Trauern ist nicht genug

Ein Essay von Hans-Christof von Sponeck,* Deutschland

(21. Dezember 2023) Krieg – Krieg war Teil der ersten Jahre meines Lebens. Ich habe den Krieg gespürt. Mein Vater wurde 1944 hingerichtet, mein Grossvater starb als Kriegsgefangener, mein Halbbruder verlor sein Leben an der Ostfront, meine Mutter entkam aus einem Internierungslager, und meine Grossmutter und ich erlebten das Kriegsende in einem Versteck an der späteren Grenze zwischen zwei deutschen Staaten.

Als ich älter wurde, war ich begierig, sehr begierig, zu verstehen, was einen Krieg verhindern könnte. Da ich noch jung war, war mir noch nicht klar, was dies bedeutete. 1957, ich war damals siebzehn, wurde mir von der französischen Zelidja-Stiftung und meinem deutschen Internat Salem ein Reisestipendium angeboten, um den Plan zu unterstützen, nach Israel zu fahren und deutsche Juden zu treffen, die aus dem Gebiet, in dem sich meine Schule befand, geflohen waren und in Israel Zuflucht gefunden hatten.

Ich wollte verstehen, wie sie ihr neues Leben als Überlebende aus meinem Land begonnen hatten. Ich wollte mich ihnen anschliessen, und zwar aus mehr als einem Grund: um dabei zu sein und ihre Bemühungen, sich niederzulassen, zu teilen. Ein deutsches Frachtschiff brachte mich von Hamburg nach Haifa – welche Fracht es transportierte, weiss ich nicht mehr, vielleicht einige Güter, die symbolisierten, dass es eine Zukunft zwischen Deutschland und Israel gab.

Die Unschuld meines Alters schützte mich bei diesem Besuch vor der Last der Schuld. In Tel Adashim, einem Moschaw oder einer Bauernsiedlung, hatte ich die Gelegenheit, mit Menschen zusammenzukommen, die einst deutsche Landsleute gewesen waren. Sie waren freundlich zu mir und erlaubten mir, einen Einblick in ihr neues Leben zu bekommen. In zwei Kibbuzim, Ein Gedi und Ein Gev, beide im Gebiet des Toten Meeres, traf ich auf eine schwierigere Realität.

Es war nicht die Härte der Arbeit auf den Feldern, die eine Herausforderung darstellte, es waren die Schrecken der Erfahrungen der älteren Kibbuzniks, die ihnen ins Gesicht geschrieben standen, und die Vorbehalte der Jüngeren, der Säbelrassler, der einheimischen Israelis, gegenüber mir, einem jungen Deutschen, der gekommen war, um zu versuchen, zu verstehen.

Was mir sehr deutlich in Erinnerung geblieben ist, ist der ungeheure Optimismus, den die Israelis, denen ich begegnete, beim Aufbau eines auf Frieden und Ruhe basierenden Lebens hatten. Ich wusste nichts von der Notlage der Palästinenser.

Dies ist nicht der Ort, um die jahrzehntelangen Gelegenheiten Revue passieren zu lassen, die verschiedene israelische Regierungen versäumt haben, um auf diesen Anfangsjahren des jungen Landes aufzubauen und den Beschluss der UN-Generalversammlung von 1947 zu akzeptieren, einen jüdischen und einen arabischen Staat im ehemaligen britischen Protektorat Palästina zu gründen.

Ich möchte daran erinnern, was Albert Einstein 1929 an Chaim Weizman schrieb, der später der erste Präsident Israels wurde: «Sollten die Juden nicht lernen, in Frieden mit den Arabern zu leben, dann haben wir in den 2000 Jahren des Leidens nichts gelernt und verdienen alles, was auf uns zukommen wird.»

Wie kann ich es als Nicht-Jude wagen, ein solches Zitat aufzunehmen? Das ist kein antisemitischer Ausbruch meinerseits. Ich bin leidenschaftlich pro-semitisch, auch weil Palästinenser und Israelis beide semitischen Ursprungs sind, es sei denn, Sem, der Sohn Noahs, wird nicht mehr als Vorfahre von Juden und Arabern betrachtet. Mein Herz schmerzt und mein Verstand ist entschlossen, sich zu äussern.

Die Verurteilung der schrecklichen Taten der Hamas durch den UN-Generalsekretär Guterres und sein gleichzeitiger Hinweis an die Welt, dass das palästinensische Volk 56 Jahre lang eine erdrückende Besatzung ertragen musste, während sein Land von illegalen Siedlungen verschlungen wurde, erforderte Mut, war aber richtig.

Die Brutalität der IDF-Reaktion auf die Brutalität des Hamas-Angriffs stellt beides schwere Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht dar, für die sie zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Während das Recht keine Gefühle kennt, haben unschuldige Bürger Palästinas und Israels Gefühle, aber keine andere Wahl als zu leiden.

Der UN-Sicherheitsrat wurde nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen, um als Team zu fungieren, das in der Lage ist, Kompromisse zu finden und Lösungen auszuhandeln, und nicht als nationale Gegenspieler, die Öl ins Feuer giessen. Die dem Sicherheitsrat derzeit vorliegenden Resolutionsentwürfe der USA und Russlands zeigen jedoch, dass geopolitische Interessen wichtiger sind als die Beendigung des Gemetzels und die Erfüllung des Mandats, Krieg zu verhindern und Lösungen für den Frieden zu finden.

Als ehemaliger UN-Beamter, der aus nächster Nähe miterlebt hat, wie die Welt der Macht im vergangenen Jahrhundert mit dem Irak umgegangen ist, bin ich empört über die Heuchelei von Staatschefs und Aussenministern, die mit einseitigen Botschaften nach Tel Aviv strömen und das Feigenblatt hinzufügen, die humanitäre Hilfe nicht zu vergessen. Völlig ausser Acht gelassen wird der Kontext, das «Warum», das alles passiert ist.

Reichen die Bilder von der Supernova-Sukkot-Versammlung, von Gaza-Stadt und Khan Younis nicht aus, um ein Gefühl der Dringlichkeit, des Mitgefühls und der Notwendigkeit zu wecken, hohle Rhetorik durch konkrete Massnahmen zu ersetzen, die einen Unterschied machen, ob Palästinenser und Israelis überleben oder sterben?

* Hans-Christof von Sponeck, 1939, war als UN-Diplomat von 1968 bis 2000 an verschiedenen Einsatzorten für die Vereinten Nationen tätig – als ehemaliger stellvertretender UN-Generalsekretär und zuletzt als Koordinator für humanitäre Hilfe im Irak. Im Februar 2000 reichte er seinen Rücktritt aus Protest gegen die Sanktionspolitik des UN-Sicherheitsrates ein, die er als verantwortlich für das Sterben mehrerer hunderttausender irakischer Kinder sieht.

Zusendung von Hans von Sponeck am 5. November 2023 an Seniora.org.
https://seniora.org/politik-wirtschaft/israel/hans-von-sponeck-trauern-ist-nicht-genug, 13. November 2023.

(Übersetzung aus dem Englischen von Andreas Myläus)

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