Der Krieg der EU gegen die Landwirte

«Europäische Landwirtschaft: Wohin jetzt?»

von Thomas Fazi*

(3. Mai 2024) Die «grüne» Politik ist lediglich der neueste Deckmantel für die Verfolgung eines bestimmten Agrar- und Ernährungsmodells: ein zunehmend zentralisiertes, konzentriertes, globalisiertes Modell, das sich um einige wenige Megafarmen dreht.

Gestern [9. April] habe ich an einer grossartigen Veranstaltung teilgenommen, die von «MCC Brüssel» zum Thema «Europäische Landwirtschaft: Wohin jetzt?» organisiert wurde. Hier ist der Text meiner Rede:

Thomas Fazi. (Bild
https://unherd.com)

Ich beginne mit der guten Nachricht. In mancher Hinsicht ist es klar, dass die Proteste der Landwirte einen sehr bedeutenden Einfluss auf die Politikgestaltung hatten, da die Landwirte mehrere Zugeständnisse von den Regierungen und den europäischen Institutionen erhalten haben: Am offensichtlichsten ist, dass das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur vorerst blockiert wurde, dass die spezifischen Reduzierungen der landwirtschaftlichen Emissionen aus dem EU-Klimazielplan 2040 gestrichen wurden und dass das Gesetz über Pestizide zurückgezogen wurde. Dies sind wichtige Zugeständnisse – und sie erinnern daran, dass selbst in der heutigen Zeit, in der Demokratie weitgehend zu einem hohlen Wort geworden ist und in der man oft den Eindruck gewinnen kann, dass es für einfache Menschen und Arbeitnehmer nahezu unmöglich ist, tatsächlich etwas zu bewirken, dies immer noch möglich ist, denn es gilt die uralte Regel: Wir sind viele und sie sind wenige. Die Landwirte sollten also dafür gelobt werden, dass sie uns an die Macht des Volkes und des kollektiven Handelns erinnern.

Allerdings müssen wir auch ehrlich sein: Meiner Meinung nach können diese Zugeständnisse die Probleme der Landwirte – und wenn ich Landwirte sage, meine ich kleine und mittlere Betriebe – zwar vorübergehend lindern, aber in Wirklichkeit ist es unwahrscheinlich, dass diese Zugeständnisse für sich genommen die langfristigen säkularen Trends in der europäischen Landwirtschaft umkehren.

Und der Haupttrend ist der jahrzehntelange Angriff der EU auf Europas kleinbäuerliches Modell zugunsten grosser Agrar- und Lebensmittelkonglomerate, der zu einem massiven Verlust von zumeist kleinen landwirtschaftlichen Betrieben in ganz Europa geführt hat: Allein in den letzten zehn Jahren sind EU-weit rund drei Millionen Betriebe (etwa ein Viertel aller bestehenden Betriebe) verloren gegangen – das sind etwa 800 Betriebe, die pro Tag schliessen –, was zu einer zunehmenden Konzentration und Konsolidierung von Agrarland in Europa geführt hat.

Es ist wichtig anzuerkennen, dass dies gewollt ist: So sehr Regierungen und EU-Technokraten auch vorgeben mögen, sich um die Notlage der Kleinbauern zu kümmern, so ist die Realität doch, dass die gesamte EU-Agrarpolitik (die sich nicht nur auf die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), sondern auch auf die EU-Handelsstrategie und andere Sektoren erstreckt) seit langem gegen Kleinbauern und Erzeuger gerichtet ist – und zwar ganz bewusst.

«Die Bauern in vielen Ländern der EU haben uns mit ihren Aktionen an
die Macht des Volkes und des kollektiven Handelns erinnert.» (Bild zvg)

Wir müssen verstehen, wie diese Leute, die Brüsseler Bürokraten, denken: Für sie dreht sich alles um Effizienz, Produktivität, Output, Ertrag pro Einheit – und letztlich um Kosten. Das ist der klassische neoliberale Ansatz in der Wirtschaft. Wie in anderen Sektoren, zum Beispiel in der verarbeitenden Industrie, sind aus dieser Sicht die grossen, hyperindustrialisierten Betriebe gegenüber den kleinen und mittleren Betrieben klar im Vorteil: Sie sind in der Regel kapitalintensiver, stärker automatisiert, produktiver, usw. Und wie in anderen Sektoren bringt dies gewisse Vorteile, aber auch Kosten mit sich, die im Falle der Landwirtschaft noch dadurch verschärft werden, dass es sich hier nicht um ein Produkt wie jedes andere handelt, sondern um Lebensmittel, den Baustein des Lebens, der nicht mit Schuhen oder Autos gleichgesetzt werden kann, so wichtig diese Dinge auch sind.

Aber genau so gehen sie schon seit geraumer Zeit mit Lebensmitteln um. Ich glaube wirklich, dass ihr ideales Landwirtschaftsmodell eines ist, bei dem einige wenige grosse Konzerne alles kontrollieren und besitzen (was zum Beispiel in Nordamerika der Fall ist): Aus ihrer engstirnigen, kleinkarierten, neoliberalen, bürokratischen Perspektive wäre das das effizienteste Modell. Für sie ist es nur hinderlich, wenn die Produktion auf Millionen von Kleinproduzenten verteilt wird. Es ist ihnen egal, dass dies die Lebensgrundlage von Millionen europäischer Landwirte zerstören wird – ja sogar zerstört –, es ist ihnen egal, dass dies das Leben auf dem Lande zerstört, es ist ihnen egal, dass dies bedeutet, dass man sich auf einen zunehmend standardisierten und unternehmerischen Ansatz bei der Erzeugung von Lebensmitteln zubewegt. Es ist ihnen sogar egal, dass sie damit kleine und mittlere Betriebe zerstören, die in der Regel einen nachhaltigeren Ansatz in der Landwirtschaft verfolgen.

Und das ist eines der grössten Paradoxa des EU-Konzepts für die Landwirtschaft: Bei allem Gerede der EU über Umwelt und Nachhaltigkeit hat sie in Wirklichkeit immer wieder genau die kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betriebe aus dem Geschäft gedrängt, die in der Regel einen kleineren ökologischen Fussabdruck haben und nachhaltigere Anbaumethoden anwenden als die grossen Agrar- und Lebensmittelkonzerne.

Dies gilt selbst für Massnahmen, die angeblich ausdrücklich auf den Umwelt- und Klimaschutz ausgerichtet sind, wie etwa das Carbon Farming, das Thema eines kürzlich von mir verfassten Berichts ist. Die Idee ist, dass die Landwirte nach und nach immer grössere Teile ihres Landes von der Nahrungsmittelerzeugung auf die «Bewirtschaftung» bzw. Bindung von Kohlenstoff umstellen, indem sie ihr Land in so genannte «Kohlenstoffsenken» verwandeln. Wenn man die finanziellen und technisch-administrativen Belastungen bedenkt, die dies für Kleinbauern mit sich bringen wird, ist es offensichtlich, dass dies den laufenden Prozess der Flurbereinigung in Europa dramatisch beschleunigen wird, zum Vorteil der grossen Agrar- und Lebensmittelunternehmen, die auch dazu neigen, pro Hektar mehr Treibhausgase auszustossen als kleine Betriebe.

Im Allgemeinen bin ich immer sehr vorsichtig, wenn es darum geht, das Gerede von der Nachhaltigkeit für bare Münze zu nehmen, denn diese «grünen» Politiken haben nicht nur eine ganze Reihe unbeabsichtigter (oder in einigen Fällen beabsichtigter) negativer Folgen für die Einkommen der Landwirte, die Produktion usw., sondern sie sind oft auch völlig selbstzerstörerisch in Bezug auf ihre eigenen «grünen» Bedingungen. Es ist also wichtig, die Scheinheiligkeit vieler dieser Massnahmen zu betonen.

Besonders deutlich wird dies in einem anderen Bereich der EU-Politik, dem Handel, wo wir sehen können, wie der Ansatz der EU in der Landwirtschaft nicht nur für die Landwirte problematisch ist, die aus dem Markt gedrängt werden, sondern auch zunehmend zu einer potenziellen Bedrohung für die Ernährungssicherheit wird. Derzeit ist die EU bei Lebensmitteln relativ autark, und das ist ein Erbe des Nachkriegsansatzes für die Landwirtschaft, der dann in die Gemeinsame Agrarpolitik einfloss, die sehr stark auf die Erreichung der Ernährungssouveränität in Europa ausgerichtet war. Damals drehte sich alles um die Produktion, denn man war sich der Bedeutung von Lebensmitteln bewusst und vertrat die Auffassung, dass die Gewährleistung von Lebensmitteln und Ernährungssicherheit zu den grundlegenden Pflichten von Regierungen und Institutionen gehört.

In den letzten Jahren ist dieses Bewusstsein jedoch verloren gegangen. Heute halten wir die Ernährungssicherheit für selbstverständlich, aber das wäre ein Fehler, denn der derzeitige Ansatz in der Landwirtschaft wirft ernsthafte Fragen der Ernährungssicherheit auf, die in die Zukunft gerichtet sind. Ein Teil des Problems ist ideologisch bedingt, nämlich die zunehmende «grüne» Voreingenommenheit gegenüber der landwirtschaftlichen Produktion, die so weit geht, dass die landwirtschaftliche Produktion in vielen Kreisen als Tabu behandelt wird – und als etwas, das reduziert werden muss (durch Massnahmen wie die Kohlenstoffwirtschaft).

«Für die Landwirtschaft muss die gesamte Struktur des neolibaralen,
zentralisierten und globalisierten Ansatzes der EU in Frage gestellt
werden.» (Bild zvg)

Aber es hat auch mit dem zu tun, was ich bereits erwähnt habe: die Behandlung von Lebensmitteln als eine Ware wie jede andere. Das Modell, das die EU vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten gefördert hat – in denen die EU mit 45 Freihandelsabkommen mit 77 Ländern das grösste Freihandelsregime der Welt entwickelt hat –, fördert die Einfuhr von geringwertigen Grundnahrungsmitteln, zu denen Dinge gehören, die wir hier nicht anbauen können (und das ist sinnvoll), aber auch Dinge, die wir hier anbauen können – Obst und Gemüse und Nüsse usw. – oder die wir hier in viel grösseren Mengen anbauen könnten, wie Soja für Tierfutter und andere pflanzliche Proteine, während wir hauptsächlich hochwertige Lebensmittel exportieren: Getränke, Weine, Spirituosen, Milchprodukte, verarbeitete Lebensmittel usw.

Aus einer neoliberalen Wirtschaftsperspektive ist dies sinnvoll, weil man Werte aus anderen Ländern nach Europa transferiert. Aber es bedeutet auch, dass Sie den Druck auf die lokalen Erzeuger von Grundnahrungsmitteln erhöhen (die viel strengere Sozial- und Umweltvorschriften einhalten müssen als ausländische Erzeuger), was wiederum den grossen Agrar- und Lebensmittelunternehmen zugutekommt, die oft Grundnahrungsmittel importieren, um sie dann zu verarbeiten und wieder zu exportieren. Und auch dies ist nicht nur ein Problem für die europäischen Landwirte, sondern potenziell für uns alle, denn wie wir in den letzten Jahren erfahren haben, sind diese weit verzweigten Lieferketten allen möglichen Bedrohungen ausgesetzt, von geopolitischen Spannungen über Krieg bis hin zu Pandemien. Und so fördert die EU paradoxerweise in einer Zeit, in der wegen der Risiken in den Lieferketten viel über die Verlagerung des verarbeitenden Gewerbes ins Ausland gesprochen wird, durch neue Handelsabkommen wie Mercosur weiterhin eine wachsende Abhängigkeit von Einfuhren von Grundnahrungsmitteln.

Und dann ist da natürlich noch die völlige Heuchelei, den Druck auf die europäischen Landwirte ständig zu erhöhen, damit sie sich an immer strengere Umweltvorschriften halten, während man das gleiche Produkt vom anderen Ende der Welt importiert, natürlich mit enormen Auswirkungen auf die Emissionen, aus Ländern mit viel niedrigeren sozialen und ökologischen Standards. Es macht absolut keinen Sinn, es sei denn, man zieht die Möglichkeit in Betracht, dass «grüne» Politik einfach nur der neueste Deckmantel ist, um ein bestimmtes Modell der Agrar- und Ernährungswirtschaft zu verfolgen: ein zunehmend zentralisiertes, konzentriertes, globalisiertes Modell, das sich um einige wenige Megafarmen dreht.

Und ich denke, dass dies letztlich ihr Ziel ist. Wenn die Landwirte wirklich erfolgreich sein wollen, reicht es nicht aus, die jüngste Welle pseudo-grüner Politik in Frage zu stellen. Sie müssen die gesamte Struktur des neoliberalen, zentralisierten und globalisierten Ansatzes der EU für die Landwirtschaft in Frage stellen. Abschliessend möchte ich die Landwirte für ihre bisherigen Erfolge loben, aber ich fordere sie auf, ihre Analysen und Forderungen noch viel radikaler zu formulieren als bisher. Ich danke Ihnen.

* Thomas Fazi ist Kolumnist bei UnHerd, Buchautor und Übersetzer. Seine Artikel erscheinen in zahlreichen online und gedruckten Medien. Er lebt meistens in Rom, Italien.

Quelle: https://www.thomasfazi.com/p/the-eus-war-on-farmers, 10. April 2024

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

Zurück