Leistungseinbrüche bei Grundschülern

Studie in Deutschland zeigt gravierende Kompetenzrückgänge

von Marita Brune-Koch

(9. August 2022) Der Anteil der Kinder, die die von der Kultusministerkonferenz1 festgelegten Bildungsstandards verfehlen, ist sprunghaft angestiegen. Dies hat das «Institut für Qualitätsentwicklung» in einer Studie nachgewiesen.2

«Im Vergleich zum Jahr 2016 entsprechen die Kompetenzrückgänge [am Ende des vierten Schuljahres, d. Verf.] etwa einem Drittel des Schuljahres im Lesen, einem halben Schuljahr im Zuhören sowie jeweils einem Viertel eines Schuljahres in der Orthografie und im Fach Mathematik.» Dies sind Durchschnittswerte aller Schüler. Kinder aus sozial benachteiligten Familien und solche mit Migrationshintergrund sind noch deutlich stärker zurückgefallen.

Bei den Ergebnissen ist zu berücksichtigen, dass der Leistungsabfall innerhalb der letzten Jahre noch viel grösser ist, denn bereits 2016 wurden signifikante Lernrückstände gemessen.3 Das zeigt, dass die Bildungsmisere nicht allein eine Folge des Lockdowns in der Coronakrise sein kann, wenn sie auch durch diese verstärkt wurde.

«Didaktik der Verwahrlosung»

Die Defizite in grundlegenden Fähigkeiten und Kenntnissen nehmen die Kinder mit in die weiterführenden Schulen. Der Philologenverband – der Verband der Gymnasiallehrkräfte – sowie der Realschullehrerverband4 schlagen denn auch Alarm. Der Philologenverband Rheinland-Pfalz sieht die Ursache dieser Misere in einer «schädlichen Didaktik». Die Grundschuldidaktik sei fast schon eine «Didaktik der Verwahrlosung».5

Konkret: «Fehler werden nur noch ansatzweise korrigiert und setzen sich daher in den Köpfen der Kinder fest, von der Lehrkraft angeleitete gemeinsame Erarbeitungsphasen geisselt diese Didaktik als lehrerzentriert, und automatisiertes Üben beim Rechnen – davon will man gar nichts mehr wissen.

Ein solcher Ansatz führt uns schon seit Jahren an den Abgrund, aber während der Pandemie und der Phasen des Fernunterrichts war dieser Ansatz erst recht zum Scheitern verurteilt.»

«Beenden Sie diesen Wahnsinn»

Die Forderung des Philologenverbandes an die Bildungspolitiker fällt klar und konsequent aus: «Beenden Sie diesen Wahnsinn! Sorgen Sie dafür, dass eine schädliche Didaktik schnellstmöglich revidiert und Kindern das Leid des endgültigen Scheiterns erspart wird!

Konsequentes Rechtschreiben und das Verbessern von Fehlern, das Erlernen einer echten Schreibschrift, mehr Ruhe und Konzentration im Unterricht, Mathematikbücher, die nicht fünf verschiedene Rechenwege aufzeigen, sondern zunächst ein sinnvolles Rechenverfahren üben, und zwar nicht an drei kleinen Miniaufgaben, sondern so lange, bis das Verfahren sicher und sorgfältig ausgeführt werden kann – damit wäre schon viel geholfen, und zwar völlig kostenneutral. Man muss sich nur von den ideologischen Scheuklappen mancher Didaktiker befreien.»

Professor Susanne Lin-Klitzing vom Deutschen Philologenverband hält es für unabdingbar, «dass neben den schriftlichen Verfahren der Addition, Subtraktion und Multiplikation auch das schriftliche Verfahren der Division eingeführt wird.»6

Weder Chancengleichheit noch Chancengerechtigkeit

Die Studie zeigt weiter, dass insbesondere die Leistungen von Kindern aus bildungsferneren Familien sowie aus solchen mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich abgefallen sind. Das heisst, die Schere zwischen Kindern aus «bildungsnahen» und aus «bildungsfernen» Familien öffnet sich immer weiter.

Das Ziel der Chancengleichheit, das noch in den siebziger Jahren angestrebt wurde, wird immer mehr verfehlt, wenn nicht sogar gänzlich aufgegeben. Schulerfolg ist wohl zunehmend abhängig davon, ob Eltern in der Lage sind und die Zeit haben, den Schulstoff zu Hause mit ihren Kindern zu erarbeiten und zu üben oder ob sie finanziell in der Lage sind, teuren Unterricht neben der Schule zu bezahlen, in dem dann der eigentliche Stoff erst erarbeitet wird.

Von dem einstmals selbstverständlichen Ziel, dass die Schule im Wesentlichen verantwortlich dafür ist, den Schülern den Stoff zu vermitteln und sie im Lernen zu fördern, ist man offensichtlich weitgehend abgerückt.

Und in der Schweiz?

Die Schweiz hat diese «schädliche Grundschuldidaktik» eins zu eins übernommen. Seit Jahren werden hier die gleichen Methoden angewandt, die Lehrer und Lehrerinnen werden entsprechend ausgebildet. Im «Lehrplan 21» wurde diese Didaktik schliesslich festgeschrieben und für alle verbindlich gemacht. Es gab dazu eine Volksabstimmung. Die Initianten wiesen im Abstimmungskampf auf genau diese Folgen hin, die jetzt durch die Studie in Deutschland sichtbar wurden.

Damals konnte sich wohl die Mehrheit der Bürger nicht vorstellen, dass die Schule derart auf den Kopf gestellt würde, dass den Schülern der Stoff nicht mehr systematisch vermittelt würde. Der «Lehrplan 21» wurde angenommen.

Nun sehen erfahrene Praktiker auch hierzulande schon lange und immer deutlicher, dass die Lernleistungen zurückgehen, dass die Fähigkeit zum Zuhören und sich mit einem Stoff auseinanderzusetzen abnimmt, dass nicht mehr systematisch geübt wird und deshalb Lesefähigkeit – insbesondere sinnentnehmendes Lesen –, orthografisch richtiges Schreiben, Mathematikgrundlagen nicht vermittelt und das kleine Einmaleins sowie schriftliche Rechenverfahren nicht mehr beherrscht werden.

Wann wird es hier ein Aufwachen und eine Umkehr geben?

1 Gremium der Kultusminister aller deutschen Bundesländer. In Deutschland liegt die Hoheit für die Bildung bei den Ländern. In der Kultusministerkonferenz treffen die Zuständigen der Länder bundesweite Absprachen.

2 Studie des IQB-Bildungstrends 2021, www.iqb.hu-berlin.de/bt/BT2021

3 IQB Bildungstrend 2021 - Deutscher Philologenverband e. V. (dphv.de)

4 Die deutsche Realschule entspricht in etwa der schweizerischen Sekundarschule

5 Cornelia Schwartz, Landesvorsitzende, und Jochen Ring, Pressereferent des Philologenverbandes Rheinland Pfalz,
www.philologenverband.de/diverses/texte/news/zu-den-ergebnissen-des-iqb-bildungstrends-2021-der-grundschulen-philologenverband-rheinland-pfalz

6 IQB Bildungstrend 2021 - Deutscher Philologenverband e. V. (dphv.de)

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