Guten Morgen in der «Schönen Neuen Welt»

Als Garanten für die Demokratie versagen die Medien

von Thomas Scherr*

(29. März 2024) Wir leben in einer Blase. Einer medialen Blase. In einer medialen Blase des «Wertewestens». Inzwischen erfahren wir fast nichts mehr von der Welt um uns herum. Eventuell stimmt noch der Wetterbericht. Aber selbst dort erwarten uns «Extremwetter», «Hitzewellen» und «… der heisseste Winter/Frühling/Sommer/Herbst seit 1970 / 1950 / 1900 oder seit Messbeginn …». Temperaturangaben, Pollenmeldung und Angaben über die Windrichtung stimmen ungefähr. Das war’s. Dieser Zustand ist umso bitterer, als wir angesichts einer zugespitzten Weltlage gut informiert sein müssen.

Ladislaus Ludescher von der Goethe-Universität Frankfurt hat es sich zur Aufgabe gemacht zu vergleichen, wie sich die Kriege und Hungersnöte weltweit in unseren täglichen Nachrichten abbilden. Dazu untersuchte er die weitverbreitetsten deutschsprachigen Nachrichtenportale wie die Schweizer «Tagesschau», die ARD-«Tagesschau» oder das österreichische «ZIB 1». Eine umfassende seriöse Berichterstattung über die Probleme unserer Welt? … Nun ja, Sie werden es erraten. Die Nachrichten über die Oscar-Preisverleihungen sind beispielsweise umfangreicher als die über den Krieg im Jemen, der seit 9 Jahren andauert, über 377 000 Menschenleben gekostet hat und 2017 die grösste bisher aufgezeichnete Cholera-Epidemie nach sich zog.

Menschliches Leid fällt unter den Tisch

Ludescher hält fest: «Berichtet wird anscheinend erst, wenn Menschen oder Interessen des Globalen Nordens in irgendeiner Form betroffen sind. Es ist erschreckend, an einem konkreten und ganz realen Beispiel festzustellen, dass humanitäre Katastrophen und menschliches Leid ganz offensichtlich alleine nicht ausreichen, um in den Nachrichten wahrgenommen zu werden, wenn die betroffenen Gebiete im Globalen Süden liegen. Wie sonst ist das mediale Desinteresse am ‹tödlichsten Krieg des 21. Jahrhunderts› und der ‹schlimmsten humanitären Krise weltweit› zu erklären?»1 Was auf der südlichen Halbkugel passiert, fällt fast völlig unter den Tisch. Es ist jedoch kein Problem von Angebot und Nachfrage auf dem Nachrichtenmarkt.

«Stille Post»

Gehen wir einen Schritt weiter. Was schliesslich an «Informationen» auch aus der nördlichen Halbkugel ausgewählt wird, ist inzwischen so marginal und verdreht, dass von der Realität kaum noch etwas durchschimmert. Die wenigen Nachrichtenagenturen, die es noch gibt, nehmen Meldungen nur so entgegen, wie sie in ihr Portfolio passen. Die «Qualitätsmedien» wiederum wählen dann daraus nur noch Meldungen aus, denen sie noch den letzten Schliff, sprich «Spin» verpassen. Kurz zusammengefasst: Das, was wir am Ende der «Stillen Post» von der Welt ausserhalb unseres Sichtkreises mitbekommen, hat in der Regel kaum mehr etwas mit dem zu tun, was in der Welt tatsächlich passiert.

Doch wie soll man nun erfahren, was in der Welt passiert, wenn unseren «Qualitätsmedien» –, harmlos ausgedrückt –, ständig filtern und verdrehen? Inzwischen halten nicht nur Medienexperten diese «Filterungen» –, man könnte auch brutal von «Lenkung der Massen» sprechen – für bedenklich.

Wer ist «böse» und wer ist «gut»?

Wer «böse» oder «gut» ist, und wie man genau über dieses oder jenes zu denken hat, dies insinuieren unsere grossen Medienhäuser. Beobachten Sie bitte an bestimmten «Qualitätsmedien», wie zum Beispiel ihren steuerfinanzierten Medien:

– Welche Auswahl an Meldungen treffen Sie an? Was findet den Weg in Radio, TV, Zeitung oder Smartphone?

– Wer oder was wird dabei wie dargestellt? Wer ist «unsympathisch», wer ist «sympathisch»?

– Welche Meinungen, Gefühle oder Einstellungen werden neben der Hauptbotschaft zusätzlich transportiert (konnotiert)?

Die schwierigste Frage bleibt,

– welche Nachrichten sind nicht erschienen? (Diese Frage kann man nur verfolgen, wenn man Nachrichten ausserhalb der Mainstream-Blase zur Kenntnis nehmen kann. Das ist in vielen EU-Staaten inzwischen eingeschränkt. Doch, Achtung, auch ausserhalb der «Wertewesten-Blase» wird nicht umfassend berichtet).

Die Zensur ist wieder da

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat ein radikaler Umbruch in der Berichterstattung stattgefunden. Heute werden in der EU und der Nato mit Unterstützung von Geheimdiensten oder «den Regierungen nahestehenden Vereinen» unpassende, d.h. nicht genehme Meinungen «bekämpft», dabei wird auch mit eigenen Beiträgen aktiv in den Bereich der Meinungsbildung eingegriffen.2

Rückblick: Anlässlich der kritischen Berichterstattung einiger alternativer Medien3 2014 zum Maidan-Umsturz sah sich die EU genötigt, aktiv in den Medienbereich einzugreifen. Wolfgang Bittner schrieb 2016 dazu:

«Auch der Europäische Auswärtige Dienst [EAD] ist sich nicht zu schade für die Verbreitung von Fake News in grossem Stil, wenn es um Russland geht. 2016 wurde eine Spezialeinheit mit dem Namen East StratCom Task Force (Strategisches Kommunikationsteam Ost) gebildet, die sich um eine ‹grossflächig organisierte Propaganda› russischer Behörden in den Ländern der EU kümmern soll. Experten der EU-Kommission sind sicher, dass Moskau das Ziel verfolge, die Europäische Union zu destabilisieren, und mit gezielter Desinformation und Verunsicherung eine ‹hybride Kriegsführung› betreibe4

«Institute for Statecraft‘s Integrity»

So verwundert es nicht, dass «Cyber-Einheiten» staatlicher Geheimdienste die Zensurbemühungen der Regierungen unterstützen. Die Journalistin Whitney Webb beschrieb im Zusammenhang mit einer PR-Kampagne zu Impfkampagnen, wie verschiedene geheimdienstliche Einrichtungen, z.B. das britische «Institute for Statecraft‘s Integrity» oder dem CIA angegliederte Einrichtungen im Internet zum Einsatz kamen.5 Dass der «Wertewesten» seine rechtstaatlichen Grundsätze verlassen hat, zeigt die jahrelange widerrechtliche Inhaftierung des Journalisten Julian Assange. Er hatte Dokumente über die Kriegsverbrechen der USA in Irak und Afghanistan veröffentlicht.

Inzwischen stellen einzelne EU bzw. Nato-Staaten abweichende Ansichten direkt unter Strafandrohung. Man denke an den neuen EU-«Digital Services Act» (DSA); das geplante deutsche «Demokratiefördergesetz»; das französische Verbot, an einer Impfung auf mRNA-Basis Kritik zu äussern oder den kanadischen Gesetzesvorstoss, Gefängnisstrafen bei abweichender Meinung zu verhängen.6 – Sorry, das nennt man nicht mehr Demokratie. Das ist totalitär.

Und die Schweiz?

Auch die vier grossen Medienhäuser der Schweiz bedienen sich aus dem einheitlichen «Nachrichtenpool» und folgen damit automatisch dem «Meinungsteppich» von EU und Nato. Die Chefredaktionen gefallen aber auch darin, kräftig in den Brüsseler und Washingtoner Chor einzustimmen.

1940 wehrten sich Bundesrat und Presse mutig gegen «Ratschläge» aus dem Deutschen Reich. So hiess es damals: «Die Schweiz bräuchte keine Befürchtungen zu hegen, vorausgesetzt, dass ihre Presse keine weiteren Unvorsichtigkeiten begehe. Auch die kleinen Blätter müssten Disziplin zeigen, weil alles in Deutschland gelesen werde».7 Leider sind heute die grossen Schweizer Medienhäuser meilenweit davon entfernt, den Kopf auch nur ein μ aus der Blase des Wertewestens herauszustrecken. Für eine etwas ausgewogenere Berichterstattung sorgen inzwischen viele kleine unabhängige Nachrichtenportale im Land.

Keine Freiheit ohne Pressefreiheit

Eines der Kennzeichen und ein Merkmal freier Gesellschaften und demokratischer Staaten allgemein ist die Meinungsäusserungsfreiheit und eng mit ihr verknüpft die Pressefreiheit. Sie bleiben für jede Demokratie eine existenzielle Grundlage, da ohne sie kein freier Willensbildungsprozess möglich ist. Aber genau diese Grundvoraussetzungen werden heute aktiv bekämpft, wie die neuen EU-Richtlinien zeigen.8

Halten wir fest: In den vergangenen 250 Jahren erkämpften sich die Bürgerinnen und Bürger in Europa und den Vereinigten Staaten unter Blut und Tränen die Menschen- und Freiheitsrechte. Die Rede- und Meinungsäusserungsfreiheit und die damit verknüpfte Pressefreiheit bilden das Fundament einer jeden Demokratie, weil sie zur freien Meinungsbildung notwendig sind. Wer sich daran vergreift, ist entweder der Meinung, es besser zu wissen oder er hat sinistere Pläne.

Fallen wir in Zeiten eines atomaren Overkills nicht in einen Absolutismus zurück, in welchem eingebildete Potentaten meinen zu wissen, was gut fürs Volk sei!

* Thomas Scherr arbeitet als unabhängiger Autor für den «Schweizer Standpunkt».

1 https://de.ejo-online.eu/qualitaet-ethik/wann-wird-ein-krieg-nachrichtenrelevant, abgerufen 11. Februar 2024

2 Jonas Tögel. Kognitive Kriegsführung. Neuste Manipulationstechniken als Waffengattung der Nato. Westend Verlag 2023
Hannes Hofbauer. Zensur. Publikationsverbote im Spiegel der Geschichte. Vom kirchlichen Index zur YouTube-Löschung. Promedia 2022
Stefan Kraft / Hannes Hofbauer (Hg.). Kriegsfolgen. Wie der Kampf um die Ukraine die Welt verändert. Promedia 2023

3 Ulrich Heyden. https://www.nachdenkseiten.de/?p=71261, 5. April 2021

4 Vgl. Wolfgang Bittner. «Die Eroberung Europas durch die USA», S. 168f., sowie derselbe in Göttinger Tageblatt vom 24. Februar 2016, S. 2
Vgl. auch Marcus Klöckner. https://www.heise.de/tp/features/Unabhaengige-Medien-und-Medienvertreter-im-Dienste-des-Strategischen-Kommunikationsteams-Ost-3376363.html, 30. Oktober 2015

5 Withney Webb. https://www.rubikon.news/artikel/propagandakrieg-fur-big-pharma, 24. November 2020

6 https://apollo-news.net/70-000-euro-und-lebenslange-haft-trudeau-will-drakonische-strafen-fuer-online-hass-durchsetzen/, 28. Februar 2024

7 Edgar Bonjour. Geschichte der Schweizer Neutralität. Band V. S. 242. Basel 1971. Der deutsche Botschafter Ernst von Weizäcker 1940 an die Schweiz im «Neuen Europa».

8 https://apollo-news.net/beschwerdeverfahren-bussgelder-netzabschaltungen-bruessels-digitales-zensurgesetz-tritt-in-kraft/, 20. Februar 2024
Manfred Kölsch. Kritik am Digital Services Act – Die Meinungsfreiheit stirbt hinter schönen Fassaden. https://www.cicero.de/comment/403057, 16. Februar 2024

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