Fragwürdiges zu «Soft Law» in der Schweizer Aussenpolitik

Unterhöhlung der Demokratie bei internationalen Vereinbarungen

von Ueli Meister

(3. Mai 2024) Seit längerer Zeit unterzeichnet der schweizerische Bundesrat internationale Verträge von grosser Tragweite im Alleingang ohne Einbezug von Parlament und Volk. Er bezeichnet diese Abkommen als sogenanntes «Soft Law», das rechtlich nicht verbindlich sei und deshalb im Zuständigkeitsbereich des Bundesrates liege.

In den letzten Jahren gab es mehrere parlamentarische Vorstösse, um die Rechte des eidgenössischen Parlaments wieder zu stärken. So reichte die Aussenpolitische Kommission des Ständerates (APK-S) am 12. November 2018 das Postulat 18.4104, «Konsultation und Mitwirkung des Parlaments im Bereich von Soft Law», ein:

«Der Bundesrat wird beauftragt, innert sechs Monaten Bericht zu erstatten über die wachsende Rolle des sogenannten Soft Law in den internationalen Beziehungen sowie über die weiteren internationalen Entwicklungen infolge der globalen Verknüpfungen und die daraus resultierende schleichende Schwächung der demokratischen Rechte der Parlamente, in solchen Fragen rechtzeitig mitzuwirken, bevor sie zu einem im Grundsatz nicht beschlossenen gesetzgeberischen Verfahren führen. Insbesondere soll der Bericht die Folgen dieser Entwicklung für die Schweiz durchleuchten und allfälligen Reformbedarf von Artikel 152 des Parlamentsgesetzes erörtern.»

Am 26. Juni 2019 erfolgte der Bericht des Bundesrates zum Postulat 18.4104 der APK-S.

Darin schreibt der Bundesrat:

«‹Soft Law› hat sich in den vergangenen Jahren mehr und mehr zu einem eigenen Gestaltungsinstrument der internationalen Beziehungen entwickelt.»

Das seien Vereinbarungen, die «rechtlich nicht verbindlich sind (‹soft›), aber eine bestimmte Verhaltensweise vorgeben (‹law›)».

«Soft Law begründet im Gegensatz zum Völkerrecht somit keinerlei völkerrechtliche Verpflichtungen, weshalb Staaten für dessen Verletzung auch nicht rechtlich verantwortlich gemacht werden können.» Bei Verletzung und Nichteinhaltung von Soft Law bestehe die Möglichkeit «mit sogenannten Retorsionen auf dem politischen Weg vorzugehen». «Dazu können auch Sanktionen oder deren Androhung gehören bspw. als Folge der Aufnahme eines Staates auf eine (schwarze) Liste.»

Aktuelle Ergänzung des «Schweizer Standpunkt»

Auszug aus dem Artikel «In Strassburg herrscht der Grössenwahn» von Katharina Fontana, erschienen in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 25. April 2024

[…] «Soft Law entsteht massgeblich in internationalen Organisationen, es wird von Funktionären und Diplomaten ausgehandelt, deren politische Agenda man nicht kennt. Obwohl demokratisch in keiner Weise legitimiert, haben diese Regelungen eine politische und immer mehr auch rechtliche Wirkung, weil Richter sie für verbindlich erklären und Ansprüche daraus ableiten. Das führt dazu, dass sich die Parlamente und die Bürger früher oder später in einem Geflecht von Regeln und Pflichten wiederfinden, die intransparent erarbeitet und über ihren Kopf hinweg beschlossen wurden.

Im eidgenössischen Parlament scheint man dieser unguten Entwicklung inzwischen etwas mehr Bedeutung beizu­messen als auch schon. So pocht der Nationalrat beim umstrittenen WHO-Pandemiepakt zu Recht auf Mitsprache und will die Sache nicht einfach dem Bundesrat überlassen. Dasselbe gilt für den Uno-Migrationspakt. Auf die Zusicherung der Verwaltung, beim Migrationspakt handle es sich «nur» um Soft Law und es würden keine neuen Pflichten auf die Schweiz zukommen, sollte das Parlament nicht allzu viel geben.» […]

Kommentar

Soft Law ist also nicht rechtsverbindlich, es muss aber bei Nichteinhaltung mit schwerwiegenden Sanktionen gerechnet werden. Es gibt keine gerichtliche Zuständigkeit, welche die Betroffenen anrufen könnten.

In den letzten 25 Jahren wurden von der Schweiz zahlreiche Pakte, Deklarationen und Verträge unterzeichnet, die heute als «relevante Soft Law-Instrumente» bezeichnet werden und meist unter Ausschluss des Parlamentes und des Volkes zustande kamen. So entstanden die Bologna-Deklaration von 1999 und der Bologna-Prozess, die die Hochschulen und damit das ganze Bildungswesen in der Schweiz und in ganz Europa umpflügten – ohne jede demokratische Auseinandersetzung!

Ungute Entwicklungen im Bundeshaus zu Bern. (Bild jpv)

Im Herbst 2018 konnte im letzten Moment verhindert werden, dass der Bundesrat im Alleingang dem UNO-Migrationspakt zustimmte. Der Bundesrat rechtfertigte seinen Alleingang damit, dass es sich beim Migrationspakt um sogenanntes Soft Law – eine rechtlich nicht verbindliche Verpflichtung –handle. Doch der Pakt hätte weitreichende Folgen für die Schweiz gehabt und die Nichteinhaltung des Paktes hätte mit schwerwiegenden Folgen sanktioniert werden können.

Zu den für die Schweiz relevanten Soft Law-Instrumenten zählen auch die Global Health Security Agenda (GHSA) von 2014 und die «2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung». Die GHSA soll die Umsetzung der völkerrechtlich bindenden internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) der WHO unterstützen. Dazu gehören Themen («Action Packages») wie Antibiotikaresistenz und Impfungen.

So ist der Schritt nicht mehr weit zum WHO-Pandemiepakt und den neuen Gesundheitsvorschriften, die im Mai dieses Jahres verabschiedet werden sollen. Auch hier scheinen die Vereinbarungen unter dem Stichwort «Soft Law» zu laufen, denn auch in dieser Frage wird nur dürftig informiert.

Dabei beinhaltet das WHO-Pandemieabkommen neue Regeln, die über den staatlichen Gesetzen stehen würden. Beispielsweise könnte die WHO so gesundheitliche Massnahmen weltweit verbindlich vorschreiben.

«Soft Law» wird von zwischenstaatlichen Organisationen, den Intergovernmental Organizations (IGO) erlassen, die ebenfalls Staatsvertragsrecht vorbereiten. In der Regel werden Soft Law-Vereinbarungen auch von den Vertretern der IGO verabschiedet, manchmal auch an Regierungskonferenzen.

Laut Bundesrichterin Monique Jametti verfügen die IGO über einen maximalen Einfluss, indem sie sowohl Soft Law initiieren, erlassen und anwenden und durch keinerlei Gerichte kontrolliert werden können. Zusätzlich kann es via Sekretariat fortlaufend verändert und an neue Forderungen angepasst werden. Frau Jametti schreibt:

«Damit wird über Soft Law nicht nur der reguläre Gesetzgeber, sondern auch die Judikative ausgehebelt: Es sind nicht mehr die Gerichte, die sagen, was Recht ist, sondern die Sekretariate der IGO dekretieren, was man als richtig zu betrachten hat – und das erst noch auf der Grundlage von Nichtrecht.» Und weiter: «Da es um Soft Law geht, können störende Opponenten unter Hinweis auf den nicht rechtsbindenden Charakter übergangen werden.» (Gastkommentar in der NZZ, 8. September 2021)

Kommentar

Soft Law kann als Steuerungsinstrument eingesetzt werden, um:

  • auf politischem Weg «international legitimierten» Druck gegenüber kleineren, schwächeren Staaten auszuüben.
  • nationale Entscheidungen an nichtgewählte, zum Teil private internationale Organisationen auszulagern.
  • die Gewaltenteilung abzuschaffen und somit die Nationalstaaten und Demokratien zu schwächen.
  • über die Verschiebung der politischen und gesellschaftlichen Fragen auf die internationale Ebene via «Aussenpolitik» innenpolitische Reformen zu erzwingen.

Schlussfolgerung

Gerade in der heutigen Weltsituation sind ehrliche, würdige und friedliche Umgangsformen zwischen Staaten von hoher Dringlichkeit. Das «Soft Law-Konstrukt» schafft nur neue Konfliktherde, und trägt nicht nachhaltig zu tragfähigen Lösungen bei. Unsere Welt braucht den ehrlichen Dialog und Verhandlungen auf Augenhöhe – auch als Beitrag für den Weltfrieden. Da könnte die Schweiz mehr dazu beitragen.

Quellen:

Konsultation und Mitwirkung des Parlaments im Bereich von Soft Law (26.6.2019), Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates 18.4104, Aussenpolitische Kommission SR, 12. November 2018.

Portal der Schweizer Regierung, Parlament soll bei Soft Law-Vorhaben stärker eingebunden werden, Bern, 27. Juni 2019.

Monique Jametti, Soft Law – ein politisches Druckmittel gegen kleine Staaten, Gastkommentar, NZZ,
8. September 2021.

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