Alle Macht den internationalen Organisationen?

Olivier Delacrétaz (Bild zvg)

Umgang mit Covid-19 – eine globale Kakophonie

von Olivier Delacrétaz,* Lausanne

(10. Juni 2021) Der Generaldirektor der «Weltgesundheitsorganisation» (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, hat ein «unabhängiges Expertengremium» eingesetzt, um die Massnahmen der Staaten gegen die Pandemie zu untersuchen. Ihr Bericht «Covid-19: Make it the last pandemic» ist eindeutig: Die Staaten hätten sich unfähig gezeigt.

Ihre Vorbereitung war unzureichend, ihre Ressourcen waren unzureichend, ihre Warnsysteme langsam und schwach. Es war eine Kakophonie, die die Experten mit dem Fehlen einer globalen politischen Leitung erklärten.

Auf institutioneller Ebene fordert der Bericht die Einrichtung eines «Global Health Threat Council» und eines «Global Monitoring System» auf der Grundlage «vollständiger Transparenz». Darüber hinaus verlangt er die «Stärkung der Autorität und der Finanzierung der WHO» und die Einrichtung «eines internationalen Finanzierungsmechanismus für Pandemien», der kurzfristig zwischen 50 und 100 Milliarden Dollar bereitstellen kann. Mit anderen Worten: Die WHO hat sich als unfähig erwiesen, also gebt ihr mehr Macht und mehr Geld! Es stellt sich die Frage, ob es nicht vielleicht gerade ihre globale Natur ist, die sie so unwirksam macht…

Die Erklärungen des «unabhängigen Expertengremiums» entsprechen genau denjenigen von Klaus Schwab, dem Gründer und Moderator des Davoser Forum. In seinem 2020 erschienenen Buch «Covid-19: der grosse Umbruch» erklärt er, dass die Pandemie eine wunderbare Gelegenheit ist, die Welt «zurückzusetzen», also wieder bei Null anzufangen. Auch er ist der Meinung, dass der Mangel an «Global Governance» einen Riesenschaden angerichtet hat. Auch er fordert eine Stärkung der WHO, die auch seiner Meinung nach völlig versagt hat.

Mit wahnhafter Selbstsicherheit schieben diese Leute Hunderte von Milliarden Dollar hin und her, die sie nicht haben, verfügen nach eigenem Ermessen über Staaten und Bevölkerungen, formen sie im Eiltempo um und unterwerfen sie der freien Verfügungsgewalt eines zukünftigen Gremiums, von dem noch nichts bekannt ist. Wir stehen am Vorabend einer neuen Welt – vergessen wir nicht, dass Herr Schwab ein Verfechter des Transhumanismus ist –, deren allwissende und allmächtige Gestalter sie sind. In ihren Augen besteht Politik nur aus Gewalt und Widersprüchen; sie muss durch das professionelle Management von Experten ersetzt werden. Ja, lassen Sie uns die Kakophonie der nationalen Regierungen durch das reibungslose und rationale Funktionieren einer globalen Weltregierung ersetzen! Das Glück ist zum Greifen nah.

Diese Gehirne kultivieren in ihren internationalen Glastürmen eine völlig entkörperte Sicht auf die Realität. Mit unermesslicher Leichtigkeit übergehen sie den organischen Charakter des Menschen. Sie berücksichtigen in keiner Weise seine wesentlichen Eigenschaften, seine tiefe Verwurzelung in Ort, Zeit und sozialen Beziehungen, seine innere Welt, seine persönlichen Erinnerungen und Projekte, seine konkreten Freiheiten. Geblendet von ihrer Ideologie erkennen sie nur eine undifferenzierte menschliche Masse, die sich bereitwillig in eine globale Form giessen lässt.

Die unterschiedlichen kantonalen Vorgehensweisen bei der Bekämpfung der Pandemie haben – vor allem im Fernsehen – den prinzipiellen Gegensatz zwischen der vielfältigen, unvollkommenen und deshalb «kakophonischen» Realität, und der eindeutigen, unteilbaren und makellosen Nichtexistenz [einer Einheit] hervorgerufen.

Mit anderen Worten: Um nicht mit konkreten Problemen und deren unvermeidlicher Rauheit konfrontiert zu werden, genügt es, abstrakt einen Wechsel der Ebene vorzuschlagen, von den Kantonen zur Eidgenossenschaft, von der Eidgenossenschaft zur Europäischen Union, von Europa zur WHO und weiteren globalen Organismen. Anderswo, und solange dort nichts passiert, befindet sich der mythische Ort der Vollkommenheit.

Es spielt keine Rolle, dass Herr Ghebreyesus, oder seine Vorgängerin Frau Chan, oder deren Mitarbeiter nie besondere Kompetenz oder Unabhängigkeit gezeigt haben. Was zählt, ist der anonyme und fehlerfreie Apparat der globalen Weltherrschaft – er wird uns retten.

Warum also nicht den gleichen Ansatz wählen, die gleichen allmächtigen globalen Institutionen vorschlagen, die gleiche totale Transparenz fordern, die gleichen enormen Beiträge zur Lösung der Landwirtschaftsprobleme, des Hungers und der Unterernährung, der Umweltverschmutzung, des Zugangs zur digitalen Technologie, der Bildung, der Medien, des Verkehrs, der Energie oder der Stadtplanung durchsetzen?

Man kann mit Fug und Recht befürchten, dass andere unabhängige Experten dabei sind, einen Zusammenschluss von hochdotierten globalen Gremien auszuhecken, um die Gesamtheit der Menschheitsprobleme besser zu bewältigen.

Man kann auch sicher sein, dass parallel dazu alle möglichen Interessengruppen – politische, wirtschaftliche, finanzielle, ideologische – ungeduldig darauf warten, bis sie diese Machtmechanismen ohne wirkliche Führung oder Kontrolle übernehmen können, was der Ankündigung einer fantastischen globale Kakophonie gleichkommt.

Quelle: «La Nation» n° 2175 vom 21. Mai 2021

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

* Olivier Delacrétaz ist Grafiker, ehemaliger Präsident der «Ligue vaudoise» und regelmässiger Mitarbeiter der vierzehntäglich erscheinenden Waadtländer Zeitung «La Nation».

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