Vor 80 Jahren in Japan
Atombombenabwurf auf Nagasaki
von Marlen Simeon,* Schweiz
(18. Juli 2025) (CH-S) Vor 80 Jahren, am 6. und 9. August 1945, wurden über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki amerikanische Atombomben abgeworfen. Das Grauen packt jeden Menschen, wenn er sich mit den Folgen dieser Taten auseinandersetzt – das Leiden ist unfassbar. Unfassbar auch, dass heute der Einsatz von Atombomben erneut in Betracht gezogen wird.
Die Autorin dieses Artikels hat die Erinnerungsstätten in Nagasaki besucht und einen aufrüttelnden Bericht verfasst, den sie dem «Schweizer Standpunkt» zur Verfügung gestellt hat. Ihr Anliegen reiht sich ein in den Kampf für die Abschaffung von Nuklearwaffen durch ICAN (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons) und die starke Bewegung überlebender Atombombenopfer «Nihon Hidankyo», die 2017 bzw. 2024 in Oslo den Friedensnobelpreis erhalten haben – ganz im Sinne von Alfred Nobel.
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Am 9. August 1945 fliegt Charles Sweeney, Mayor der amerikanischen Luftstreitkräfte, mit dem Befehl, die Atombombe über Kokura (ein wichtiger Standort der japanischen Rüstungsindustrie an der Nordküste Kyushus) abzuwerfen. Schlechte Sichtverhältnisse zwingen ihn dazu, Nagasaki anzufliegen, das zweitwichtigste Ziel. Hier befindet sich die Mitsubishi-Waffenfabrik. Um 11:02 Uhr explodiert «Fat Man» (der Name der Plutoniumbombe) in 500 Meter Höhe. Bei der Explosion setzt sie eine Energie frei, die 21 Kilotonnen hoch explosivem Sprengstoff entsprechen. Der Atompilz erhebt sich 18 Kilometer in die Atmosphäre.
Wegen starker Bewölkung verfehlt die Bombe das Ziel und trifft das christliche Viertel Urakami mit seiner Kathedrale. Im Umkreis von einem Kilometer werden 80 Prozent aller Gebäude – zumeist Holzhäuser – zerstört. Die Bombe setzt über eine Entfernung von vier Kilometern Objekte in Brand. 73 884 Menschen sterben, 74 909 werden verletzt (Schätzung bis Ende Dezember 1945).
Die Menschen, die dem Tod gerade noch entkommen sind, erleiden schwere psychische und physische Schäden.
Die Folgen der nuklearen Strahlung brachten eine Reihe gesundheitlicher Probleme wie Krebs, Anämie, Grüner Star, Keloiden (eine Art Bindegewebswucherung), genetische Krankheiten und Missbildungen mit sich. Zahlreiche Atombombenopfer leiden auch heute noch.

nach zehn Tagen starb, weil es keine Kraft mehr hatte zu trinken.
Rechts: Tote Mutter und Kind auf dem Bahnsteig der Station Urakami.
(Bild zvg)
Atombombenmuseum Nagasaki
Das Atombombenmuseum Nagasaki wurde als Gedenkstätte zur Erinnerung an die Atombombenzerstörung der Stadt Nagasaki im April 1996 eröffnet. Die Sammlung zeigt Materialien über die Explosion und erschütternde Fotos. Ferner werden die Sachverhalte, die dazu geführt haben, die Atombombe abzuwerfen, die Geschichte der Entwicklung von Kernwaffen sowie die Bemühungen nach Frieden veranschaulicht.
Takashi Nagai
Takashi Nagai befand sich bei der Atombombenexplosion in der Nagasaki Universitätsklinik, an der er Assistenzprofessor war. Obwohl er selbst schwer verletzt war, setzte er sich sofort für die Rettung von Opfern und für die Erforschung der Leiden infolge der Atombombe aufopfernd ein. Seine Frau starb beim Atombombenabwurf, die beiden Kinder überlebten, weil sie bei der Grossmutter weilten.
Takashi Nagai erkrankte durch die überhöhte Strahlung an Leukämie und starb 1951 an den Folgen dieser Krankheit.
In seinem Buch «Die Glocken von Nagasaki» schildert er die Ereignisse als Augenzeuge wie folgt:

«Eine Gewalt gleich einem mit 2000 Meter pro Sekunde daher fegenden Sturm zerstörte und pulverisierte jeden Gegenstand auf der Erdoberfläche. Das im Explosionszentrum entstandene Vakuum riss wie ein Tornado die Trümmer hoch in den Himmel und liess sie darauf zu Boden stürzen.
Die erzeugte Hitze betrug 9000 Grad Celsius. Sie kremierte jeglichen Gegenstand. Bombensplitter in Form weissglühender Bälle regneten nieder und entfachten in weitem Umkreis Brände. Weitere ungezählte Tausende waren radioaktiven Strahlen ausgesetzt, die zur Atomkrankheit führten.
Eine dichte Wolke von Staub, Schmutz und Rauch bildete sich nach der Explosion. Sie legte sich vor die Sonne und bewirkte eine tiefe Dunkelheit, genau wie bei einer Sonnenfinsternis.
Nach etwa drei Minuten begann die Wolke sich zu verziehen, als die enthaltenen Teilchen zu Boden sanken. Teile der Sonnenstrahlen und ihre Wärme sickerten allmählich wieder durch.»

verbrachte. (Bild ms)
In der Nacht danach warfen feindliche Flieger Flugblätter über Nagasaki ab. Der Text lautete:
«AN DAS JAPANISCHE VOLK!
Lest dieses Flugblatt aufmerksam.
Amerika ist es gelungen, eine Bombe zu schaffen, die mächtiger ist als alles, was bisher erdacht werden konnte. Die jetzt erfundene Atombombe kommt in ihrer Wirkung der Bombenlast von zweitausend der riesigen B-29-Bomberflugzeuge gleich! Bedenkt wohl diese schreckliche Tatsache. Wir garantieren für ihren Wahrheitsgehalt.
Diese Waffe ist jetzt gegen Japan eingesetzt worden. Wenn euch noch der geringste Zweifel bleibt, seht zu, was mit Hiroshima geschah, als eine einzige Atombombe über der Stadt abgeworfen wurde.
Bevor wir mit dieser Bombe eure militärischen Mittel zerstören, mit denen dieser sinnlose Krieg bloss verlängert wird, fordern wir euch alle auf, beim Tenno auf Beendigung des Krieges zu dringen.
Der Präsident der Vereinigten Staaten hat euch die dreizehn Artikel schon bekannt gemacht, in denen Anordnungen für eine ehrenvolle Übergabe enthalten sind. Nehmt diese Bedingungen an und baut Japan als eine friedliebende Nation wieder auf, ein neues und besseres Japan! Bewirkt, dass der bewaffnete Widerstand ohne Verzug eingestellt wird.
Im anderen Fall zögern wir nicht, diese und andere überlegene Waffen einzusetzen, um diesen Krieg rasch und unwiderstehlich zu beendigen.»
Besonders betroffen waren auch die Kinder. Viele verloren Eltern oder Geschwister. Im Buch «Unter dem Atompilz: Das Schicksal der Kinder von Nagasaki» (Hrsg. Takashi Nagai) schildern Kinder, wie sie den Atombombenabwurf erlebt haben.
Hier der Bericht von Yoko Iwanaga (7 Jahre alt):
«Als ich hinter dem Badezimmer «Vater-Mutter-Kind» spielte, sah ich einen blauen Blitz. Erschrocken lief ich weg. Dann knarrte unser Haus und stürzte ein. Alle Häuser in der gesamten Nachbarschaft stürzten ein.
Um die eingestürzten Häuser herum lagen viele Nachbarn: Einige bluteten stark, bei anderen hatte sich die Haut abgeschält. Einige bewegten sich gar nicht.
Es gab auch welche, die sich zuerst rührten, dann aber plötzlich nicht mehr bewegten.
Es begann zu regnen. Starker Regen ergoss sich auf die Nachbarinnen, Nachbarn, ältere Mädchen und Freunde, die hier und dort lagen.»
Die Erzählungen von Erstklässlern, die noch nicht schreiben konnten, notierten die Lehrer. Im Vorwort schreibt Takashi Nagai:
«Das Ziel, dieses Buch der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, ist, den Schrei der Kinder der Atomwüste weit und breit zu Gehör zu bringen; sie rufen uns nur das eine zu: ‹Wir wollen keinen Krieg mehr!›»

Der Friedenspark Nagasaki
Der Friedenspark (symbolische «Zone der Hoffnung») wurde 1955 in unmittelbarer Nähe nördlich des Hypozentrums der Atombomben-Explosion errichtet. An seinem nördlichen Ende befindet sich die Statue des Friedens, erbaut vom japanischen Bildhauer Seibo Kitamura. Die Statue ist ein Monument, das das höchste aller Ziele für die Menschheit anstrebt: Frieden weltweit. Zugleich ist die Statue des Friedens ein Mahnmal der Gefahr von Atomwaffen. Der rechte Arm der Statue weist zum Himmel gegen die Bedrohung durch Atomwaffen und der horizontal ausgerichtete linke Arm auf den Wunsch nach Frieden.
1969 wurde der Park um den Brunnen des Friedens erweitert. Der Brunnen gedenkt all jener, die infolge des Atombomben-Abwurfs nach Wasser rufend verstarben. Das tragische Schicksal der Opfer wird durch eine Inschrift aus dem Tagebucheintrag eines betroffenen Mädchens festgehalten:
«Ich war so durstig, also trank ich das mit Öl verschmutzte Wasser.»
Seit 1978 ist ein Teil des Parks als Skulpturenpark vorgesehen. Statuen, gestiftet aus Ländern aller Welt, sind hier als Friedenssymbole aufgestellt. Jedes Jahr am 9. August findet eine Friedens-Gedenkfeier statt.

(Bild ms)
Chiran-Friedensmuseum
Wahrscheinlich demonstriert kein Museum die Sinnlosigkeit des Krieges eindrücklicher als dieses: Im Zentrum stehen die Kamikaze-Flieger, auf Japanisch tokko («Sonderangriffskräfte»). Etwa zwei Kilometer westlich von Chiran liegt die einstige Luftwaffenbasis, von der im Zweiten Weltkrieg 1036 Kamikaze-Piloten abflogen. Heute steht an dieser Stelle das grosse, nachdenklich stimmende Kamikaze-Friedensmuseum. Es zeigt Flugzeuge, Erinnerungsstücke und Fotos der jungen Männer, die für das Spezial-Angriffskorps ausgewählt wurden. Die Abschiedsbriefe vor dem letzten Einsatz an Ihre Nächsten, meistens Mütter, Ehefrauen, Freunde, erschüttern.
Hier ein Abschiedsbrief von Toshio Kuramoto an seine schwangere Frau:
«Liebe Kimiko,
Bitte verzeih mir meine plötzliche Abreise. Mein Herz war voller Emotionen, und ich wollte dich nicht traurig machen. Ich liebe dich so sehr, und ich hatte nie vor, dich anzulügen. Ich wünsche dir von Herzen, dass du dich mutig bemühst, Leid oder Kummer zu vermeiden und mit deinem Leben fortzufahren. Von nun an werde ich weg sein. Danke, vielen Dank. Ich war ein glücklicher Mann. Ich freue mich, zu gehen. Ich wünsche dir Glück und Gesundheit.»

An sein ungeborenes Kind schrieb er:
«Mein liebes Kind
Wenn du ein Junge bist, sei bitte ein starker japanischer Mann. Wenn du ein Mädchen bist, sei bitte eine gutherzige Frau. – Bitte kümmere dich gut um deine Mutter und sei ihr gegenüber pflichtbewusst. – Von deinem Vater.»
Toshio Kuramoto starb am 11. Mai 1945, 30-jährig. Er war seit einem Monat verheiratet, und wollte Kimiko nicht sagen, dass er Kamikaze-Pilot war. Am 27. Januar 1946 brachte seine Frau ein Mädchen zur Welt.
«Nihon Hidankyo» erhält Friedensnobelpreis
Die japanische Organisation «Nihon Hidankyo» wurde 2024 für ihre Bemühungen um eine atomwaffenfreie Welt mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
«Nihon Hidankyo» wurde am 10. August 1956 im Rahmen der Zweiten Weltkonferenz gegen Atom- und Wasserstoffbomben von Überlebenden der beiden Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki gegründet.
Die Weltkonferenz war 1955 als Reaktion auf die wachsende öffentliche Ablehnung von Atom- und Wasserstoffbomben nach dem US-Wasserstoffbombentest am 1. März 1954 auf dem Bikini-Atoll ins Leben gerufen worden.
«Hibakusha» werden in Japan die Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki genannt. Sie haben mit Ihren Schilderungen über das erlebte menschliche Leid und die grausamen Schäden wertvolle Erinnerungsarbeit geleistet.
* Marlen Simeon (geboren 1954) ist eine Zürcherin, die gerne in ferne Länder reist und sich mit deren Kultur und Geschichte intensiv auseinandersetzt. |