Der Fall «Paul du Rove»: Ein Kampf um die Meinungs-Freiheit
Warum «Telegram» unter Druck kommt
von Isabel Villalon*
(6. September 2024) Pavel Durov, verhaftet in Paris, ist eingebürgerter Franzose. Sein «Telegram» entwickelte sich von Dubai aus zum störenden Faktor für Emmanuel Macron. Am Pariser Flugplatz für Private Jets Le Bourget wird der russisch-französische-emiratische Staatsbürger Pavel Durov von der französischen Staatsanwaltschaft für die «Wahrung der Interessen Minderjähriger» (OFIM) verhaftet.
Durov, der in einem aussergewöhnlichen Express-Verfahren im August 2021 die französische Staatsbürgerschaft erhielt, ohne jemals in Frankreich Wohnsitz zu haben (und als von den Behörden ernst genommenen Aprilscherz seinen Namen auf Paul du Rove frankophonisierte), wurde vorerst vom Westen hofiert. Schliesslich hatte er nicht nur Russland verlassen, sondern dem Regime des Präsidenten Putin bildlich den Stinkfinger gezeigt. Als Gründer der russischen Messaging-Plattform VKontakte (VK) weigerte er sich gegenüber den russischen Behörden, die Daten der Nutzergruppen der ukrainischen Euro-Maidan Aktivisten preiszugeben. Ein weiterer russischer Freiheitsheld im Exil?
Seinen Anteil an VK versilberte Durov mit dem Verkauf an einen dem Kremlin nahestehenden Oligarchen im Jahr 2013 für 300 Millionen US-Dollar. Putin erhielt somit die Kontrolle über die wichtigste Messaging-Plattform in Russland. Mit dem Geld baute Pavel Durov zusammen mit seinem Bruder die weltweit bekannte Messaging-Plattform Telegram auf, die im selben Jahr lanciert wurde.
Telegram wuchs in den von Zensur und Manipulation geprägten Covid-19-Jahren auf unglaubliche 900 Millionen Nutzer weltweit, als freiheitliche Alternative zu grossen US-Plattformen. (Mein persönliches Profil wurde in dieser Zeit zweimal vollständig seitens der Betreiber von Twitter unwiderruflich gelöscht.)
Der frisch umgetaufte Monsieur du Rove wurde von den verschiedenen französischen Geheimdiensten zu mehreren Gesprächen eingeladen, um die berühmte «Hintertüre» für deren Spionage- und Überwachungstätigkeiten auf der Plattform einrichten zu können. Sprich, Identität, geografischer Aufenthaltsort und Daten der Nutzer insgeheim freizugeben. Paul du Rove hielt jedoch nichts davon und verhielt sich wie damals sein alter Ego Pavel Durov in Russland, blitzgescheit, aalglatt und pickelhart. La Liberté über alles.
Als Hauptsitz von Telegram wurde Dubai gewählt, fernab der europäischen Bestrebungen und neuen Gesetzen, welche die Betreiber von Messaging-Plattformen zwingen, die Inhalte der von den Nutzern veröffentlichten Nachrichten gesetzeskonform zu moderieren, also zu zensieren. In der Folge entwickelte sich Telegram immer mehr zu einem immens störenden Faktor für die Regierung Macron, innenpolitisch und auch für das atlantische Bündnis im grösseren geostrategischen Rahmen.
Die Teilnehmer der grossen Proteste in Frankreich benutzten Telegram, um sich zu koordinieren und die Strassenblockaden zu errichten, die das Land lähmten. Präsident Macron rief mehrmals die Nationalversammlung auf, die sozialen Netzwerke und Plattformen im Internet zu kappen, um die Proteste zu unterbinden.
Doch auch Frankreichs Aussenpolitik wurde von Telegram gefährdet. Die Machtposition im Sahel-Gebiet Afrikas (Mali, Niger, Tschad), dem grössten Uranfördergebiet Frankreichs, wurde durch Aufständische lokale Generäle sowie russische Söldner der Wagner-Truppen stark untergraben. De facto ist das Sahel-Gebiet momentan für Frankreich militärisch und wirtschaftlich verloren. Sowohl die aufständischen Putschisten-Warlords wie das Afrika-Korps der russischen Wagner-Söldner benutzen Telegram als Kommunikationsmittel.
Im Ukraine-Konflikt scheint die Sache etwas anders gelagert zu sein, sowohl die russischen Militärs als auch ihre ukrainischen Gegner benutzen denselben Dienst, obwohl die Ukrainer auf Geheiss von oben nun die Plattform Signal verwenden sollen.
Der Gipfel der Telegram-Freiheiten war dann mit dem israelisch-iranischen Cyber-Konflikt erreicht. Den Iranern gelang neulich eine grossangelegte Hacker-Aktion. Tausende Dokumente des israelischen Innenministeriums, der Militärverwaltung und des Gesundheitsministeriums mit hochsensiblen Daten wurden von den Iranern abgesaugt und auf Telegram scheibchenweise publik gemacht. Die israelische Regierung intervenierte ohne Erfolg beim Betreiber von Telegram.
Jetzt ist die Falle zugeschnappt. Frankreichs Staatsanwaltschaft beschuldigt Durov der Mittäterschaft in Sachen Terrorismus, Pädophilie, Geldwäsche, Drogenhandel sowie des verbotenen Gebrauchs von für den Staat nicht einsehbaren Technologien. Es droht eine Höchststrafe von zwanzig Jahren.
Sowohl der neue Besitzer von Twitter, der US-südafrikanische Tech-Mogul Elon Musk, als auch der Gründer und Betreiber der Plattform Rumble, Chris Pavlovski, haben sich vehement verbal für Pavel Durov eingesetzt. Die französischen Richter haben jedoch ein Hafterstreckungsgesuch auf 96 Stunden gutgeheissen, was auf ein langwieriges Verfahren hindeutet.
In einem Akt von scheinbarer Selbstlosigkeit veröffentlicht in der Zwischenzeit der Besitzer der Meta-Gruppe (Facebook, WhatsApp etc.), Mark Zuckerberg, einen Brief an das US-Parlament. Zuckerberg bereut, dass man sich seitens der Regierung Biden-Harris damals während der Covid-Pandemie unter Druck setzen lassen und Covid-spezifische Themen auf den Plattformen unterbunden habe. Ebenso Nachrichten zum Fund eines mit kompromittierenden Inhalten gespickten Laptops des Sohnes des US-Präsidenten Biden.
Dies entspricht einem Dolchstoss sondergleichen gegenüber der aktuellen amerikanischen Regierung und ebnet den Weg für eine Trump-Präsidentschaft im Wahlkampf. Es zeigt jedoch auch, bis zu welchem Grad soziale Netzwerke und Plattformen mittlerweile von der politischen Macht unterwandert und unter Zwang gestellt werden.
Twitter, Telegram, Rumble, Signal, Facebook, Whatsapp und wie sie alle heissen sind unser Ersatz für eine nicht mehr existierende unabhängige vierte Gewalt. Eine vierte Gewalt, die traditionellerweise in demokratischen Staatsformen die politischen und wirtschaftlichen Eliten im Dienste des Bürgers kontrollieren und im Zaum halten sollte. Doch die Digitalisierung der Presse, das Online-Geschäft der grossen Zeitungen, wurde schliesslich deren Untergang.
Immer weniger Leser möchten für Nachrichten bezahlen, die anfänglich gratis ins Netz gestellt wurden, mit der Hoffnung auf Werbeeinnahmen. Das Modell ging nicht auf, da die Suchmaschinen-Konzerne nun den grössten Teil der Werbeeinnahmen einsacken. Dies zwingt herkömmliche Verlage schlussendlich entweder in die Hände von Oligarchen oder in die Arme subventionsfreudiger Regierungen, die dann den Nachrichtenfluss zu ihrem Nutzen kontrollieren, manipulieren oder gänzlich unterbinden. Kleine, unabhängige Medien wie das hier führen oft einen ungleichen Kampf als David gegen Goliath.
Eine Phalanx an willigen Medienanwälten steht bereit, sich für den nächstbesten Goliath ins Zeug zu werfen und horrende Schadenersatzforderungen zu stellen. Schadenersatzforderungen für den kleinsten publizierten Mückenschiss, der ein solches Medium innert kürzester Zeit in den Konkurs schicken würde.
Deshalb, wir Leser und Autoren müssen lernen (ich zuerst), zukünftig zwischen Zeilen zu lesen und auch zwischen Zeilen zu schreiben, in unsichtbarer mentaler Tinte. Willkommen im neuen Zeitalter.
* Isabel Villalon ist eine Ingenieurin mit Spezialgebiet Energie, die das Zeitgeschehen observiert. |
Quelle: https://insideparadeplatz.ch/2024/08/28/der-fall-paul-du-rove-fight-um-meinungs-hoheit/