wobei wir bei Kindern, und das zeigen sehr viele Untersuchungen, eigentlich ganz selten eine vollständige Masturbation sehen. Sie merken dann zwar, dass gerade dieser Genitalbereich in irgendeiner Weise durch Reibung etc. Lust macht, aber sie führen das eigentlich nicht aus, weil sie eigentlich gar kein Verständnis einer eigenen körperlichen Sexualität haben. Und deshalb finden wir das hauptsächlich bei Kindern, also vollständiges Masturbationsverhalten, die tatsächlich sehr stark traumatisiert sind, oder die sehr starke Bindungsverluste erlebt haben.»

Hoffmann schildert, dass Kindergärtnerinnen, die wegen masturbierender Kinder um Rat fragen, meist die Antwort bekommen, für das Kind einen Raum einzurichten, wo es das ungestört tun könne. Wenn er als Psychologe stattdessen nachfragt, wann dieses Verhalten aufgetreten sei, erfährt er oft von gravierenden Störungen in der Familie, zum Beispiel, dass das Verhalten aufgetreten sei, als der Vater die Familie verlassen habe.

Hoffmann betont, dass es wichtig ist, «dass man den Hintergrund beachtet und nachfragt». Ein Bindungsverlust drohe, sich zu chronifizieren, wenn man die Selbstberuhigung in Form von Masturbation stärke, anstatt auf eine Beziehungsregulation hinzuarbeiten.

Langzeituntersuchungen würden belegen, dass sich aufgrund falscher Reaktion auf Bindungsstörungen «irgendwann in 10, 12, 13 Jahren sehr strukturgestörte Kinder» entwickeln, das heisst Kinder, die in ihrer Emotionsregulierung nicht gefestigt sind, die nicht mit Frustrationen umgehen können, denen dann auch häufig der Beruf nicht gelingt, oder die dann so perfektionistisch sind, dass sie irgendwann in einem Burnout zusammenbrechen.

«Das sind Kinder, die mit 14, 15 Jahren schon die ersten Drogenprobleme zeigen, oder eben auch Frühsexualität mit hohem Risiko eingehen, auch einer hohen Gesundheitsgefährdung, oder eben dann eine Teenagerschwangerschaft mitbringen. Wir wissen aus Langzeituntersuchungen, dass bindungsschwache Kinder und Kinder, bei denen schon ganz früh masturbatorisches Verhalten auftaucht, dass da auch Probleme auftauchen.»

Was wäre angebrachte Sexualpädagogik bis zur Pubertät?

Hoffmann erklärt zu dieser Frage, dass man weiss, wofür sich Kinder im Bereich der Sexualität interessieren. «Es kommt natürlich zu Erektionen und es kommt natürlich zu diesen Lustgefühlen auch in den Genitalien, das ist etwas völlig Normales, das Kind entdeckt auch seinen Körper, will wissen, wie der eigene Körper funktioniert. Das gehöre auch in die Aufklärung im Kindergarten und in der Grundschule.» Die WHO-Forderung, wonach Kinder mit spätestens 6 Jahren über Liebesbeziehungen aufgeklärt werden müssten, lehnt er ab.

Er hält dagegen: «Das Kind erotisiert andere nicht, beziehungsweise besetzt auch andere nicht sexuell, glaubt auch nicht, dass andere ein sexuelles Denken haben; sondern ein Kind interessiert sich beispielsweise dafür, woher komme ich, wie geht eine Geburt, wie bin ich denn eigentlich entstanden, wie bin ich aufgewachsen im Mutterleib? Kinder interessieren sich für die allgemeine Form der Liebe. Mit 8, 9 Jahren kommt mal so ein Verständnis auf, dass Same, Eizelle, Papa, Mama, Liebe eine Familie ergeben und die Voraussetzungen von Zeugung sind. Vorher denken Kinder über den ganzen Bereich der Sexualität überhaupt nicht komplex nach, sondern finden das maximal kurios.

Das heisst Aufklärung über den Körper, ein Begleiten von sexuellen Erscheinungen, die es eben gibt, ein Transparentmachen: Was ist da eigentlich der Hintergrund, ein wirkliches Helfen in der Entwicklung des Kindes und ein gesundes Wissen über das Woher-komme-ich und Wohin-gehe-ich, was ist das Leben und wie entsteht es – das wäre eigentlich genug für das Kind, mehr braucht es eigentlich nicht. Alles andere überfordert das Kind, weil es auch das Vorstellungsvermögen des Kindes überfordert.»

Pushing-Organisationen

Vorstellungen von Sexualpädagogik, wie die WHO sie fordert, würden hauptsächlich in Kindergärten umgesetzt, weniger im Primarschulbereich. Spezielle ausserschulische Organisationen tragen diese Themen in die Kindergärten, er nennt für Deutschland beispielhaft Pro Familia und das Dortmunder Institut für Sexualpädagogik. In der Schweiz drängen Organisationen wie die Schwulen-Organisation Pink-Cross, oder das Transgender-Netzwerk Switzerland in Kindergärten und Schulen.

«Warum tut die WHO das überhaupt?»

Diese Frage stellt «Kontrafunk» dem Experten. Seine Antwort ist aufschlussreich: Hinter diesen Forderungen und Vorstellungen stehe eine Absolutsetzung des Lustprinzips. «Ich möchte es sehr vorsichtig sagen, es hat doch die Spur eines Kulturkampfes. So kann man zum Beispiel bei Sven Lewandowsky, das ist einer der Soziologen, die in diesem Bereich WHO-Standards, wenn man so sagen möchte, herumschwirren, die sagen: ‹Für uns war es sehr wichtig, das Lustprinzip absolut zu setzen, weil wir uns dadurch sozusagen abgrenzen konnten von einer restriktiven, Masturbation verbietenden kirchlichen, christlichen Sexualmoral.›

Das heisst, hier geht’s tatsächlich um dieses Lustprinzip als einziges Prinzip der Sexualität. Das heisst, wenn ich jetzt im Moment eine Lust habe, die ich mit irgendjemandem verwirklichen möchte, dann soll das auch passieren können, das ist mein Menschenrecht, da geht’s dann um die Stichworte von sexual citizenship usw., das ist tatsächlich auch ein Kulturkampf, der da im Hintergrund abgeht. Von daher kann man schon sagen, hier soll ein neues Verständnis von Sexualität in den Menschen rein transportiert werden.»

Und die Folgen? «Wenn Sie Kinder – wir haben hier in unserer Sexualberatung Fälle –, wenn Kinder ganz früh die Sexualität auf den Stecknadelkopf von Masturbation und Autosexualität verhandeln, dann kann sich ein grösseres Bild von einer geordneten Sexualität in einer Familie, in einer Ehe, in einer Treue, in einer Aushandlung mit einem lebenslangen Partner kaum noch entwickeln, weil diese Formen der Autosexualität, wozu die Masturbation gehört, letztlich diese Form der Ausreifung so stark partialisieren, dass im Menschen eine Art von Skript entsteht, eine Art von Sexualprogramm, das höhere Reifestufen durchaus auch aus-
schliessen kann.

Das heisst, man kann durchaus psychologisch begründen, hier soll ein neuer Mensch geschaffen werden, der völlig anders sexuell tickt, und vor allem, der fortpflanzungsentbunden sexuell ist, und der auch unabhängig von Geschlecht und Liebe Sexualität betreiben kann.»

Die Frage stellt sich uns: Wollen wir einen solchen neuen Menschen? Wollen wir, dass unsere Kinder dazu erzogen werden? Wenn wir dies verneinen, müssen wir verhindern, dass in unseren öffentlichen pädagogischen Einrichtungen solche Konzepte umgesetzt werden.

1 Dr. phil. Markus Hoffmann im Interview mit dem Sender «Kontrafunk», «Lehrerzimmer», 5. Dezember 2024.
Alle hier wiedergegebenen Zitate sind diesem Interview entnommen.

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