Buchbesprechung

«Zwischen Welten»

Juli Zeh und Simon Urban: Zwischen Welten
Luchterhand Literaturverlag
ISBN: 978-363-087-741-9

Ein Buch von Julie Zeh und Simon Urban

von Tankred Schaer, Deutschland

(13. Juni 2023) (Red.) Immer mehr Bürgerinnen und Bürgern fällt auf, dass die grossen Medien sowie ein beträchtlicher Teil der politischen Vertreter in wichtigen Fragen des Lebens mehr oder weniger homogen berichten, beziehungsweise Stellung nehmen: In der Frage von Krieg und Frieden, von Corona und Gesundheitsvorsorge, von Bildung und Kindererziehung, von Gender und Diversität – um nur einige aktuelle Themen zu nennen.

Auch in der Schweiz trauen sich viele nicht mehr zu sagen, was sie denken, wenn ihre Gedanken von der «veröffentlichten Meinung» abweichen. Für jede Demokratie ist das verheerend. Umso wichtiger ist es, die Mechanismen zu verstehen, die zu solchen Meinungsdiktaten führen. Wieso schreiben und sagen in der Öffentlichkeit und in den Medien alle fast das Gleiche?

Wie es funktioniert, dass nur noch eine Meinung vertreten und alles andere diffamiert wird, beschreibt der Roman «Zwischen den Welten». Er spiegelt die raue und manchmal fast unerträgliche deutsche «Debattenkultur» wider, aber man versteht mehr und mehr, wie das «Spiel» funktioniert.

* * *

Um es gleich vorweg zu nehmen: Dieses Buch sollte jeder gelesen haben, der mit Aufmerksamkeit verfolgt, wie unsere politische Debattenkultur immer mehr zerfällt und dass man nur noch mit Entsetzen feststellen kann, wie die Mainstream-Medien über aktuelle Vorgänge berichten.

In seiner Weltwoche Daily-Sendung beklagt der Journalist und Verleger Roger Köppel den überhandnehmenden Moralismus in den Medien. Er meint damit, dass die Journalisten auf der richtigen Seite der Geschichte stehen wollen, dass die Ideologie über den Tatsachen steht und dass die Journalisten stets wissen, welcher Weg der richtige ist – ob es sich dabei um aktuelle Konflikte wie den Ukraine-Krieg, das Gendern, oder die Klimakrise handelt.

Das Buch «Zwischen Welten» ist so geschrieben, dass man es von der ersten bis zur letzten Seite nicht mehr aus der Hand legen möchte. Aber es ist keine leichte Kost – nicht, weil es nicht leicht und spannend zu lesen wäre, sondern weil es die Leser herausfordert, sich mit den aufgeworfenen Fragen zu beschäftigen.

Zum Beispiel unserem Verständnis von Demokratie. Die Protagonistin Theresa Callies, Biobäuerin in Mecklenburg-Vorpommern, sagt: «Das ist doch das Verständnis von Demokratie, die Sache wird abgeblasen, wenn die Mehrheit dagegen ist.» Haben wir die Lektion schon verlernt, dass wir diese einfachen Zusammenhänge heute anders sehen? Dass die Journalisten und Medienschaffenden diese Frage anders beantworten? Es sind Fragen darüber, wie sich unsere Gesellschaft weiterentwickeln soll und auf welchem Weg wir zu Entscheidungen kommen, die von der Mehrheit der Bürger mitgetragen werden. Welche Rolle sollten die Medien dabei spielen? Welche Folgen haben die Sozialen Medien und die politischen Pressure-Groups?

Worum geht es in dem Buch? 20 Jahre, nachdem sie sich aus den Augen verloren haben, trifft Theresa ihren ehemaligen Wohngemeinschafts-Partner Stefan durch Zufall wieder. Stefan ist inzwischen Leiter der Kulturredaktion einer grossen Hamburger Wochenzeitung, Theresa hat den genossenschaftlich geführten Bauernhof ihres Vaters in Mecklenburg-Vorpommern übernommen und auf Biolandwirtschaft umgestellt.

In dem Buch, das aus einem Dialog in Form von E-Mails und WhatsApp-Nachrichten besteht, erleben wir, wie schwierig der gesellschaftliche Dialog mittlerweile geworden ist. Stefan ist auf der Pariser Klimakonferenz gewissermassen «erweckt» worden. In allem, was er tut, wird die Rettung der Welt vor steigenden Temperaturen allen anderen Zielen übergeordnet.

Theresa hat zu kämpfen mit bürokratischen Hindernissen, mit dem trockenen Sommer, mit steigenden Pachtpreisen für landwirtschaftliche Nutzflächen und damit, dass ihre wirtschaftliche Existenz immer mehr infrage gestellt wird, obwohl sie ja genau das macht, was grüne Politik heute fordert; eine nachhaltige biologisch orientierte Landwirtschaft zu betreiben.

Im Verlauf des Buches kommen beide Protagonisten immer mehr in Bedrängnis. Theresa, weil ihre finanziellen Spielräume erschöpft sind, weil sie den Hof retten will, sich aber zwischen Behördenwillkür und unsinnigen Gesetzen eingezwängt sieht. Stefan kommt in Bedrängnis, weil er trotz seiner Fortschrittlichkeit immer noch an gewissen journalistischen Grundsätzen hängt und er von Klima-Aktivisten unter Druck gesetzt wird, Propaganda-Journalismus zu machen.

Muss es zur Katastrophe kommen? Das Ende des Buches will ich nicht vorwegnehmen. Die Lektüre hat beim Rezensenten jedenfalls Spuren hinterlassen. Vielleicht könnte man sagen, dass man regelrecht durchgerüttelt wird. Vielleicht ist es auch das: Wir merken beim Lesen der E-Mail-Kommunikation der beiden Protagonisten, dass wir vieles öffentlich gar nicht mehr sagen können. Die Tabuzonen der politischen Auseinandersetzung sind mittlerweile so gross geworden, dass wir uns nur in sehr kleinem Rahmen noch eine freie Auseinandersetzung glauben leisten zu können. Jetzt haben wir es vor Augen: Da traut sich jemand und es steht da in gedruckter Form, was man eigentlich nicht mehr sagen und denken soll, das ist befreiend. Aber gleichzeitig ist der Roman auch realistisch. Berichte werden verfälscht. Der Journalismus der alten Zeiten scheint passé zu sein.

Für mich ist dieses grossartige Buch eine gelungene und scharfsichtige Analyse einer Gesellschaft, in der alles unter das Diktat eines linken, «woken», klimagerechten Aktivismus gestellt wird, in der die freie politische Auseinandersetzung mit mächtigen Mitteln unterdrückt wird.

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