Kommentar

«Qualitätsmedien» im Sumpf der Kriegspropaganda

Darja Dugina†, 29jährige Politologin und Journalistin.
(Bild www.anti-spiegel.ru)

Wie aus liberalen Flaggschiffen schrottreife Munitionsfrachter werden

von Thomas Scherr

(5. September 2022) Man musste sich daran gewöhnen, dass viele renommierte Zeitungen – auch als «Leitmedien» bezeichnet – zunehmend abbauen. Neben ihren serbelnden Auflagezahlen und der Zunahme von Tittytainment oder elfenbeinturmartigen, versnobten Feuilletons sind sie entsetzlich angepasst geworden. Noch gelingt es ihnen, Diskussionsschwerpunkt in der «veröffentlichen» Debatte zu setzen. Auf einer begrenzten Spielwiese mimen sie dort «investigativen Journalismus» oder «Debattenkultur». Es wird um Nebensächlichkeiten gestritten.

Dies alles geschieht, während Europa direkt in den atomaren Abgrund geführt wird. Die Situation in der Ukraine spitzt sich zunehmend zu. Der Colt wird locker getragen. Dringend notwendig wäre eine vielfältige und kontroverse Diskussion, um Auswege aus dem Krieg zu finden. Das auffällige Versagen der Medien lässt sich in dieser Hinsicht kaum verbergen.

2013 untersuchte Uwe Krüger die transatlantische «Mainstream»-Verbindung. Kernaussage: Wie an einer Leine werden die Chefredaktionen der «Leitmedien» aus den USA geführt.1 Illustriert hat diesen Mechanismus der leider viel zu früh verstorbene Journalist der «Frankfurter Allgemeine Zeitung» Udo Ulfkotte an seinem eigenen Beispiel.2 Dafür wurde er abgestraft, genauso wie Milosz Matuschek von der «Neuen Zürcher Zeitung» oder viele andere, die eine unsichtbare «rote Linie» überschritten haben.3

Man weiss es inzwischen: Es wird nicht informiert, sondern indoktriniert. Wer sich nicht aktiv über Nachrichtenportale ausserhalb Europas und Nordamerikas informiert – auch in russischen Medien –, wird Opfer des systematischen Nato-Spins der britischen East StratCom Task Force.4 Soll das die vielgepriesene Medienvielfalt und der Meinungspluralismus des «freien Westens» – die Grundlage unserer Demokratie – gewesen sein?

Wie tief sich renommierte Zeitung im totalitären Wortspiel verfangen können, war an der Berichterstattung zum Mordanschlag auf den russischen Philosophen Alexander Dugin zu sehen.

War es bis anhin Usus, Terroranschläge als solche zu verurteilen oder zumindest differenziert darüber zu berichten, so brachten es einige Flaggschiffe aus der Pressewelt zu Titeln wie: «‹Kriegspropagandistin› Dugina stirbt bei Anschlag» oder «Darja Dugina: Tochter von russischem Nationalisten stirbt bei mutmasslichem Mordanschlag» oder zu der vielsagenden Schlagzeile: «Kriegstreiberin bei Attentat getötet». In den anschliessenden Artikeln wurde darüber spekuliert, wie es dazu kam, dass nicht Alexander Dugin zum Opfer des Anschlags wurde, sondern seine Tochter, eine 29-jährige Journalistin und Politologin.

Die Artikel selbst kamen mit wenig Fakten aus und waren wie gewohnt mit wabernden Hintergrund«informationen» zur Person Alexander Dugins und seinen Verbindungen zur russischen Regierung angereichert. Doch unabhängig davon, wer Alexander Dugin eigentlich ist oder seine Tochter Darja Dugina war,5 beschleicht den Leser ein ungutes Gefühl.

War da nicht etwas?

Es war Mord. Ein feiger Mord.

Wie wäre die Reaktion wohl ausgefallen, wenn beispielsweise der kriegstreibende Bernard-Henri Lévy oder der kriegsbefürwortende Wolfgang Ischinger von einer Autobombe zerfetzt worden wäre oder deren Kinder? Hätte der Titel auch «Kriegstreiber bei Attentat getötet» gelautet? Wohl kaum.

Wer solche Titel setzt, verrät viel über die eigenen Einstellungen und das Berufsverständnis. Wie weit ist es bis zum nächsten Schritt? Wie weit ist man noch von einem billigen Propagandablatt entfernt?

Niemand darf sich darüber hinwegtäuschen: Es ist Krieg und genauso ist es um die Presse bestellt.6

1 Uwe Krüger. Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen. München 2016 und ders. Meinungsmacht. In: Reihe des Instituts für Praktische Journalismus- und Kommunikationsforschung (IPJ) Band 9. 2013.

2 Milo Matuschek. Der Journalismus schafft sich ab. In: «Weltwoche» Nr. 32 vom 11.8.2022

3 Udo Ulfkotte. Gekaufte Journalisten. Wie Politiker, Geheimdienste und Hochfinanz Deutschlands Massenmedien lenken. 2014, ISBN 978-3-86445-143-0

4 https://de.wikipedia.org/wiki/East_StratCom_Task_Force, update 25.8.2022

5 Zur ausgeweiteten Informationsbeschaffung über die «westlichen» Medien hinaus, sei auf den in St. Petersburg ansässigen Journalisten Thomas Röper verwiesen, der persönlich mit Darja Dugina bekannt war:
https://www.anti-spiegel.ru/2022/von-soros-und-kiew-unterstuetzte-gruppe-steht-hinter-dem-mord-an-darja-dugina/?doing_wp_cron=1661530357.6737780570983886718750 vom 22.8.2022

6 Vgl. dazu auch:
Hannes Hofbauer. Zensur. Publikationsverbote im Spiegel der Geschichte. Vom kirchlichen Index zur YouTube-Löschung. Promedia, Wien, 2022, ISBN 978-3-85371-497-3
Die Mainstream-Medien sind Teil des Propagandakrieges. In: «Zeit-Fragen» Nr. 16 vom 26.7.2022
Christian Müller. Was ist mit den Schweizer Medien los? https://www.infosperber.ch/medien/medienkritik/was-ist-mit-diesen-schweizer-medien-los, 14. Februar 2022
Thomas Scherr. Medien auf «Kriegskurs». Schweizer Massenmedien als transatlantischer Missionsriemen?
https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-international/medien-auf-kriegskurs.html, 13. März 2022
Jens Wernike (Hrsg.). Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung. 2017. ISBN 978-3-86489-188-5 und
Ullrich Mies (Hg.) Megamanipulation. Ideologische Konditionierung in der Fassadendemokratie. 2020. ISBN 978-3-86489-285-1

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