«Macht braucht Kontrolle»

Parteienforscher Hans Herbert von Arnim zieht Bilanz – und warum es in der Schweiz besser läuft

von Robert Seidel

(2. Januar 2025) Die vierteljährlichen Abstimmungen sind für Schweizerinnen und Schweizer selbstverständlich, sie gehören zum Alltag. Dabei sind sie nicht nur inhaltlich wichtig, sondern auch ein äusserst wertvolles Korrektiv gegen politische Alleingänge, Filz und Grössenwahn.

Der deutsche Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim hat über Jahrzehnte die Probleme im deutschen Parteienstaat untersucht – und dies mit Gewinn auch für den Schweizer Leser.

ISBN 978-3-453-20031-9

Von Arnim verfolgt seit den 1980er Jahren aktiv, wie sich die Parteien den deutschen Staat zur Beute gemacht haben. Immer wieder legte er seine Finger in die klaffenden Wunden, nun hat er Bilanz gezogen. – Es gibt kaum jemand, der mehr Expertise aufweisen kann als der mutige Professor aus Speyer. Im August hat er nun ein weiteres Buch veröffentlicht: «Macht braucht Kontrolle. Warum wir unsere Demokratie neu denken müssen. Erfahrungen mit 75 Jahren Parteienstaat – Ansichten eines streitbaren Demokraten».

Die Politikerinnen und Politiker aller Couleur im deutschen Bundestag und in den Länderparlamenten sind sich einig: wenn einer ihre geradezu schamlose Selbstbedienungsmentalität oder ihre versteckten Geldströme aufdeckt, dann reden sie kaum mit ihm und erst recht nicht in der Öffentlichkeit. In dieser Frage ist man sich von links bis rechts einig. Klar ist auch, dass sich die steuerfinanzierten öffentlich-rechtlichen Medienanstalten dieser politischen Vorgabe anschliessen müssen, sind sie doch mit dem Politikbetrieb verfilzt.

Bürgerinteressen versus Parteikarriere

In der neuen Veröffentlichung mit dem vielsagenden Titel «Macht braucht Kontrolle» zeichnet von Arnim anhand seiner eigenen wirkungsmächtigen Lebensgeschichte die Probleme der bundesrepublikanischen Volksvertretungen nach: Ämterpatronage, überdimensionierte Parteienfinanzierung, «Blitzgesetze», undemokratische Wahlverfahren, Verhinderung von direkt demokratischen Entscheidungsmöglichkeiten, Besetzung von Kontrollorganen, Umgehung demokratischer Verfahren via EU usw. Dass von Arnim diese Probleme anspricht, ist sehr unangenehm für alle Parteikarrieristen, und doch erklärt sich damit zum Teil die zunehmende Politikverdrossenheit in der deutschen Bevölkerung und der zunehmende Erfolg neuer Parteien wie AfD oder BSW.

Von Arnim zeichnet eine «Classe politique» nach, von der sich viele kaum um ihre ursprüngliche Aufgabe kümmern, nämlich sich für die Bürgerinteressen einzusetzen. Stattdessen sind sie hautsächlich mit der eigenen Karriereplanung beschäftigt oder arbeiten als Lobbyisten. Dem Leser des Buches fallen die aktuellen Absetzbewegungen in der rot-grünen Regierung ein.

Claudia Roth, die noch schnell für den Steuerzahler teure Beförderungen von Parteifreunden durchsetzt, andere die sich noch in gut dotierte Posten in staatlichen oder halbstaatlichen Institutionen setzen lassen … Ja, auch Minister wie A. Bärbock, Ch. Lindner oder S. Schulze müssen nach dem Januar 2025 neue Posten suchen, gar nicht zu denken, an die vielen Bundestagsabgeordneten der rot-grün-gelben Koalition, die ihre Mandate bei den nächsten Wahlen mit grosser Sicherheit verlieren werden. – Doch von Arnim konzentriert sich in seiner neuen Veröffentlichung auf die Wege und Mechanismen der Machtausübung und -verteilung durch die Parteien über die vergangenen Jahrzehnte hinweg.

Nach seinen jahrzehntelangen Recherchen und Arbeiten zur Repräsentation bzw. Umsetzung des Bürgerwillens in Parlamenten und Regierungen auf Bundes- und Landesebene kommt er immer mehr zum Schluss, dass der ungebremst sich ausbreitende Machtwille der «Volksvertreter» gesetzlich begrenzt oder durch direktdemokratische Elemente eingedämmt beziehungsweise korrigiert werden muss.

Interessant, machen sich doch fast alle Parteien immer wieder vor anstehenden Wahlen stark für mehr Bürgerbeteiligung. Nach den Wahlen schwindet der Wille schnell wieder. Da liegt der Gedanke nicht fern, dass Berufspolitiker alles tun, um die Einschränkung der eigenen Macht zu vermeiden. Das krasseste Beispiel für eine 180°-Wendung (keine 360°-Wendung!) ist diejenige der Mehrheit der Grünen-Politiker. Hervorgegangen aus basisdemokratischen Strukturen in den 1980er Jahren ist die Partei zu einer Kaderpartei verkommen. Heute übertreffen sich die Vertreter der Grünen in einer obrigkeitsstaatlich-autoritären Vorgehensweise. Bürgerrechte, Mit- und Selbstbestimmung, das gilt nur solange es in ihre Ideologie passt, alles was ausserhalb liegt, wird «delegitimiert».

Auch die Sozial- und Christdemokraten bringen es bisher kaum über müde Bekenntnisse zur Bürgerbeteiligung hinaus. Kaum an der Macht, kommt ihr Wille dazu zum Erliegen. Wie sich die AfD und das BSW in dieser Frage entwickeln, bleibt abzuwarten.

Einstehen für das Gemeinwohl

Hoch anzurechnen ist von Arnim sein Einstehen für die Demokratie. Er bleibt dabei, dass Parteien wesentlich zur politischen Willensbildung der Bevölkerung beitragen. Aber, und das ist sein Einwand, ihre Machtfülle muss wieder eingeschränkt werden. Sein grosser Verdienst ist es dabei, auf verschiedene konstruktive Möglichkeiten hinzuweisen, wie der deutsche Parlamentarismus zu retten ist, eben auch mit direkt-demokratischen Elementen.

Von Arnim leistet mit seiner unermüdlichen Kritik an den Auswüchsen des Parteienstaats, an der Verfilzung von Politik und staatlichen Ämtern in Verwaltung und Justiz und seiner Kritik an den Wahlverfahren einen grossen Beitrag zur Verbesserung. Mit seiner Kritik legt er auch das Verständnis, um konstruktive Veränderungen herbeizuführen. Wegweisend sind unter anderen seine juristischen Klagen bis hin zum Bundesverfassungsgericht zur Politikerversorgung, den Diäten (1975), zur Parteienfinanzierung (1992) oder zur 5%-Klausel bei Europawahlen (2011). Getragen wird von Arnims bürgerliches Engagement von einer starken Gemeinwohlorientierung, wie man sie sich von allen politisch Verantwortlichen nur wünschen kann.

Abschliessend sei bemerkt, dass das Buch von Hans-Herbert von Arnim nicht nur staatstheoretisch überaus interessant ist, sondern auch historisch – sein Wirken umspannt mehr als vierzig Jahre bundesrepublikanische Geschichte. Und, es ist auch ein sehr biografisches Buch, das dem Leser die Persönlichkeit eines mutigen Menschen in seinem Werden und Leben nahebringt. Aufrechte Persönlichkeiten, wie man sie jedem Land nur wünschen kann.

Die Möglichkeit der Schweizerinnen und Schweizer über Sachfragen mitzuentscheiden, über Budgets abzustimmen, Richter zu wählen, Rechnungsprüfer zu wählen, Referenden und Volksinitiativen zu lancieren – dies alles sind Merkmale einer Demokratie, in der die Bevölkerung kontrollieren und mitentscheiden kann. Dies darf keinesfalls durch eine «Anbindung» an die Europäische Union zerstört werden. Im Gegenteil, weitreichende Entscheide des Bundesrates gehören einem Volksentscheid unterstellt.

Hans-Herbert von Arnim. Macht braucht Kontrolle. Warum wir unsere Demokratie neu denken müssen. Erfahrungen mit 75 Jahren Parteienstaat – Ansichten eines streitbaren Demokraten. Wilhelm Heyne Verlag, München 2024.
ISBN 978-3-453-20031-9.

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