Friedensnobelpreis 2024

Der Wille von Alfred Nobel als rechtliche Verpflichtung

Krieg muss abgeschafft werden

von Dr. med. Sabine Vuilleumier-Koch,* Schweiz

(27. September 2024) Am 11. Oktober wird das «Norwegian Nobel Committee» bekannt geben, welcher Person, Organisation oder Institution für das Jahr 2024 der renommierte Friedensnobelpreis verliehen wird. Nach einem achtmonatigen Prozess der eingehenden Überprüfung aller Nominierten legt sich das Komitee auf einen Preisträger fest. Seit der ersten Verleihung des Friedensnobelpreises im Jahr 1901 war es immer wieder umstritten, ob dem Willen von Alfred Nobel (1833–1896) mit der getroffenen Wahl wirklich entsprochen wurde.

Oslo, 10. Dezember 2017. ICAN, vertreten durch Setsuko Thurlow
und Beatrice Fihn, erhält die Medaille und das Diplom des Friedens-
nobelpreises. (© The Nobel Foundation 2017. Bild Ken Opprann)

Umfassende Kritik

Für seine Kritik bekannt geworden ist der norwegische Rechtsanwalt und Friedensaktivist Fredrik S. Heffermehl, der am 21. Dezember 2023 im 86. Lebensjahr in seinem Haus in der Nähe von Oslo verstorben ist. Er war ein führendes Mitglied der norwegischen Friedensbewegung, der Internationalen Juristenvereinigung gegen Atomwaffen (IALANA) und Vizepräsident des Internationalen Friedensbüros von 1985–2000. Seine Arbeit war geprägt von einem unerschütterlichen Engagement für Frieden und Abrüstung.1 Als Jurist hatte er das Testament von Alfred Nobel eingehend geprüft und in den Archiven des Nobelkomitees danach geforscht, wer für den Nobelpreis vorgeschlagen, aber nicht gewählt worden war. Aufgrund der fünfzigjährigen Geheimhaltungspflicht konnte er dies nur für den Zeitraum von 1901 bis in die frühen 1970er Jahre tun. In seinem letzten Buch, 2020 in norwegisch publiziert und 2023 auch in englisch erschienen, beschreibt er ausführlich, dass er die besten Friedensideen und Menschen in diesen Archiven fand.

«Der wahre Friedensnobelpreis. Eine vertane Chance zur Abschaffung des Krieges»

Das Buch von Fredrik S. Heffermehl wird auf einer eigenen Homepage wie folgt vorgestellt:2

«In seinem neuen Buch ‹Der wahre Friedensnobelpreis› erklärt der Autor und Rechtsanwalt Fredrik S. Heffermehl, wie Alfred Nobel über 50 Jahre vor der ersten Atombombe erkannte, was kommen würde, und einen Preis stiftete, um die Menschheit von der Geissel des Krieges zu befreien. Anstatt Feinde zu kultivieren, müssen wir Zusammenarbeit, Einigkeit, gemeinsame und weltweit geltende Gesetze kultivieren – es gibt keinen anderen Weg zur Sicherheit als die Abschaffung der militärischen Bedrohung für uns alle.

Fast alle von uns haben den tiefen Wunsch, dass der Unsinn des Krieges aufhören muss. Das wird nicht von selbst geschehen, sondern nur, wenn wir uns zusammenraufen, über alle Grenzen und Überzeugungen hinweg. Die Geschichte lehrt uns, dass keine noch so tödliche Technologie uns jemals vor neuen Kriegen bewahren wird, Kampfflugzeuge, Überschallraketen, Atombomben bewirken genau das Gegenteil. Wie können wir das Ruder herumreissen?

In dem Buch wertet Heffermehl die Arbeit des norwegischen Preiskomitees aus und zeigt, wie es seiner Hauptaufgabe, den hohen Zweck des Alfred-Nobel-Preises zu verdeutlichen und zu fördern, nie nachgekommen ist. Nur etwa 32% aller verliehenen Preise entsprechen dem Hauptzweck des Nobelpreises: einer Entmilitarisierung der internationalen Beziehungen. Das Buch bietet auch eine noch nie dagewesene Evaluation, wer die Preise von 1901 bis 2022 hätte erhalten sollen. Diese Studie, die den Hauptteil des Buches ausmacht, ist eine einzigartige Auflistung der Kräfte, Menschen und Ideen, die das Ruder herumreissen und eine neue, entmilitarisierte Weltordnung schaffen wollten.

Oslo, Februar 2024. Das Nobel Friedenszentrum. (Bild jpv)

Das Ergebnis ist eine ganz andere Perspektive auf die Geschichte, eine Analyse, die ein Panorama von Menschen und Ideen offenbart, die von den gesellschaftlichen Kräften unterdrückt wurden, für die Frieden schlecht fürs Geschäft wäre und die daher alle Nationen, uns alle, in einem stetig wachsenden, hochriskanten System gefangen halten. Da die Nationen offenbar nicht in der Lage sind, aus ihren dysfunktionalen Mustern auszubrechen, müssen Initiativen zum Aufbau einer neuen, kooperativen Weltordnung von anderer Seite kommen. Der Autor verweist auf Organisationen der Zivilgesellschaft, Städte, Gewerkschaften – und den Friedensnobelpreis. In seinem neuen Buch […] unterstreicht Heffermehl, dass das norwegische Nobelkomitee rechtlich verpflichtet ist, sich in den Dienst der Nobel-Idee zu stellen, und dass es die Aufgabe des norwegischen Parlaments ist, ein Komitee zu wählen, das sich in den Dienst der visionären Idee Alfred Nobels stellt, wie der Weltfrieden gesichert werden kann.»

EU hat den Preis zu Unrecht erhalten

Das 2005 eröffnete Nobel Peace Center in Oslo3 bietet einen Überblick über die bisherigen Preisträger und ihr Wirken. Die von einem genau definierten Kreis von Personen nominierten Kandidaten durchlaufen einen Prozess von Bewertungen und Prüfungen durch die ständigen Berater des Nobelkomitees sowie anderer norwegischer oder internationaler Experten. Es ist unschwer, sich die damit verbundene Möglichkeit der politischen Einflussnahme Interessierter vorzustellen. Gegen die Verleihung des Friedenspreises an die EU protestierten 2012 drei Nobelpreisträger. Die Wahl der EU verfehle den Zweck in mindestens zwei Punkten: «1. Die EU ist nicht bestrebt, Nobels entmilitarisierte globale Friedensordnung zu verwirklichen. 2. Die EU und die Mitgliedstaaten billigen stillschweigend militärische Gewalt und führen Kriege, statt auf der Notwendigkeit einer alternativen Vorgehensweise zu bestehen.»4 — Ein Protest, den man heute doppelt unterstreichen kann.

An seiner letzten Sitzung trifft das Komitee seine endgültige Entscheidung. Ob die Entscheidung des diesjährigen, vom norwegischen Parlament, dem Storting, gewählten fünfköpfigen Komitees unter der Leitung des bisher jüngsten Präsidenten, dem 39-jährigen Politologen Jørgen Watne Frydnes, dem testamentarischen Willen von Alfred Nobel entspricht, werden wir am 11. Oktober überprüfen können.

Das letzte Fünftel der Zinsen von Nobel’s Vermögen sollte gemäss seinem Testament von 1895 jedes Jahr an den «Friedensverfechter» oder die «Friedensverfechterin» gehen, die «am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verringerung der stehenden Heere sowie das Abhalten und die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt» habe. Der Wille von Alfred Nobel ist rechtlich verpflichtend.

Atomwaffen abschaffen – Friedensnobelpreis von 2017

Der Friedensnobelpreis wird jeweils am 10. Dezember, dem Todestag von Alfred Nobel, im Rahmen einer Feier in Anwesenheit der norwegischen Königsfamilie in der City Hall in Oslo übergeben.

2017 waren die Reden von Beatrice Fihn, Direktorin von ICAN (International Campaign for the Abolition of Nuclear Weapons) und Setsuko Thurlow anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises an ihre Organisation sehr berührend.5 «Der Vertrag über das Verbot von Nuklearwaffen bietet einen Weg nach vorn in einer Zeit der grossen globalen Krise. Er ist ein Licht in einer dunklen Zeit. Und mehr als das, er bietet eine Wahl. Eine Wahl zwischen den beiden Enden: dem Ende der Atomwaffen oder dem Ende von uns.»

Angesichts der «Verrücktheit» der heutigen geopolitischen Lage ist ein entschiedenes Eintreten für den Frieden dringend notwendig.

* Dr. med. Sabine Vuilleumier ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH und Mitarbeiterin des «Schweizer Standpunkt».

1 https://swiss-standpoint.ch/news-detailansicht-de-gesellchaft/fredrik-heffermehl-kaempfer-fuer-die-ethik-des-friedennobelpreis.html

2 Fredrik S. Heffermehl, The Real Nobel Peace Prize. A Squandered Opportunity to Abolish War, https://realnobelpeace.org/the-book/

3 https://www.nobelpeacecenter.org/deutsche

4 Zeit-Fragen Nr. 51, 3. Dezember 2012

5 https://www.nobelprize.org/prizes/peace/2017/ican/lecture/

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